Das Museum of Modern Art zeigt ab dem 13. April 2013 Anti-Nazifilme, die von österreichischen und deutschen Regisseuren gedreht wurden – vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Gezeigt werden 33 Filme, darunter auch legendäre Meisterwerke von Fritz Lang, Max Ophüls, Billy Wilder oder Robert Siodmak – wie „Das Cabinett des Dr. Caligari“, „Metropolis“, „Der blaue Engel“ , oder „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Vor der Retrospektive in New York war die von der Deutschen Kinemathek und dem Museum of Modern Art in New York gemeinsam konzipierte Schau bereits im Rahmen der diesjährigen Berliner Filmfestspiele zu sehen und demonstrierte dort eindrucksvoll, wie die Hochblüte deutschsprachigen Filmschaffens mit der Machtergreifung der Nazis schlagartig zu Ende ging und wie und was die vor den Nazis geflohenen Regisseure und Schauspieler zum Aufschwung Hollywoods zur internationalen Filmmetropole beigetragen hatten.
Die ausgewählten Werke aus den Jahren zwischen 1934 und 1959 kommen aus insgesamt neun Ländern, darunter Österreich, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Ungarn und natürlich aus den USA. Ohne Zweifel waren es besonders viele jüdische Filmschaffende, die sich nach ihrer Flucht ins Ausland gezwungen sahen, einen kompletten Neuanfang zu wagen. Gezeigt werden auch einige nie oder nur selten gezeigte Werke, die auch auf DVD schwer zu bekommen sind. Wie etwa Joseph Loseys Neuverfilmung von Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ( 1951), „Hitlers Madman“ von Douglas Sierk, oder „Confessions of a Nazi Spy“ von Anatole Litvak (1939) und „None shall Escape“ von Andre de Toth (1944) sowie „Hangman also Die“ von Fritz Lang von 1943. Unvermeidlich auch die bitterböse Anti-Nazi-Satire „Sein oder Nichtsein – To Be or not to be“ von Ernst Lubitsch von 1942. Gespannt sein kann man auch auf die filmhistorische Ausgrabung „Peter“ von Henry Kosterlitz, die in Österreich 1934 entstand und den Grundstein für dessen spätere Musical-Regisseur-Karriere in den USA legte – unter dem Namen Henry Koster. Frisch restauriert zeigte sich Max Ophüls anarchische „Komödie ums Geld“ (1936). Natürlich darf auch der legendäre Spielfilm „Casablanca“ des ursprünglich aus Ungarn stammenden Regisseurs Michael Curtiz nicht fehlen, sind doch neben den Hauptdarstellern Humphrey Bogart und Ingrid Bergman die österreichischen Emigranten Paul Henreid, Peter Lorre und Szöke Szakall zu sehen.
Die in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art erstellte Retrospektive war dem Direktor der Berliner Filmfestspiele, Dieter Kosslick, besonders wichtig. Dass ihm der Kampf gegen das Vergessen ein wesentliches Anliegen ist, zeigt auch seine Entscheidung, den französischen Regisseur und Autor Claude Lanzmann, zu dessen bekanntesten Werken der neunstündige Dokumentarfilm „Shoah“ zählt, mit dem Goldenen Ehrenbären auszuzeichnen.
Dieter Kosslick: Claude Lanzmann ist einer der großen Dokumentaristen. In seiner Darstellung von Unmenschlichkeit und Gewalt, von Antisemitismus und seinen Folgen hat er eine neue filmische wie ethische Auseinandersetzung geschaffen. Unbestritten hat er mit „Shoah“ das wichtigste Werk der Erinnerungskultur geschaffen. Er ist auch eine der herausragenden Persönlichkeiten des politisch-geistigen Lebens unserer Zeit. Wir fühlen uns geehrt, ihn ehren zu dürfen.
Geehrt fühlte sich auch Claude Lanzmann, wie er bei der Überreichung des Goldenen Ehrenbären gestand.
Claude Lanzmann: Ich dachte ursprünglich, dass die Berlinale nur die restaurierte Fassung von „Shoah“ aufführen wollte. Aber sie zeigten sogar mein gesamtes filmisches Werk, das macht mich stolz! Meine Filme werden nämlich zu selten gezeigt, obwohl es eine große Nachfrage danach gibt.
Frage: Sie drehen seit Jahren an einem Film über Benjamin Murmelstein – ein österreichischer Rabbiner zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, zugleich der letzte Judenälteste im Konzentrationslager Theresienstadt. Warum wurde dieser Film nicht bei der Berlinale gezeigt?
Lanzmann: Ich habe den Film erst vor wenigen Tagen beendet. Nach knapp sieben Jahren Arbeit. Wenn Sie mich fragen, hätte „Der Letzte der Ungerechten“ – so lautet der Titel – schon allein den Ehrenbären verdient.
Frage: Wann und wo wird man den Film nun sehen können?
Lanzmann: Wenn ich Glück habe, wird er im Mai in Cannes uraufgeführt. Wissen Sie: „Der Letzte der Ungerechten“ ist wunderschön geworden. Allerdings weiß ich nicht, ob mir die Idee gefällt, dass ein solcher Film in einem Wettbewerb gezeigt würde.
Zum Abschluss der Berlinale stellte sich Dieter Kosslick auch der Frage um den Stellenwert des israelischen Films, zu dessen internationalen Erfolgen die Berlinale im Verlauf der Jahre immer wieder beigetragen hatte. Welche israelischen Filme waren im diesjährigen Programm zu sehen?
Dieter Kosslick: Leider haben wir in diesem Jahr keinen israelischen Beitrag für das Wettbewerbs-Programm gefunden. Aber dafür gab es einige außergewöhnliche Werke – wie „Make Hummus Not War“. Das ist ein humorvoller Film von Trevor Graham im Stil von Monty Python – gedreht in Arabisch, Englisch und Hebräisch. Es geht darin um die ethnischen Differenzen der beliebten Kichererbsen-Speise. Kleines Thema, großer Hintergrund. Mit zwei starken Spielfilmen und mehreren Dokumentar-Koproduktionen wurde differenziert auf das Thema der palästinensisch-israelischen Situation eingegangen. Aber auch das große europäische Thema der Abstiegsangst der Mittelschicht sowie die „Normalität“ der bewaffneten Jugend und ihre traumatisierenden Folgen werden eindringlich reflektiert.
Einer der in einer Nebenreihe der Berlinale gezeigten Filme – „A World not Ours“ von dem dänisch-palästinensischen Regisseur Mahdi Fleifel – sorgte am Ende des Festivals für Konflikte. Der Film, der sich ebenso subjektiv wie packend mit dem Leben von drei Generationen in einem palästinensischen Flüchtlingslager auseinandersetzt, wurde mit dem Friedenspreis der Berlinale ausgezeichnet. Wegen einer Äußerung des Regisseurs im Publikumsgespräch nach einer Vorführung seines Films kam es zu Protesten.
Wesentlich mehr Aufsehen und Presse-Echo erregte auch in diesem Jahr wieder der vor 13 Jahren gegründete „Cinema for Peace Award“, der ebenfalls während der Berlinale vergeben wird. Drei starke Frauen wurden dieses Jahr für ihr besonderes Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geehrt: die Schauspielerin Veronika Ferres, die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und die Holocaustüberlebende Marga Spiegel. „Ich glaube an die Kraft der Kunst. Ich glaube an die Macht von Filmen“, sagte Ferres in ihrer Dankesrede. Aber sie habe in ihren Film „Unter Bauern – Retter in der Nacht“ und in „Annas Heimkehr“ nur die tapferen Menschen der Zeit, darunter Marga Spiegel, gespielt. Ferres widmete ihren Preis Knobloch und Spiegel.
„Wir sind die einzige jüdische Familie, die überhaupt durchgekommen ist“, sagte Spiegel. Drei Jahre seien sie versteckt gewesen und 76 Verwandte ihres Mannes und aus ihrer Familie seien von den Nationalsozialisten getötet worden. Den Preis nannte die Hundertjährige „die Krönung meines Lebens“.
Und noch eine vierte starke Frau wurde geehrt: die aus Südafrika stammende Hollywood-Schauspielerin Charlize Theron wurde für ihren Einsatz gegen Aids in Afrika ebenfalls mit dem „Cinema for Peace Award“ ausgezeichnet.