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Putin taktiert geschickt zwischen den Mächten

Die Spannungen zwischen Israel und Syrien nehmen zu. Die Schlüsselrolle in diesem Konflikt haben aber nicht mehr die USA, sondern Russland. Israels Premierminister ­Benjamin Netanjahu tritt in der Regel souverän auf, wenn er Regierungschefs trifft. Als er aber Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte, rutschte er auf seinem Stuhl nervös hin und her. Er sprach nicht frei, sondern hielt mehrere Papiere in der Hand, auf deren Rückseite mit zittriger Hand große Buchstaben gekritzelt waren. Putin lächelte gelassen, ging auf Netanjahus Ausführungen kaum ein.


Der Ex-Agent schien dem Ex-Elitesoldaten klar überlegen. Eine Dominanz, die Russlands politische Übermacht widerspiegelt. Die Entscheidungen des Kremls sind heute so bedeutend wie kaum jemals für Israels Sicherheit. Nie war der Einfluss der Russen im Nahen Osten so groß wie in der Gegenwart. Das zeigt auch die Eskalation des Konflikts zwischen Israel und Syrien. Ein israelischer Kampfjet war über Syrien beschossen worden und abgestürzt. Die beiden Piloten konnten sich per Schleudersitz retten. Es war das erste israelische Kampfflugzeug seit 1982, das im Einsatz abgeschossen wurde.


Israels Luftwaffe flog sofort Angriffe auf syrische und iranische Stellungen in Syrien. Netanjahu sagte bei einer Kabinettssitzung, Israel sei zu weiteren Militäreinsätzen bereit: „Wir werden jedem Schaden zufügen, der versucht, uns Schaden zuzufügen“, drohte er. Der Iran warf Israel hingegen „Lügen“ vor, mit denen das Land seine „Verbrechen in der Region“ verdecken wolle. Die USA stellten sich auf die Seite Israels, das sich seit Jahrzehnten mit Syrien formell im Kriegszustand befindet. Washington unterstütze „entschieden Israels souveränes Recht auf Selbstverteidigung“, erklärte das US-Außenministerium. Aber Russland, das im Syrien-Krieg als Verbündeter des Irans und Syriens gilt, äußerte sich auffallend neutral. Russland rief die Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf und warnte vor einer „gefährlichen Eskalation“ in Syrien. Das zeigte einmal mehr: Russland steht in dem Konflikt nicht auf einer Seite, sondern spielt die Akteure der Region geschickt gegeneinander aus.


Parallel zu seiner Unterstützung des Irans und Syriens kooperierte Putin über Jahre mit der Regierung von Benjamin Netanjahu. Nach jedem Besuch des Premiers in Moskau folgte ein Präventivschlag im Nachbarland. In Israel mutmaßt mancher, Putin erteile ausdrücklich Genehmigung für besonders heikle Einsätze. Israel streitet das ab. Aber es gibt deutliche Zeichen für eine Kooperation zwischen Putin und Netanjahu.


Russland hat in Syrien Luftabwehrraketen vom Typ S-400 stationiert. Aber diese setzt Russland nicht gegen Israel ein, obwohl das ein Leichtes wäre. „Genau wie die Russen Israel schaden können, könnte Israel auch Russlands Pläne in der Region durchkreuzen“, meint der Russlandexperte Alex Tenzer. „Putin will keinen Krieg zwischen Israel und Syrien.“ Vor allem, weil er Israel als strategisches Gegengewicht zu den Iranern benötigt.


Denn Russland hat größere Pläne, als einen Sieg im Syrien-Krieg. Putins will nichts weniger als die USA als Vormacht im Nahen Osten ablösen. Er stößt in das Vakuum im Nahen Osten, das die USA mit dem Rückzug unter Barack Obama ließen. Ein Rückzug, der unter Donald Trump andauert – und Russland die Rückkehr als Ordnungsmacht gestattet.


In Libyen, in Ägypten, selbst in Saudi-Arabien – überall vergrößert Russland seinen Einfluss. Die Unterstützung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad lässt sich Moskau vergelten – mit Waffen-, Öl- und Handelsabkommen, aber vor allem mit neuen russischen Militärstützpunkten und Häfen. Sie sind wohl Putins Hauptanliegen. Es ist ein großes geostrategisches Manöver. Der Präsident will Europas Raketenabwehr von Südosten umgehen und die USA so in die Ecke drängen. Für Putin sind dabei alle Staaten im Nahen Osten wichtig – auch das militärisch mächtige Israel. Zwar hat Moskau dessen Forderung ignoriert, Irans Militärpräsenz in Syrien einzuschränken. Russische Waffen, darunter moderne Raketen, werden an die Syrer geliefert, und landen vielleicht selbst bei der Hisbollah-Miliz. Russische Militärs kooperieren eng mit den Iranern, russische Diplomaten helfen Iran im UN-Sicherheitsrat. An vielen Stellen stellt sich Moskau gegen Israel und an die Seite des Iran. Am Ende aber positioniert sich Putin zwischen allen Parteien und ist der Drahtzieher im Nahen Osten. Denn langfristig gehen die Interessen Teherans und Moskaus auseinander. Sie stehen in Konkurrenz um lukrative Verträge zur Ausbeutung von Rohstoffen oder den Wiederaufbau Syriens.


Die Ideologien des radikalislamischen Gottesstaates und des säkularen Russlands sind unversöhnbar. Wenn der IS und die vom Westen gestützten Rebellen erst einmal geschlagen sind, ist der letzte gemeinsame Feind besiegt. Danach will der Iran Syrien in eine Bastion gegen Israel und sunnitische Regime verwandeln, während Russland den Nahen Osten kontrollieren will, um die Front gegen den Westen auszubauen.


Zudem gibt es auch eine persönliche Komponente: Man solle „die emotionale Bindung Putins an Israel nicht unterschätzen“, sagt Russland-Experte Tenzer. Er berichtete als erster, dass der russische Präsident neuerdings Eigentümer einer kleinen Wohnung in der Pinskerstrasse in Tel Aviv ist. „Putin schenkte sie 2005 seiner geliebten Lehrerin, die ihm Deutsch beibrachte – die Grundlage für seine Karriere als KGB-Spion.“ Die Lehrerin war 1972 nach Israel ausgewandert und mittellos geblieben. Nachdem Putin sie auf einer Visite traf, schenkte er ihr die Wohnung. Als sie im Dezember starb, vermachte die kinderlose Frau sie ihrem Gönner.   

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