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„Ein Lächeln in der Stimme”

Mit diesen Worten charakterisierte Ilse Wolf 2011 ihren (Schwieger-)Onkel, der vor 130 Jahren in Wien als Alfred Grünwald geboren wurde.

Um sich allerdings namentlich von dem einen Monat zuvor (ebenfalls in Wien) geborenen Opernlibrettisten Alfred ­Grünwald abzugrenzen, nannte sich der Schriftsteller Grünewald. Die Eltern, Minna Goldmann und Alexander Grünwald, stammten aus dem ungarischen Städtchen Raab und zogen Ende der 1870er Jahre nach Wien, wo der Vater als erfolgreicher Kaufmann bei der Kosmetikfirma W. J. Bush & Co tätig war. Zuerst wohnten sie in der Mayergasse im 2. Bezirk. Dort besuchte Alfred ­Grünewald die Grundschule in der nahegelegenen Czerningasse und anschließend die K.K. Zweite Realschule (heute Brigittenauer Gymnasium), die er 1902 mit Matura abschloss. Schon früh interessierte er sich für Literatur und las viel. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule, verbrachte aber gerne Zeit im Volksgarten, wo er auf andere Literaturbegeisterte, wie Max Mell, Felix Braun oder Stefan Zweig traf. Bereits 1906 veröffentlichte er Vom Lachen und vom Müdesein (vor allem Kinderreime) und Sonnenpeter. Ein Drama in vier Aufzügen im Leipziger Verlag für Literatur, Kunst und Musik. Karl Kraus druckte die umfangreiche Ballade Hans Zweisel in der Fackel ab. Neidisch schrieb damals der Lyriker und Erzähler ­Albert Ehrenstein in sein Tagebuch: „Kraus brachte lang-blödes Gedicht von Grünewald.” (Ehrenstein wurde erst 1910 mit dem Abdruck des expressionistischen Gedichtes Wanderers Lied in der ­Fackel über Nacht bekannt.) Ab 1906 lebte Grünewald mit seiner Mutter, der Vater starb 1902, am Hamerlingplatz in der Josefstadt. 1908 absolvierte er die Zweite Staatsprüfung und arbeitete bis in die 1920er Jahre in dem Architekturbüro des revolutionären Architekten Adolf Loos. Bei Loos setzte er seine Studien mit kunstgeschichtlicher und materialkundlicher Ausbildung, in dessen 1912 gegründeten Bauschule, fort. Es fanden samstägliche Studiengänge durch Wien statt, aber es wurden auch künstlerische Veranstaltungen, darunter auch Lesungen von Grünewald gemeinsam besucht. Das 1909 veröffentlichte Balladenwerk Mummenschanz des Todes brachte ihm einen ersten Achtungserfolg. Drei Jahre später erschien der Lyrikband Gezeiten der Seele mit Gedichten, die teilweise schon zuvor in Zeitungen erschienen waren. Dieser Band wurde von der Kritik ambivalent aufgenommen: Die Verse seien zu persönlich, andere schrieben von zu unpersönlich. Sprachliche Kraft versus mangelnder Erlebniskraft, zu sehr in die Traumwelt eingetaucht – schon als Kind litt der kränkliche Alfred Grünewald an schreckhaften Träumen, diese Fieber- und Traumbilder ließ der Erwachsene in die Gedichte einfließen. Sein Werk ist zwischen Traum und Realität, Gut und Böse, Märchen und Wirklichkeit angesiedelt. Die negativen Reaktionen könnten auch daher rühren, dass Grünewalds erotische Lyrik unzweideutig ist: er wendet sich in einer Reihe von Gedichten an einen schönen, unerreichbaren Jüngling und beschreibt sein Sehnen nach der idealen, knabenhaften Schönheit. In seinem Leben lassen sich drei Freundschaften zu jungen Männern nachweisen. Mit Fritz Jensen aus einer Clique, die sich am Hamerlingplatz traf, ab Mitte der zwanziger Jahre mit dem späteren Germanistikprofessor Franz Golffing und eine Liebesbeziehung mit einem Jüngling in Südfrankreich.

Während des Ersten Weltkriegs schrieb Grünewald eine Vielzahl von Texten, die nach Kriegsende veröffentlicht wurden, darunter Dithyrambischer Herbst, Sonette an einen Knaben oder Ergebnisse, eine Sammlung von Aphorismen, in denen sich der Autor sehr pointiert u. a. über Kunst, Kollegen oder das Leben ausdrückt: „Das Gespräch verlief recht einsilbig. Der eine verlor kein Wort. Der andere fand keines.” Dieser Band wurde 1996 im Verlag Edition Memoria von Thomas B. ­Schumann mit einem Nachwort von Klaus Hansen wieder herausgegeben.

1937 erschien der Gedichtband Die brennende Blume, aus dem er am 13. März 1938 in der Volksbildungsstätte Urania vortrug. Als ein Artikel darüber im Neuen Wiener Journal erschien, lag er bereits im Krankenhaus, denn nach Kurt Schuschniggs letzter Rundfunkansprache, versuchte Grünewald, sich mit Veronal das Leben zu nehmen. Doch der Freitod wurde von einer Nachbarin vereitelt. Nach der Entlassung zog er sich in seiner Wohnung zurück. Am 10. November wurde er von der Gestapo aus dieser verschleppt – die selbe Nachbarin, die ihn im März gerettet hat, soll ihn nun denunziert haben, um sich seiner Wohnung und des kostspieligen Mobiliars zu bemächtigen. Der Jude und melancholische Homosexuelle kam ins KZ Dachau – darüber hat er den Roman Tilipanien verfasst. 1939 kam Grünewald unter der Bedingung frei, dass er das Deutsche Reich schnellstmöglich verlassen würde. Die illegale Ausreise über die Schweizer Grenze gelang ihm nach mehreren Anläufen. Anschließend ging es über Italien nach Südfrankreich, nach Nizza. Trotz Armut begann er wieder zu Schreiben. Der Schriftsteller wurde immer wieder interniert und 1942 verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. Vom Lager Les Milles über Drancy wurde ­Grünewald mit dem Konvoi Nr. 29 am 7. September ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Zwei Tage später kam der Transport dort an, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Alfred Grünewald am 9. September 1942 in Auschwitz ermordet wurde.

Schon zu Lebzeiten war Alfred Grünewald ein Unzeitgemäßer, ein Außenseiter. Er publizierte in zahlreichen Wiener Zeitungen und veröffentlichte über zwanzig Bücher, doch die Auflagen blieben klein. Neben Lyrik und Theaterstücken schrieb er auch Erzählungen, Aphorismen, Essays, Balladen und Schwänke. Die Uraufführung eines seiner Stücke am Burgtheater hatte keinen Erfolg. Grünewald blieb ein Geheimtipp und geriet aufgrund des Nationalsozialismus in Vergessenheit. Oskar Jan Tauschinski hat versucht, Grünewald mit den Publikationen Klage des Minos 1969 und Lass meine Seele dir Heimat sein 1990 in der österreichischen Literaturgeschichte als Lyriker zu verankern, doch der große Durchbruch kam, aufgrund seiner im Klassischen verhafteten Literatur, auch post mortem nicht.

Jetzt bringen zwei Publikationen im Verlag Männerschwarm das Werk des vielfältigen Dichters wieder ans Licht und setzen ihm ein Denkmal: Der Gedichtband enthält neben den Zyklen Sonette an einen Knaben und Dithyrambischer Herbst Werke aus sieben weiteren Sammlungen sowie unveröffentlichte Lyrik. Im zweiten Band wird die Novelle Reseda und andere Prosa publiziert. Ab Mitte der 1920er Jahre und vor allem in den Jahren der Emigration hat Grünewald vermehrt Prosa geschrieben. Die (Kriminal-)Novelle Reseda, in der ein homosexueller Buchhalter einem homosexuellen Praktikanten die Kehle durchbeißt, war bisher unveröffentlicht. Die anderen Texte wurden zwischen 1924 und 1937 in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. In der Erzählung Der Page verliebt sich ein Junge in ein Werbeplakat eines Pagen. Als er seinen Kameraden von seinem Schwarm erzählt, stößt er auf Unverständnis und muss zum ersten Mal erfahren, dass sein Begehren ihn zum Außenseiter macht. Als das Plakat eines Tages verschwunden ist, spürt er erstmals den Verlust eines, zwar nur fantasierten, Geliebten.

Viel war über den Grünewald nicht bekannt, doch der Herausgeber Volker Bühn hat gründlich recherchiert und setzt sich in den Nachworten sehr eindringlich mit Leben und Werk des Wiener Schriftstellers auseinander. Dadurch und weil der Herausgeber auch bislang unbekannte Werke aufspürte, wird Grünewalds Stellung in der österreichischen Literaturgeschichte hoffentlich neu bewertet.

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