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Ringstraße

Ein jüdischer Boulevard

Im Jüdischen Museum wird ab März 2015 eine Ausstellung über die Ringstraße eröffnet, die bisher wenig bekannte Aspekte der „Via triumphalis“ Wiens beleuchtet. Zwar weiß man spätestens seit dem Erscheinen des Bestsellers von Edmund de Waal, Der Hase mit den Bernsteinaugen, dass es an der Ringstraße einige jüdische Bauherren gab, die sich von den berühmtesten Gründerzeitarchitekten prachtvolle Palais erbauen ließen, doch wer weiß schon, dass der Grundstein für die Votivkirche aus Jerusalem stammt und dort vom jüdischen Künstler Mordechai Schnitzer im Frühling des Jahres 1856 aus dem Felsen des Ölbergs gemeißelt wurde. Im selben Jahre brachte der Schriftsteller und erste Archivar der israelitischen Kultusgemeinde Ludwig August Frankl auch den Schlussstein für den Leopoldstädter Tempel aus dem Heiligen Land nach Wien, und natürlich war auch dieser kunstvoll bearbeitete Stein von Mordechai Schnitzer geschlagen und gefertigt worden. Gebaut wurde der Leopoldstädter Tempel im üppigen Ringstraßenstil vom Architekten Ludwig von Förster. Förster war auch für den städtebaulichen Entwurf der Ringstraße mit der zweireihigen ­Baumallee verantwortlich und er plante das Palais Todesco an der Kärntnerstraße, das nach seinem Tod von seinem Schwiegersohn und Partner Theophil Hansen fertiggestellt wurde.

Das Palais Todesco gehörte zu den ersten Häusern am Ring und galt als Treffpunkt der Wiener Gesellschaft. Die Hausherrin Sophie von Todesco führte einen der begehrtesten Salons in Wien, zu deren Stammgästen die Schriftsteller Ferdinand von Saar, Eduard Bauernfeld und später Hugo von Hofmannsthal, die Politiker Alexander Freiherr von Bach und Anton von Doblhoff-Dier, der Burgtheaterdirektor Heinrich Laube, die Burgschauspieler Joseph Lewinsky und Adolf von Sonnenthal und viele andere prominente Persönlichkeiten zählten. Charity events besonderer Art im Palais Todesco, Schey oder Auspitz waren die Aufführungen von „Tableaux vivants“ durch Mitglieder und Freunde des Familienverbandes, bei denen Bilder berühmter Maler nachgestellt und, umrahmt von musikalischen Einlagen und poetischen Rezitationen, dem Publikum präsentiert wurden. Die Spenden der Gäste flossen wohltätigen Zwecken zu, wie dem Fonds des israelitischen Waisenheims oder anderen karitativen jüdischen und nichtjüdischen Einrichtungen. Eines der international beachteten Sozialprojekte der Ringstraßenära war die Errichtung des Israelitischen Blindeninstituts auf der Hohen Warte, das von Ludwig August Frankl initiiert, vom Architekten Wilhelm Stiassny gebaut und von Moritz von Königswarter und Friedrich von Schey finanziert wurde. „Hilfe zur Selbsthilfe“ war das Prinzip, das im Blindeninstitut verfolgt wurde, und es wurde großer Wert auf die bestmögliche Ausbildung der Zöglinge gelegt, um ihnen ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Trotz aller Bemühungen konnten durch private Wohltätigkeit bei weitem nicht alle sozialen Probleme gelöst werden. Die Wirtschaftskrise, ausgelöst durch den Börsenkrach des Jahres 1873, verstärkte die Wohnungsnot, die Arbeitslosigkeit und den rapiden Anstieg der Lebensmittelpreise, die vor allem die Arbeiter und kleinen Angestellten in den Vorstädten trafen. Populistische Politiker wie Dr. Karl Lueger fanden schnell einen Sündenbock für die sozialen Missstände und machten die Juden dafür verantwortlich. In der Zwischenkriegszeit verstärkte sich die antisemitische Polemik, die gleichermaßen gegen „den armen, zerlumpten Ostjuden“, den „sozialistischen, jüdischen Aufwiegler“ und den „kapitalistischen, jüdischen Großbürger“ gerichtet war. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden auch die Palais an der Ringstraße, die noch in jüdischem Besitz waren, enteignet, die Kunstsammlungen und das gesamte Mobiliar beschlagnahmt, die Bewohner verfolgt, vertrieben und viele ermordet. Die Ausstellung im Jüdischen Museum spannt einen Bogen bis ins 21. Jahrhundert. Sie thematisiert die erfolgte oder auch nicht erfolgte Restitution von geraubtem Besitz nach 1945 und die Bedeutung, die die Wiener Ringstraße bis heute hat. Einige Leser und Leserinnen der Illustrierten Neuen Welt erinnern sich sicherlich noch an die Wohnung von Max und Trude Berger an der Ringstraße 35 und an die dort ausgestellte Judaika-Sammlung, die den Grundstock für die Neugründung des Wiener Jüdischen Museums im Jahr 1988 bildete.

Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog im Amalthea Verlag.

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