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Vertrieben – Verloren – Zurückgekehrt

Schicksal jüdischer Theaterkünstler vor, während und nach der NS-Zeit.

„Außer einer unheilbaren Krankheit kann einen jungen Menschen nichts Schlimmeres treffen als die unfreiwillige Emigration.“ Dieses Zitat von Ernst Deutsch schmückt den Schutzumschlag der jüngsten kulturwissenschaftlichen Studie von Anat Feinberg. Die gebürtige Israelin unterrichtete englische Literatur und Theaterwissenschaften an der Ben-Gurion-Universität und an der Universität Tel Aviv. Seit 1997 ist sie Honorarprofessorin für Hebräische und Jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
In diesen letzten zwanzig Jahren hat Anat Feinberg dem deutschsprachigen Publikum versucht, israelische Autoren und deren Werke – und damit den gesellschaftlichen Wandel in einem sehr alten Land und gleichzeitig einem 70 Jahre jungen Staat – nahezubringen. Jede ihrer Arbeiten hat mehr zur jüdisch-nichtjüdischen Verständigung und oft auch zur erhellenden Analyse des deutsch-israelischen Verständnisses beigetragen als manche Woche der Geschwisterlichkeit oder Pilgerfahrt ins Gelobte Land.
In ihrem Werk Nachklänge. Jüdische Musiker in Deutschland nach 1945 z.B. erforschte Feinberg Musikerbiografien im Spannungsfeld zwischen Herkunft, alter und neuer Heimat, familiärem Verfolgungsschicksal, Verortung zu bzw. in Deutschland, indem sie umfangreiche Gespräche mit den Betroffenen führte.
Nun gibt es ein weiteres Werk im kulturgeschichtlichen Aufarbeitungskanon von Anat Feinberg, das akribische Forschungsarbeit mit stilistischer Eleganz verbindet: Wieder im Rampenlicht. Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945 heißt ihre, in jeder Hinsicht, hervorragende Arbeit. Den erzwungenen Verlust der künstlerischen Heimat hatte der Schauspieler Ernst Deutsch mit einer unheilbaren Krankheit verglichen. Anders als in der Musik, ist am Theater die Sprache zum Leben wichtig wie das Atmen. Der Sprachheimat auf der Bühne beraubt zu sein, konnte den Tod bedeuten.
„Wir gingen ins Exil wie entthronte Könige“, heißt es bei dem Schauspieler, Regisseur und Autor Berthold Viertel und noch dramatischer bei Max Ophüls: „Ich nahm Abschied von der deutschen Sprache, in der ich zum Regisseur herangewachsen war. Ich nahm Abschied von den Versen, die mich hatten zum Schauspieler werden lassen.“
Nach ­Feinbergs Schätzung „gingen etwa 420 Bühnenautoren und 4.000 Theaterschaffende ins Exil“, verteilt auf weltweit vierzig Länder, „von Südamerika bis in den Fernen Osten“. Nur die wenigsten konnten in deutscher Sprache fortfahren, wie zum Beispiel Paul Walter Jacob in Buenos Aires, wo er die Freie Deutsche Bühne gründete, weil er es als seine Pflicht ansah, „an Werte zu erinnern und heute heimatlos gewordenes, verjagtes, verbotenes, missachtetes, künstlerisches Gut zu bewahren, zu retten, zu überliefern“. Oder Steffi Spira, die in Mexico City im Heinrich-Heine-Klub Stücke von im Exil lebenden deutschen Autoren zur Aufführung brachte.
Ironie des Schicksals als Flüchtling war für deutschsprachige Schauspieler in Hollywood oft, wegen ihres deutschen Akzents Rollen, ausgerechnet als Deutsche – ob Kriegsverbrecher oder Emigrant – in Antinazi-Filmen annehmen zu müssen, um ökonomisch zu überleben. Wolfgang Zilzer, der seinen deutschen Namen in Paul Andor umgewandelt hatte, kommentierte mit bitterem Humor seine Rolle als Josef Goebbels: „Eine gute Rolle spielt man gern.“
Zwischen Verweigerung und Anpassung – der Überlebenskampf in den USA wurde sehr unterschiedlich geführt. Die einen lehnten eine Rückkehr unerbittlich ab, andere sehnten sich nach nichts mehr als nach der altem Heimat.
Curt Bois beispielsweise, der vor der Emigration vermögend gewesen war, fehlte sogar das Geld für die Schiffspassage aus den USA, um im Nachkriegsberlin Angebote von Boleslaw Barlog und Wolfgang Langhoff anzunehmen.
Berthold Viertel lehnte das Angebot der Intendanz am Staatstheater in Dresden ab: „Ich konnte“, wie er seiner in Los Angeles verbliebenen Frau Salka schrieb, „nicht an eine Rückkehr denken“. Er „kehrte schließlich nach Wien, die Stadt seiner Kindheit, zurück“, wie Feinberg resümiert.
Verschiedene Appelle hatten den weit verstreuten Künstlern die Rückkehr nahe gelegt. In der deutschsprachigen Emigrantenzeitung Aufbau in New York erschien vier Monate nach Kriegsende der Aufruf: „Und alle Ihr, die Ihr fern der Heimat lebt, seid Ihr bereit, trotz aller Schwierigkeiten beim Wiederaufbau mitzuhelfen? Dann kommt!“ Beim Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschland klang es so: „Deutschland braucht Euch“.
Einer der wichtigsten Wegbereiter eines befreiten Theaters war Fritz Kortner, der 1947 zurückkehrte, um „beim Wiederaufbau des deutschen Theaters – unter allen Umständen – mitzumachen“, wie er am 18. Juni 1945 in dem Appell „Liebe Kollegen!“ verkündete.
Anat Feinberg hat ein faktenreiches Werk vorgelegt, in dessen sorgfältigen Anmerkungen am Ende jedes der fünf Großkapitel noch unendlich viele weitere wertvolle Informationen stecken. Ihre Arbeit verbindet die Übersichtlichkeit einer Kollektivuntersuchung anhand von 200 Künstlerschicksalen. Darunter finden sich so gegensätzliche wie die des gebürtigen Wieners Claudius Kraushaar, der in Stuttgart um die Rückerstattung seines Schauspielhauses kämpfte, wie jene von Steffi Spira, die, 1908 in Wien geboren, 1947 aus vollster Überzeugung von Mexico nach Ostberlin ging, oder die von Ernst Deutsch und von dem es hieß: „Er spielt diesen Nathan nicht, er ist Nathan“. Deutsch verkörperte die Rolle des Nathan in Nathan der Weise an die tausend Mal in dreizehn verschiedenen Inszenierungen auf deutschsprachigen Bühnen der Nachkriegszeit.
Fritz Kortner hingegen wollte nie den ­Nathan spielen, sondern wird ewig in Erinnerung bleiben als Shylock aus Der Kaufmann von Venedig.
Zum Glück gibt es eine Fernsehaufzeichnung aus einer Zeit, als man sich noch um gehaltvolles Programm bemühte: Die Dokumentation einer Schallplattenaufnahme von 1966 zeigt Fritz Kortner, wie er sich in den berühmten Monolog mit einer Intensität hineinsteigert, die ihn am Ende das Wort „Rache“ geradezu herausspeien lässt.   

 

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