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Fotografie im Brennpunkt

Erich Lessing im Jüdischen Museum am Judenplatz

Das Jüdische Museum Wien am Judenplatz zeigt bis 6. September eine äußerst beeindruckende Ausstellung von Erich Lessings Fotografien. Der Fotograf mit dem Finger am Puls der Zeit erlebte als Kind die Verfolgung und Deportation seiner Familie aus Wien – seine Mutter und Großmutter wurden in Auschwitz und Theresienstadt ermordet. Ihm gelang die Flucht nach Palästina, wo er Radiotechnik lernte, als Karpfenzüchter in einem Kibbuz arbeitete und Taxi fuhr. Bald machte er sein Hobby aus der Jugendzeit zu seinem Beruf. Er begann als Fotograf zu arbeiten, wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich 1947 Fotoreporter bei der Associated Press und 1951 Mitglied bei MAGNUM. Seit 2012 betreibt er seine eigene Galerie Lessingimages.com in Wien.

Seine Tochter Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, hat für diese Schau eine spannende und ganz persönliche Auswahl aus dem überreichen Archiv ihres Vaters getroffen – Lessing zeigt Lessing.

In einem Raum sind Farbfotos unterschiedlicher Größen zu Biblische Landschaften aus den 1970er Jahren zusammengefasst. ­Lessings Lieblingsgegend ist der Golan: „Eigentlich würde ich dort gerne leben.” Der Fotograf blickt u. a. aus einer dunklen Höhle über Wasser und Steine zu einer grünen Landschaft mit Bäumen: „Die Höhle in der Jesreel-Ebene, wo die Quelle Harod entspringt. Hier prüfte der Richter Gideon nach der biblischen Überlieferung den Mut seiner Krieger vor der Schlacht gegen die Midianiter.”

Im nächsten Raum sind Klassiker aus seinem Werk ausgestellt, fotografische Ikonen, die um die Welt gingen: Konrad Adenauer und Andre-Francois Poncet – zwei behütete, in Schwarz gekleidete Männer, die in Richtung Eiffelturm spazieren – oder Leopold Figl, den Staatsvertrag in den Händen, auf dem Balkon des Belvedere bzw. die jubelnden ÖsterreicherInnen darunter. Interessant ist ein Foto, das zuvor entstanden ist: Das Warten im Büro des Kanzlers auf den sowjetischen Außenminister und den Staatsvertrag. Adolf Schärf betritt wartend von Rechts das Bild, während Julius Raab mit am Rücken verschränkten Händen durch die Gardinen aus dem Fenster blickt. Figl ist in Bewegung, schiebt die Gardine zur Seite und beugt sich zur Fensterscheibe, um möglicherweise mehr sehen zu können. Es dauerte wohl noch, bis er die berühmten Worte sagt: „Österreich ist frei!”

Lessing hat weitere Politpersönlichkeiten abgelichtet, wie Bruno Kreisky, Willy Brandt, Golda Meir mit und ohne Zigarette, Nikita Chruschtschow mit einer Axt in seinen Händen oder General de Gaulle von oben, der die Ehrengarde abschreitet bzw. über deren Schatten tritt. In diesem Sinne kann Lessing als Chronist unserer Zeit gesehen werden, der mit Adlerblick den richtigen Zeitpunkt einfror. Als Dokumentarist des Nachkriegseuropas fotografierte er sowohl den ungarischen Volksaufstand, als auch die erste Wahl einer Schönheitskönigin im kommunistischen Polen. Er hielt das Wiener Alltagsleben fest – Krankenschwestern auf einem Karussell im Prater, ein Brautpaar, das einen Fiaker besteigt, das Warten auf den Zug am Westbahnhof –, Strandimpressionen aus Italien, fotografierte am Set zu den Dreharbeiten zu Moby Dick oder eine Berliner Striptease-Tänzerin. Alle diese Beispiele zeigen das umfangreiche Repertoire des Lichtzeichners. Interessant sind auch die biografischen Details an der Wand mit Familienfotos sowie eine Vitrine mit Fotografien und einem Kontaktabzug mit angezeichneten Fotos mit dem dazugehörigen Rotstift zum Markieren.

Zu dieser von Museumsdirektorin ­Danielle Spera und Hannah Lessing kuratierten Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog im Residenz Verlag erschienen.

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