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Who the Fuck Is Kafka?

Die israelische Bestsellerautorin Lizzie Doron kam zum Auftakt ihrer jüngsten Lesereise mit ihrer Übersetzerin Mirjam Pressler nach München, Gelegenheit zwei sympathische, humorvolle Frauen und sprachgewandte Autorinnen aus nächster Nähe zu erleben.

 

Das jüngste Buch von Lizzie Doron heißt Who the Fuck Is Kafka? und ist nur auf Deutsch erhältlich. Und das hat einen ernsten Hintergrund. Entstanden ist es auf der Basis von Dialogen, manchmal auch (Streit)-Gesprächen einer Israelin und eines Palästinensers auf Englisch, niedergeschrieben wurde es auf Iwrit, dann ins Arabische übersetzt, damit der Kollege den Text lesen konnte und ihn praktisch komplett zusammenstrich. Doron war am verzweifeln. Nicht erkannt zu werden, war wiederum für Nadim, seine Frau und seine beiden Kinder „eine Frage auf Leben und Tod“. Doron musste „nur“ die Ultraorthodoxen fürchten, Nadim jedoch die Hamas. Schließlich wurde der Text als Monolog fortgesetzt. Mirjam Pressler übersetzte die durch Bearbeitung sich ständig ändernden Versionen in wohlgesetztes Deutsch und holte sich manchmal verworfene Passagen, die sie wichtig fand, eigenmächtig zurück.

Sie verstehen Bahnhof? So ähnlich erging es der Israelin Lizzie Doron, die vor ein paar Jahren auf eine Friedenskonferenz nach Rom eingeladen war, auch. Zur Delegation gehörten ein palästinensischer Schriftsteller, ein israelischer Journalist für Gender-Studien, eine junge Frau aus Dschenin, deren Schwester bei Vorbereitungen für einen Terrorakt umgekommen war, eine Lehrerin aus Ramallah, Lizzie Doron und ihr Antipode Nadim. Nur friedensbewegte Gutmenschen können darauf verfallen, dass solch eine Runde einen Schritt auf dem Weg zu einem Frieden im Nahen Osten weiterbringt. Es sei denn, zwei Menschen lassen trotz Missverständnisse, Rückschläge, unterschiedlichen Narrative und Lebensentwürfe nicht davon ab, miteinander zu sprechen, ja sogar den Plan für ein gemeinsames Film- und Buchprojekt zu entwickeln. Nadim Abu Henis aus Ostjerusalem hat den Film aufgegeben. ­Lizzie Doron aus Tel Aviv nicht, sie wollte das Projekt retten und hatte in der Demokratie, in der sie zuhause ist, die Chancen dazu.

Zu beider Erkenntnisse gehörte, dass beide ein Feindbild hatten, auch ihre je verschiedenen traumatischen Erfahrungen. Nadims Frau konnte mit ihrem Touristenstatus Ostjerusalem nie verlassen, er musste höllisch auf seine Ausweispapiere aufpassen (die er deshalb auf Reisen stets mit Klebeband am Körper befestigte), weil sonst eine Rückkehr völlig ausgeschlossen wäre, ein Krankenbesuch beim krebskranken Vater der Ehefrau im Gazastreifen undenkbar. Als er einer EU-Vertreterin solche Episoden erzählte, kommentierte sie empathisch und nonstop mit „Kafka“, während Lizzie Doron sich als Angeklagte eines Tribunals fühlte. Kaum waren die EU-Beobachter weg, stellte Nadim die erlösende Frage Who the Fuck Is Kafka?. Ihre Charaktere und ihr Humor seien zentrale Elemente ihrer Annäherung gewesen, Minderheiten hätten gute Karten für Humor. Nadim fange an, jüdischen Humor zu entwickeln. Auf die Frage, wie ein Happy End aussehen könne, meinte er, ISIS würde sie beide töten. In anderen Bereichen bringt er sie jedoch fast zur Verzweiflung. Nie habe seine Frau mit am Tisch sein dürfen, wenn Lizzie (anderen Anwesenden stets als Italienerin vorgestellt) zu Besuch kam. Nadim glaube, seine Frau sei glücklich mit dieser Rollenverteilung. Außer dem Koran lese er so gut wie nichts. Doron erklärt, es sei geradezu romantisch, Freundschaft zu einem Feind zu entwickeln. Es wäre auch leichter gewesen ihn zu hassen. Sie besteht aber auch auf der Erkenntnis: „Wären wir nicht Feinde, wir wären niemals Freunde geworden.“ 

In Israel ist Lizzie Doron mit ihren Erzählungen über die Trauamata der Shoah für die Überlebenden-Generation und ihre Kinder, das heißt der „Macht der Vergangenheit über die Gegenwart“ berühmt geworden. Sechs Bücher hat sie ihrem Verleger versprochen. Das sechste kommt in Frühsommer in Israel auf den Markt. Eine Studie bestätigt ihren Eindruck, dass Israelis sich viel mehr für die eigene Geschichte interessieren, als für den israelisch-palästinensischen Konflikt. In Israel wären es kaum 400 Interessenten, in Deutschland war die erste Auflage von Who the Fuck Is Kafka? im Nu ausverkauft, dtv zog nach und freut sich, dass ­Lizzie Doron seit ihrem fünften Roman Das Schweigen meiner Mutter Autorin des Hauses geworden ist. Mirjam Pressler übersetzt Dorons Bücher von Anfang an und die Israelin schätzt ihren fachlichen Rat, denn in Israel selbst gebe es so gut wie kein Lektorat. Sie mag ihre deutschen Ausgaben, hat große Fangemeinden aber auch in Schweden und Italien, wo sie im vergangenen Jahr sogar zur beliebtesten ausländischen Autorin erkoren wurde.

Ihr Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, geschrieben mit Empathie, Humor und Selbstkritik, ist „Nadims Mutter gewidmet. Und allen Müttern, die ihre Kinder dazu bewegen konnten, Frieden zu wählen und nicht Krieg“. Ihre Übersetzerin Mirjam Pressler wurde übrigens anlässlich der Leipziger Buchmesse mit dem Übersetzerpreis 2015 für ihre Übertragung des neuen Romans von Amos Oz Judas aus dem Hebräischen ausgezeichnet.

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