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IS und Nationalsozialismus

Parallelen zwischen dem Islamischen Staat (IS) und dem Nationalsozialismus

wurden bereits in einigen Artikeln angedeutet. Neben ideologischen Verbindungen

(Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Weltherrschaft, Homophobie, etc.)

wurde insbesondere auf die Praxis systematischen Massenmordes und

öffentlichen Terrors hingewiesen.

Berichte von Menschenrechtsorganisationen, Fotos und Videomaterial belegen, dass der IS systematisch Massenexekutionen organisiert und ausführt. Dabei wurden Gefangene unter Schlägen auf Lastwägen getrieben und zur Exekutionsstätte verfrachtet, wo sie in ausgehobenen Gräben erschossen wurden. Darüber hinaus ist der IS auch für öffentliche Exekutionen und Folter berüchtigt. Die Bilder von in der Öffentlichkeit aufgehängten und gekreuzigten Menschen, von gefolterten und ermordeten Kurden, denen Schilder mit Schmähungen umgehängt wurden, erinnern eindringlich an die Fotos der Wehrmachtsverbrechen in der Sowjetunion, als deutsche Formationen Hunderttausende jüdische und russische Zivilisten außerhalb der Kriegshandlungen ermordeten und Millionen terrorisierten.

Neben diesen äußerlichen Gemeinsamkeiten gilt es jedoch weit tiefer reichende Verbindungen zwischen der aktuellen Krise und dem Nationalsozialismus zu formulieren. Im April 2015 veröffentlichte der Spiegel ein umfassendes Dossier, das die innere Organisationsstruktur des IS beleuchtete: „Vom Beginn an sah der Plan vor, dass die Nachrichtendienste parallel arbeiten würden. Das gewöhnliche Nachrichtenamt berichtete dem „Sicherheits-Emir” der Region, der für die Distrikt-Emire verantwortlich war. Der Leiter der geheimen Spionage-Zellen und ein „Nachrichtendienst und Informationsmanager“ im Distrikt berichteten dem jeweiligen Emir. Die lokalen Spionage-Zellen berichteten dem Vertreter des Distrikt-Emir. Das Ziel war es, dass alle sich gegenseitig überwachen würden.“ Die Existenz paralleler und rivalisierender Strukturen im NS-Regime wurde bereits Anfang der 50er von Hannah Arendt konstatiert. Allein innerhalb des SS-Apparates waren drei verschiedene Instanzen – Sicherheitspolizei/SD, Ordnungspolizei und die Höheren SS- und Polizeiführer – für Terror und Massenmord in den besetzten Gebieten zuständig. Während Sipo/SD und Orpo den jeweiligen SS-Hauptämtern unterstellt waren unterstanden die SS- und Polizeiführer direkt dem Reichsführer SS. Im Zuge des Krieges lösten sich formale Kompetenzbereiche und Befehlswege zwischen diesen SS-Fraktionen auf. An deren Stelle trat ein dynamischer Prozess, der von lokaler Initiative, Intervention durch die Führung und einem Bekenntnis zu den Grundsätzen der NS-Ideologie bestimmt war. Die Fragmentierung der Herrschaft betraf nicht allein die SS, sondern das gesamte NS-Regime. Neben dem Sicherheitsapparat bildeten mit der Expansion totalitärer Herrschaft Wehrmacht, Verwaltung, Partei und Wirtschaft eigene Organe zur Kontrolle, Ausbeutung, Terrorisierung und Ermordung der Bevölkerung aus. Alle Fraktionen waren in abgestufte moderate und radikale Einheiten organisiert, welche indirekter oder direkter mit den Verbrechen des Regimes verbunden waren. Das wechselseitige Verhältnis der Fraktionen untereinander war von ernsthafter Rivalität, Kooperation und Dynamik geprägt. So bildeten in der Anfangsphase des Nationalsozialismus die SA und deren Straßenterror gegen politische und objektive Feinde ein Machtzentrum des Regimes. Ab 1934 verlor die SA zugunsten der SS und der Wehrmacht an Einfluss. In der Expansionsphase des Dritten Reiches gewann die Wehrmacht an Einfluss. In diesem Zeitraum gewann sie Zugriff auf Ressourcen in den eroberten Gebieten und auf über 5 Millionen sowjetische Kriegsgefangene, von denen über 3 Millionen ermordet bzw. vorsätzlich in den Lagern dem Tod überlassen wurden. Der SS unterstand ein Imperium an Hunderten Lagern und KZ-Häftlingen, ihre Innovationen zur Organisation des Massenmordes und des Terror verhalfen ihr zu einer zentralen Machtposition. Am Ende des Dritten Reiches verlor die Wehrmacht an Einfluss, während bspw. die Reichskanzlei und Krisenstäbe neue Kompetenzen erwarben. Die Macht der Fraktionen beruhte auf Kontrolle über Ressourcen, Arbeitskräfte, eigene bewaffnete Formationen, erfolgreiche Partizipation an Terror und Massenmord und die Fähigkeit Ziele des Regimes effektiv umsetzen zu können. Fragmentierung und Dynamik wiederholten sich auf allen Ebenen und Auswüchse des Regimes, sodass an verschiedenen Orten verschiedenste Konstellation der Fraktionen die Interessen des Regimes exekutierten. 

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