Als Boxen ein jüdischer Sport war II

Ein Meister mit Gewichtsproblemen

Von Hans Pusch

Als der amtierende deutsche Mittelgewichtsmeister Erich Seelig am 28. Februar 1933 vor 2000 begeisterten Zuschauern im Hamburger Flora Theater gegen den um 6 kg schwereren Helmut Hartkopp in einem mitreißenden 12- Runden-Kampf auch den Meistertitel im Halbschwergewicht errang, überschüttete Deutschlands Sportpresse den neuen „Doppelmeister“ mit Elogen. Selbst der „Box Sport“, das offizielle Organ der B. B. D. (Boxsport Behörde Deutschlands), des V.D.F (Verbands Deutscher Faustkämpfer), des D.R.f.A.B (Deutschen Reichsverbands für Amateur Boxen) und der Landesverbände, in der Vergangenheit dem 23jährigen Berliner nicht immer nur freundlich gesonnen, hielt sich nach dieser Vorstellung Seeligs mit Lob nicht zurück.

Eric Seeliger

Der Meisterschaftskampf sei ein „ganz ausgezeichnetes Gefecht“ gewesen, berichtete das Fachblatt. Der von seinem Bruder Heinrich betreute Erich „Ete“ Seelig habe völlig verdient gewonnen, weil er der „offensivere, kampffreudigere und wesentlich schnellere“ Boxer mit den besseren Treffern gewesen sei. Seelig habe schlichtweg eine „Meisterleis­tung“ geboten und sich den „großen Beifall“ bei Verkündung des Urteils redlich verdient. In der Ausgabe vom 6. März ziert ein Porträt von „Deutschlands jüngstem Meister“ sogar das Titelblatt und zwei Wochen später macht eine lange, sehr wohlwollend geschriebene Vorschau auf seinen nächs­ten –  für 31. März in Berlin – geplanten Kampf neugierig: die Titelverteidigung gegen den hart schlagenden Bochumer Ex-Meister Hans Seifried, diesmal im angestammten Mittelgewicht.
Erich Seelig, am 15. Juli 1909 im „Klein-Berlin“ genannten Bromberg, polnisch Bydgoszcz, Hauptstadt der Woiwodschaft Kujawien-Pommern, geboren und 1920, nach der Wiedererrichtung
Polens, mit seiner ganzen Familie in die Reichshauptstadt Berlin geflüchtet, stand am Beginn einer großen Karriere. Die Investitionen in ein Box-Gym in der Berliner Georgenkirchstraße, die die beiden Seeligs getätigt hatten, schienen sich gelohnt zu haben, und die zwei bei Tennis- Borussia Berlin gemeldeten Sportenthusiasten begannen bereits von einem EM- oder WM-Titel zu träumen...

Doch am Abend des 31. März kam alles ganz anders. Die Seeligs bekamen Besuch von einem SA-Schlägertrupp, deren Anführer dem deutschen Meister den „guten Rat“ gab, in der Box-Arena Neue Welt, wo die Veranstaltung stattfinden sollte, erst gar nicht zu erscheinen und auf eine Verteidigung des Titels lieber zu verzichten. Vor Beginn des Hauptkampfes verkündete dann Ringsprecher Grimm „im Auftrag der Boxbehörde und des Zentralvorstands des VDF“, dass die Mittelge- wichtsmeisterschaft Seelig – Seifried verboten sei und nicht stattfinden könne.

Den Grund hiefür erfuhr die Öffentlichkeit am 4. April 1933 im „Box Sport“, Nr. 653. Der Verband Deutscher Berufsboxer gab die folgenden einstimmig gefassten Beschlüsse seines neunköpfigen, vom neuen Idealismus auf dem Boden einer nationalen Gesinnung geleiteten Zentralvorstands bekannt:

Eine Woche später konnte der „Box Sport“ bereits erste „Erfolge“ vermelden: die Titel im Mittel- und Halbschwergewicht seien bereits „frei“ geworden, der Düsseldorfer Schwergewichtler Paul Wallner – ein, so wörtlich „besonders fairer Charakter, weil er bei dieser Gelegenheit auch seine Schulden beglich“ – habe mit Manager Heinrich Seelig bereits seinen Management-Kontrakt gelöst und der Vater des Weltergewichtlers Alfred Katter sei in der Redaktion erschienen, um mitzuteilen, daß er das bisher den Gebrüdern Seelig gehörende Box-Gym in der Georgenkirchstraße käuflich erworben habe und unter dem Namen „Sportschule Katter“ weiterführen wolle. Die Seeligs selbst hatten sich mittlerweile nach Paris abgesetzt und versuchten, Erichs Karriere als Profiboxer unter den geänderten Bedingungen fortzusetzen.
Gleich in seinem ersten Kampf im Exil – ­ noch im Juni 1933 – trat der von den Nazis des Meistertitels beraubte Erich Seelig in Paris in einem Nicht-Titelkampf über 12 Runden gegen den routinierten, im Zenit seiner Karriere stehenden NBA-Weltmeister Marcel Thil, einen Belgier an, der zu diesem Zeitpunkt bereits 125 Profikämpfe bestritten hatte und als einer der gefährlichsten Puncher galt. Seelig verlor, aber er schlug sich mit Bravour. Er verlangte dem Meister alles ab und verlor nur nach Punkten. Binnen eines halben Jahres bestritt Seelig vier weitere Kämpfe – unter anderem schlug er den französischen Meister Jack Etienne in einem auf 15 Runden angesetzten Fight in Runde 14 schwer k.o. – um im Januar 1934 ein weiteres Mal von Marcel Thil verpflichtet zu werden. Wieder hielt sich Seelig prächtig und verlor abermals nur vergleichsweise knapp nach Punkten.

Die engagierte Leistung gegen den amtierenden Weltmeister brachte ihm einen weiteren, dringend benötigten Zahltag. Er durfte – eineinhalb Monate nach dem 12-Runden-Kampf gegen Weltmeister Thil –  in einem auf 15 Runden angesetzten Kampf gegen Europameister Gustave Roth, ebenfalls Belgier, in dessen Heimatstadt Brüssel ran – diesmal gings sogar um dessen Titel.

Der junge Seelig verlor nach Punkten – erwartungsgemäß, möchte man auf Grund des Mammutprogramms fast sagen – aber die „Kampfkasse“ der Seeligs war jetzt voll genug, um den weiteren Fluchtweg finanzieren zu können. Ziel waren die USA, wo nicht nur ein Höchstmaß an Sicherheit gegeben schien, sondern trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach wie vor gutes Geld zu verdienen war.
Über London, wo er im Vorbeigehen auch noch ein paar Kämpfe annahm und Havanna, wo es zwar schönes Wetter, aber nichts zu verdienen gab, gelangte Erich Seelig nach New York, wo er im Dezember 1935 gegen den bekannten Ex-Weltmeister Mickey Walker gleich einen spektakulären K.o.-Erfolg errang.
Insgesamt bestritt Erich, jetzt „Eric“, Seelig in den USA noch 57 Kämpfe und wurde in der von Box-Papst Nat Fleischer herausgegebenen Weltrangliste 1935 auf Platz 7, ein Jahr später auf Platz 10 und 1938 sogar auf Platz 6 geführt. Ende 1939, der2. Weltkrieg war bereits voll entbrannt, erhielt Eric Seelig sogar noch die Chance, gegen Al Hostak, einen gefürchteten K.o.-Schläger um den NBA-Weltmeistertitel zu boxen, verlor aber bereits in der 1. Runde.

Danach ließ er sich – mittlerweile mit Greta Meinstein, einer aus dem bayrischen Zinsdorf emigrierten Hürdenläuferin verheiratet – in Atlantic City nieder, betrieb zunächst eine Hühnerfarm und machte schließlich, wie seinerzeit in Berlin, ein Box-Gym auf.

Im Deutschland der Adenauerära geriet der Name Seelig in Vergessenheit. Im Welt-Sport-Lexikon, Nachschlagewerk des Sports, herausgegeben 1956 in Essen, findet sich nur der Eintrag: „Seelig, Erich; Deutscher Meister im Boxen, Halbschwergewicht; gab den Titel im März 1933 wegen Gewichtszunahme kampflos ab.“

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Letzte Änderung: 18.10.2012
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