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Aus dem Inhalt der Ausgabe 2/3 – 2003

Mit einer Sonderbeilage zum 60. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Getto

cover bild
Tadeusz Lucjan Grnowski: Bühnenbildentwurf zu
"Babelturm", 1927
© Museum Leopold: "Der neue Staat - Polnische Kunst in
den Jahren 1918–1939"


Blick zurück

In den letzten Wochen war viel von Stalingrad die Rede, der Schlacht, die das Ende der Nationalsozialistischen Schreckensherrschaft einleitete – gerade zehn Jahre nach der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933. Zehn Jahre sind in historischen Dimensionen eine kurze Zeit. Doch in dieser überschaubaren Zeitspanne von nur einem Jahrzehnt hat sich das Gesicht Europas dramatisch verändert, wurde ein Teil Europas praktisch ausgerottet. Zwischen der Machtergreifung Hitlers und dem Aufstand im Warschauer Getto, der am 19. April 1943 ausbrach, liegt die eiskalt geplante Ermordung ungezählter Unschuldiger und die systematische Zerstörung jüdischen Kulturgutes, das Jahrhunderte lang ein Teil der europäischen Zivilisation war.

In historischen Dimensionen sind aber auch 60 Jahre keine lange Zeit. Sechs Jahrzehnte nachdem der letzte Akt der Katastrophe begann, widmet sich die Illustrierte Neue Welt nun in dieser Ausgabe dem Andenken an den heroischen und aussichtslosen Kampf gegen Hitlers Mordmaschinerie. Es ging nicht um Sieg sondern nur darum, die Art des Todes selber zu wählen und in Würde zu sterben. Noch nie wurde der Welt so drastisch vor Augen geführt worden, wohin Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Volksverhetzung führen.

Oft aber wurde die Aufarbeitung der Vergangenheit nur sehr zögerlich betrieben. Doch in jüngster Zeit gibt es auch ermutigende Signale der Besinnung – gerade noch zu Lebzeiten mancher Opfer. So ist auch diese Ausgabe der Illustrierten Neuen Welt ein Zeichen für diese Neuorientierung. Unterstützt durch das Polnische Institut und das österreichische Bundeskanzleramt, in einer internationalen Kooperation mit der renommierten polnischen Zeitschrift „Midrasch“, würdigt diese Ausgabe der Illustrierten Neuen Welt die Helden, die mit dem Aufstand im Warschauer Getto ein unvergessliches Zeichen setzten – und einen eindringlichen Appell an das Gewissen ihrer Zeitgenossen so wie aller folgenden Generationen. Diese Grenzen überschreitende Zusammenarbeit zwischen der Illustrierten Neuen Welt und der Midrasch ist ihrerseits ein Zeichen für das Zusammenwachsen Europas, das ein Garant dafür sein soll, dass sich Katastrophen wie jene vor 1945 nie mehr wiederholen.

Ganz persönlich möchte ich an dieser Stelle Dr. Jacek Buras, Leiter des Polnischen Institutes in Wien, für seine Initiative und Frau Dr. Gabriele Lesser für ihren Einsatz und Koordinationsarbeit danken.

Der Ruf, einen Schlussstrich zu ziehen, begann schon gleich nach der Katastrophe – wo es galt die Vergangenheit zu vergessen um die Zukunft zu meistern. Wie uns die Geschichte lehrt ist der Ruf nach Aufarbeitung in den nachfolgenden Generationen stärker als bei den Betroffenen selbst. Während die Opfer sehr wohl über ihre Erfahrungen sprachen, fanden diese außer bei ihresgleichen nur selten Zuhörer, vor allem wenn es um Entschädigungen ging. Bereits unmittelbar nach dem Krieg versuchten auch österreichische Politiker, ganz bewusst eine sachliche Aufarbeitung des Geschehenen zu verhindern und die materielle Widergutmachung zu hintertreiben.

Erst in jüngster Zeit verstärken sich die Anstrengungen, eine echten Auseinandersetzung zu führen und davor gewissenhaft alle Fakten, die jetzt noch erhoben werden können, zu sichern und der Nachwelt zu erhalten. Die Arbeit der von der österreichischen Bundesregierung eingesetzten Historikerkommission ist mehr als nur ein Signal des guten Willens. Die kürzlich vorgelegten Ergebnisse jahrelanger Recherchen sind einerseits ein moralischer Ansporn, noch kurz bevor es ganz zu spät ist materielle Abbitte zu leisten, andererseits sind sie aus der Sicht des Geschichtswissenschaftlers ein Schatz, dessen Wert erst die Historiker kommender Jahrhunderte ermessen können.

Am 1. Oktober 1999 wurde die Historikerkommission eingesetzt. 160 Forscher haben seither 53 Berichte mit insgesamt 1400 Seiten geschrieben. Ihre Aufgabe war es, „den gesamten Komplex Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen sowie wirtschaftliche und soziale Leistungen der Republik Österreich ab 1945 zu erforschen und darüber zu berichten“, so hieß es damals. Zum Vorsitzenden bestellte die Regierung den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes Clemens Jabloner. Ihm zur Seite standen acht Historiker und Juristen als ständige Mitglieder der Kommission. Der Schlussbericht umfasst 450 Seiten. Wie diesem Bericht zu entnehmen ist, war die Historikerkommission mehr als nur eine Plattform von Wissenschaftern, die ein wenig erfreuliches Kapitel österreichischer Zeitgeschichte erforscht haben. Sie sei selbst zum „geschichtlichen Ereignis“ geworden, heißt es in dem Bericht.

Der Bericht (momentan ist er nur im Internet unter www.historikerkommission.gv.at zugänglich, er wird aber voraussichtlich auch in gedruckter Form erscheinen) ist ein wichtiger Beitrag, die Last der Vergangenheit etwas leichter zu ertragen. Er darf jedoch keineswegs als Schlussstrich gewertet werden, vielmehr als Grundlage weiterer Forschung und Intensivierung der Verbreitung, um sowohl einen detaillierten wie auch komplexen Einblick in die Geschichte zu erlangen.

Dem zu dienen ist auch eines der Ziele dieser Gedenkausgabe der Illustrierten Neuen Welt. Nur der offene und unvoreingenommene Umgang mit der Vergangenheit kann dazu beitragen, die Wiederholung derartiger Katastrophen zu verhindern.

Joanna Nittenberg

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Im Osten nichts Neues

So müsste man schreiben, wenn man Israel vor den zwei Golfkriegen vergleicht. Die Parallelen sind so zahlreich, dass man den Staat Israel gerne für eine Behandlung eines nationalen Dejà-vu auf die internationale Couch schicken möchte. Zuerst das Offensichtliche: wieder droht ein Präsident Bush Saddam Hussein mit einem Krieg, dessen Wellen auch an israelische Strände schlagen werden. Israel steckt wieder inmitten einer Intifada, die vom Volksaufstand zu einer reinen Terrorkampagne entartet ist. Als hätte es den Oslovertrag nie gegeben, besetzt heute Israel wieder die gesamte Westbank und de facto ist auch fast ganz Gaza wieder unter israelischer Kontrolle. Wie 13 Jahre zuvor wendet sich der israelische Wähler, von einer geistig gelähmten und ideenlosen Einheitsregierung enttäuscht, wieder scharf nach rechts. Als Resultat ist wieder ein reaktionärer Likudnik Premier Israels. Genau wie Schamir 1990 bildet Scharon heute eine Regierung aus denselben Elementen. Im ersten Golfkrieg lud Schamir Rehavam Zeevi als Minister in seine Regierung. Vorher noch als Paria wegen seiner Idee des Transfers der Araber in Verruf, kam so ein rechtsextremer Politiker ins Kabinett und seine Ideen wurden salonfähig. Das heutige Pendant dazu bildet Minister Lieberman mit seiner Herut Partei, dessen Ideologie eine Fortführung Zeevis bildet.

Die große Überraschung der damaligen Wahlen war die Partei Zomet, die, obschon auch rechts gelagert, die Korruption sowie die Trennung von Staat und Religion zu ihrem zentralen Wahlkampfthema gemacht hatte. Der große Gewinner der letzten Wahlen war Shinui, die Partei des Fernsehmatadoren Lapid. Ihr zentrales Wahlkampfthema war, welch Überraschung: Trennung von Staat und Religion sowie weniger Korruption. In den Wahlen bekam Shinui Zulauf von rechts wie von links und ist in außenpolitischer Sicht keiner Richtung zuzuordnen. So ist Scharon überlassen, seiner eigenen Weltsicht freien Lauf zu lassen. Wie damals Schamir setzt heute Scharon dabei auf die Lösung, die für die Rechte am bequemsten ist: nämlich eine langwierige Zwischenregelung mit so vielen Konditionen und Aufschubmöglichkeiten, dass sie in Wirklichkeit gar kein Lösungsversuch ist.

Erneut steckt Israel in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Der Lebensstandard ist in realen Maßstäben gesunken. Die Arbeitslosenquote liegt über 10% und jeden Monat erinnert der Report des Zentralamts für Statistik mehr an das Buch Hiob als dass er Hoffnung für die Zukunft birgt. Allein im Januar waren die Steuereinnahmen 9% niedriger als erwartet. Dies erfordert immer strengere Kürzungen im Staatshaushalt, welche eine antizyklische Fiskalpolitik unmöglich machen. Die Presse füllt sich mit Geschichten von Soldaten, die nicht nach Hause wollen, weil es dort nichts zu essen gibt. Arme stellen sich krank um im Krankenhaus eine warme Mahlzeit zu ergattern. Im Zentrum Tel Avivs haben Obdachlose ein Dorf aus Zelten errichtet. Die Palästinenser hat ihre Intifada noch schwerer getroffen. Ihre Wirtschaft befindet sich heute auf dem Niveau der siebziger Jahre, und immer härtere Vergeltungsmaßnahmen der Armee sähen einen expandierenden Kreis der Zerstörung, Armut, Hoffnungslosigkeit und des Hasses.

Wie reagiert Scharon auf diese Herausforderung? Bis heute versprach jeder neue Premier nicht mehr als 18 Minister zu ernennen. Scharon war insofern die Ausnahme, als dass er sich sogar schriftlich dazu verpflichtete. Nun geht er aber mit 23, also fünf überflüssigen, Ministern daran, den Staatshaushalt zu kürzen, vor allem die Zuwendungen für Sozialhilfeempfänger und Schulen. Dies allein ist eine Verschwendung in zweistelliger Millionenhöhe. Scharon versprach auch, das Religionsministerium zu schließen. Dazu ernannte er einen Vizeminister der national-religiösen Partei, die dem vehement widerspricht. Schon heißt es, das Ministerium werde wahrscheinlich „länger als ein Jahr brauchen, um sich aufzulösen“. Wird die Katze wirklich ihre eigene Sahne ausgießen? In vielen Bereichen ist Scharon offiziell bereit, den Gürtel enger zu schnallen, doch die Siedlungen gehören in diesem Sinne nicht dazu. In den Koalitionsgesprächen mit Mitzna gab Scharon zu erkennen, dass er nicht auch nur eine Siedlung räumen würde. Diese Position vertritt er, obwohl der Schutz abgelegener Siedlungen Millionen verschlingt, von der Gefahr für die dort stationierten Soldaten ganz zu schweigen.

Doch die heutige Lage Israels unterscheidet sich in manchen Aspekten erheblich von der 1990. Auf den Krieg selbst ist Israel weitaus besser vorbereitet als damals und kann ihm gelassen entgegensehen. Israel ist der einzige Staat in der Welt mit einem operativen Waffensystem gegen ballistische Mittelstreckenraketen. Die Rettungskräfte sind schon geimpft und Gasmasken an die Bevölkerung verteilt. Auch halten die Amerikaner diesmal weitaus mehr Streitkräfte mit der Aufgabe in Reserve, einen Raketenabschuss aus dem Westen Iraks unmöglich zu machen. So macht sich in Israel keine Panik breit.

Für die Zeit nach dem Krieg ist Israel allerdings weitaus schlechter gerüstet als vor 13 Jahren. Im Gegensatz zu damals erwartet Israel keine große Einwanderungswelle, welche die Wirtschaft ankurbeln könnte. Ein im Irak verstrickter Bush wird nur wenig wirtschaftliche Reserven übrig haben, um Israel aus dem Schlamm zu ziehen. Schon bestehen Zweifel, ob die USA Garantien für zukünftige Staatsanleihen geben werden. Es darf auch kein Zweifel daran bestehen, dass der Krieg letztendlich Israel den politischen Preis für Amerikas Isolation abfordern wird, und zwar in der Währung erheblichen Druckes zu einschneidenden Konzessionen den Palästinensern gegenüber. Der größte Rückschlag ist jedoch das Hoffnungsdefizit, das die Trümmer des Friedensprozesses in sich bergen. Im Gegensatz zu damals hegt kein Israeli mehr Glauben an die Möglichkeit einer friedlichen Lösung mit den Palästinensern, zumindest solange Arafat dort herrscht. So besteht in naher Zukunft keinerlei Aussicht auf einen Richtungswechsel in der Regierung.

Es wurde mal behauptet, dass, wie in einem steten Kreis, die Geschichte sich wiederholt; dies ist eine beschränkte Sicht. Im Nahen Osten sieht man das dreidimensionale Bild. Dieser Teufelskreis ist eine Spirale. Und die dreht sich immer weiter nach unten.

Gil Yaron

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Französische Schuldgefühle und Israel

D. Dayan
Daniel Dayan

Ende Februar fand eine von Prof. Robert Wistrich am Vidal-Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (Hebräische Universität Jerusalem) organisierte mehrtägige Konferenz über „Antisemitismus & Vorurteile in zeitgenössischen Medien“ statt. Neben dem Nahen Osten war die „Feindschaft gegen Juden in Frankreich in der Vergangenheit und Gegenwart“ ein zentrales Thema.

Der katholische Priester Patrick Desbois hielt einen einleitenden Vortrag über die Säkularisierung des christlichen Antisemitismus seit dem XIX. Jahrhundert in Frankreich.

Professor Daniel Dayan, director of research am Centre National de la Recherche Scientific (Paris), der Mediensoziologie an den Universitäten Oslo und Genf lehrt, beleuchtete in seinem Vortrag

Zwei Jahre französische Medien, die elitäre Konstruktion von Vorurteilen anhand von Beispielen die verzerrte Berichterstattung über Israel.

Außerdem zeigte er auf, wie französische Medien versuchen die seit Herbst 2000 dauernde Welle von Angriffen gegen jüdische Institutionen und Personen als Taten von isolierten Geistesgestörten darzustellen und die antisemitischen Motive nicht wahrzunehmen. Aufgrund dieser Berichterstattung hat sich Dayan einer Gruppe französischer Intellektueller – die meisten von ihnen aus Nordafrika stammende Juden, die sich zum Ziel gesetzt haben die Einseitigkeit in der Berichterstattung aufzuzeigen – angeschlossen. Er kritisiert hauptsächlich die Tageszeitung „Le Monde“, die eine Galaxie von Medien besitzt. Dayans Meinung nach gibt es im akademischen Selbstverständnis in Frankreich keine öffentliche Meinung, was den Konflikt Israel-Palästinenser betrifft. Denn die Medien müssten ausgewogen informieren, geben aber dem Publikum meistens eine Nichtinformation. Darunter versteht Dayan Journalisten, die einseitig, lediglich die Meinung einer (meistens der palästinensischen) Seite vertreten, als ob das ihre Gedanken wären oder sie schreiben über den Konflikt aus Paris und sprechen für diese Seite, was ich als ,Karaoke‘ bezeichne.

Seiner Meinung nach dient der Konflikt „zur Befreiung von einem doppelten Schuldkomplex, für das, was während des Zweiten Weltkrieges in Vichy-Frankreich und das was nach dem Krieg in Algerien geschah. Sie behaupten zum Ersten, das Volk, das die Shoah erlitt, begeht die gleichen Verbrechen an den Palästinensern und zum Zweiten, dass die Israelis Kolonialisten sind, daher darf man sie hassen und das sei kein Rassismus“.

Dieser Hass gegen Israel hat eine Wirkung auf das Verhältnis zu den Juden Frankreichs, die nichts tun können. Was macht man wenn man auf der Straße angegriffen wird? Geht man mit einem Schild ,ich habe keine Verbindung zu Israel, oder mit einer Fahne? Oder soll man einen gelben Fleck anbringen?

Dayan sieht drei Gruppen von jüdischen Intellektuellen. Die erste identifiziert sich bedingungslos mit Israel und mit Scharon, sie vertritt die neue Identität, die man Juden generell zuschreibt, indem man sie als „konfessionell“ und fremd wahrnimmt. Das ist – seiner Meinung nach – kein Antisemitismus im breiten Sinne des Wortes, sondern eine Neugestaltung der französischen Identität, die kurz definiert so lautet: Moslems in, Juden out.

Die französische Gesellschaft hat einen revolutionären Schritt getan, um die moslemischen Einwanderer aufzunehmen. Dayan befürwortet die Bemühungen, sich mit der Welt des Islam zu befassen und weist darauf hin, dass jede Ausstellung, die etwas mit dieser Welt zu tun hat, einen großen Erfolg verbuchen kann. Was ihn verärgert, ist, dass im Gegensatz zu der Bemühung, die Moslems zu integrieren, versucht wird die Juden auszuschließen und sie zu marginalisieren.

Eine kleine Gruppe von Juden geht in ihrer Kritik an Israel so weit, das Existenzrecht des jüdischen Staates abzulehnen. Das sind „erwünschte“ Juden in Frankreich. Dayan erwähnt als Beispiel einen ehemaligen Israeli, der von den Medien als Jude oft zu Wort zu kommt, um den Staat Israel zu verurteilen. Als ein Medium ihn über die Zukunft der jüdischen Kultur in Frankreich interviewen wollte, antwortete er,„die kenne ich nicht und sie interessiert mich nich“. Das paradoxe aber, ausgerechnet dieser Mann erhält von den Medien eine Bühne, um seine Kritik an den jüdischen Gemeinden zu äußern.

Die dritte Gruppe von Juden, zu der auch Dayan gehört, die sich nicht automatisch mit jeder israelischen Maßnahme identifiziert, die aber unbedingt für eine gerechte Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern eintritt, wurde nach Oslo von den Medien verwöhnt. Nun erhält diese fast keine Möglichkeit, sich zu äußern. Dayan, der früher oft um Interviews gebeten wurde, merkt, dass dies seit mehr als zweieinhalb Jahren kaum erfolgt und dass die meisten seiner Leserbriefe nicht gedruckt werden. Er sieht sich und andere in eine „tribalistische Ecke“ gedrängt und markiert. Zum Beispiel wurden er und einige Kollegen, zu denen so bekannte Persönlichkeiten gehören wie Alain Finkielkraut, der Schriftsteller Pascal Bruckner, Pierre-André Taguieff, der einzige Nichtjude, der sich aber mit der Shoah beschäftigt, und der Filmregisseur Jacques Tarnero in zwei Büchern und in „Le Monde diplomatique“ als „reaktionär“ abqualifiziert.

Während der Tagung wurde der französische Film „Decryptage“ (Entzifferung) von Jacques Tarnero und Philip Bensoussan vorgeführt. Er zeigt lange Ausschnitte aus palästinensischen und arabischen Fernsehfilmen, die im französischen TV (und im ORF) in der Regel nicht gezeigt werden. Da lobt Arafat „Das Kind, als Schahid“ (Märtyrer) oder man siehteinen arabischen Intellektuellen, der behauptet, dass es in Auschwitz keine Gaskammern gab.

Im Film wird auch aufgezeigt, wie das französische Fernsehen die Erschießung des Kindes Mohammed al Dura manipuliert dargestellt hat und wie diese Geschichte von arabischen Sendern zur antiisraelischen Hetze gebraucht wurde. „Decryptage“ dokumentiert, welche Rolle die französische Nachrichtenagentur AFP bei den Unruhen 1996 spielte, als sie ihren Bericht „irrtümlich“ mit „Tunnel unter den Moscheen auf dem Tempelberg“ titelte.

Den Vogel aber schoss die linke französische Tageszeitung „Liberation“ ab, als sie im September 2000 auf der Titelseite ganz groß das Bild eines israelischen Grenzpolizisten mit Schlagstock und neben ihm einen blutenden „palästinensischen“ Jugendlichen veröffentlichte. Es kam heraus, das dieser ein amerikanischer Jude war, den der Israeli vor dem Lynchen durch einen palästinensischen Mob gerettet hatte. Die Berichtigung des „Irrtums“ erfolgte dann allerdings klein auf Seite 13.

Die bei antiisraelischen Demonstrationen getragenen Transparente, auf denen man ein Gleichheitszeichen zwischen Scharon und Hitler und zwischen dem Davidstern und dem Hakenkreuz sehen kann und die im Film gezeigt werden, tragen genauso wie die allgemein verzerrte Berichterstattung über Israel bei zur Welle antijüdischer Gewalt in Frankreich.

Karl Pfeifer

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Gloria Victis

Der Wert des Opfers

von Irena Lipowicz Botschafterin der Republik Polen in Österreich 

beilagetitelbild
El mole rachamim (Aquarell)
Bronislaw Linke, 1956

Seit tausend Jahren ist die Geschichte der Polen von der der Juden auf polnischem Boden nicht zu trennen. Es gab in dieser Geschichte schöne, erhabene und tragische Momente. Es gab Unverständnis und Verfolgung. Doch während dieser ganzen Zeit hörte der Prozess der gegenseitigen Bereicherung und Durchdringung der Kulturen nie auf.

Heute sind wir nicht mehr imstande festzustellen, in welchem Ausmaß der polnische Wille, die für 123 Jahre verlorene Unabhängigkeit wiederzuerlangen, durch das Beispiel der allgegenwärtigen, lebendigen Überzeugung geprägt worden ist, dass man sich nächstes Jahr in „Jerusalem“, dem Symbol des für Jahrhunderte Verlorengegangenen, treffen kann.

Wir sind auch nicht imstande zu sagen, inwiefern die polnische Denk- und Lebensart und der polnische Sinn für Humor, vor allem in den schwierigsten Lebenslagen, aus der jüdischen Tradition übernommen wurden. Andererseits wissen wir nicht, inwieweit das Leben im polnischen Umkreis die jüdische Diaspora beeinflusst hat. Das im Entstehen begriffene Museum der polnischen Juden wird helfen, diese Fragen genauer zu beantworten.

Man weiß jedoch, dass das Stammland Polen in Israel eine genauso deutliche Identität besitzt wie das Stammland Ungarn oder Griechenland. Und wir wissen ganz bestimmt: Der Aufstand in einer hoffnungslosen und augenscheinlich unumkehrbaren Situation, sei es nur, um in Würde zu sterben, um Zeugnis abzulegen, um anderen ein Beispiel zu geben, um sich bis zum Schluss treu zu bleiben, gehört zu den zentralen Mythen der polnischen Geschichte.

Der Aufstand im Warschauer Getto reiht sich damit in die großen Aufstände auf polnischem Boden ein. Die Generation, die 1943 und ein Jahr später, 1944, im Warschauer Aufstand, sich zum Kampf gegen die Hitlerdeutschen erhoben hat, war in einer Atmosphäre der Verehrung für die Kämpfer des tragischen polnischen Januar-Aufstands von 1863, als kleine Truppen der Aufständischen in Wäldern umherirrten und in verzweifelten Gefechten den überlegenen Kräften des Feindes die Stirn boten, aufgewachsen. Der Anführer dieses Aufstands, Romuald Traugutt, ein Mann mit unerschütterlichen moralischen Prinzipien, starb auf dem Galgen. Heute wird er von den Polen als einer seiner rechtschaffensten und, trotz jeglichen Fehlens von Illusionen, opferwilligsten Anführer verehrt.

Im polnischen wie jüdischen Schulunterricht der Zwischenkriegszeit 1918-1939 waren Romuald Traugutt, die Geschichte seines Opfers und die Geschichte dieses Aufstands präsent, der der tragischste, sinnloseste und hoffnungsloseste schien, während er allgemein als der Samen betrachtet wurde, aus dem 1918 Polens Unabhängigkeit erwuchs, und so waren sie auch präsent im Bewusstsein und Unterbewusstsein der Aufständischen.

Andererseits rief gerade der Aufstand im Warschauer Getto, außer der kleinmütigen menschlichen Gefühle der Gleichgültigkeit, und auch der Erleichterung, dass „es noch nicht wir sind, denen das gilt“, die in vielen polnischen Häusern damals herrschten, auch das Gefühl der Bewunderung und der Schicksalsgemeinschaft hervor. Daraufhin unternahmen viele den Versuch, aktiv zu helfen, Menschen zu retten. Der Aufstand war immer schon etwas, was die Polen als Opfer am meisten zu schätzen wussten und was uns wieder vereint hatte. 1943 ist nicht nur das Jahr des Aufstands, das ist auch das Datum des Berichts von Jan Karski. Der Bericht über die Lage im Warschauer Getto, über die geplante Vernichtung des ganzen jüdischen Volkes, den die polnischen Untergrundkämpfer in ihrer Verzweiflung in den Westen geschickt hatten, erweckte in den Kabinetts in London wie Washington bestenfalls Misstrauen. Der Berater des Präsidenten Roosevelt gab seiner Überzeugung Ausdruck, Karski, jener Bote des polnischen Untergrunds, der mit dem Bericht in den Westen gelangt war und der aus dem Gedächtnis zitierte, was die Anführer der jüdischen Gemeinschaften im Warschauer Getto ihm gesagt hatten, sei zwar ein rechtschaffener Mensch, aber die Dinge, über die er erzähle, und die Pläne, die der polnische Untergrund, darunter die Organisation „Zegota“, entdeckt hätten, seien dermaßen unglaublich, dass die Polen sich ganz einfach geirrt haben müssten.

Wir können nur versuchen, uns vorzustellen, wie die Geschichte der Welt sich weiter entwickelt hätte, hätten die Großmächte 1943 den Zeugnissen des polnischen Untergrundes geglaubt. Wir können überlegen, wie wir die Geschichte verstehen würden, gäbe es nicht die Zeugnisse dieser beiden großen Aufstände, beide in Warschau, beide anfänglich als vergeblich angesichts der Unvermeidlichkeit der Vernichtung betrachtet, und die neben der Vernichtung der Menschen auch die Vernichtung der Stadt mit sich gebracht haben.

Es besteht jedoch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen diesen beiden Aufständen, ein Unterschied, den Wladyslaw Szpilman so krass in seinem schönen Buch „Der Pianist" beschreibt. Es ist eben Szpilman gewesen, der aus der Perspektive eines in Verstecken um das elementare Überleben kämpfenden und von allen Seiten bedrohten jüdischen Flüchtlings eine der schönsten und synthetischsten Beschreibungen des Warschauer Aufstands geliefert hat.

Die von ihm geschilderte Szene, wie die Warschauer Aufständischen als wirkliche moralische Sieger, wenn auch ausgemergelt, verwundet und als Kämpfer geschlagen, die Stadt verlassen, trägt in sich die Größe eines heroischen antiken Bildes. Andererseits haben die Historiker bei aller Verehrung für die Aufständischen den Unterschied zwischen unseren beiden Warschauer Aufständen 1943 und 1944 nicht vergessen. Das Gefühl der endgültigen Vernichtung und Einsamkeit, obwohl es auch Warschau 1944 begleitete, war unvergleichlich stärker im Falle der Aufständischen im Getto als in dem der stets von (oft irrationaler) Hoffnung erfüllten Kämpfer von 1944.

Zwei große Bücher: „Dem Herrgott zuvorkommen“ von Hanna Krall und „Tagebuch des Warschauer Aufstands" von Miron Bialoszewski; Hanna Krall beschreibt die Eindrücke Marek Edelmans, Bialoszewski vermittelt seine eigene Sicht des Warschauer Aufstands. Diese beiden Bücher kann man allen empfehlen, die diese Unterschiede erkennen möchten und verstehen wollen, welche Botschaft uns heute der Aufstand im Warschauer Getto hinterläßt.

Es ist wichtig, dass wir in der vorliegenden Sammlung von Texten auch solche vorfinden, die die Situation in anderen Gettos beschreiben. Man kann nämlich keine Wertung vornehmen und behaupten, es habe im Warschauer Getto einen Aufstand gegeben, ergo hätten die dort zusammengebrachten Menschen eine größere Geisteskraft bewiesen als Menschen in anderen Lagern, denn das waren die Gettos ja in Wirklichkeit. Oft ist das einfach rein physisch nicht möglich gewesen. Das Bewusstsein der Situation in dem Lodzer oder dem Krakauer Getto lässt diesen Unterschied wirklich begreifen und die Formen des Widerstands erkennen, den es praktisch überall gegeben hat.

Wenn wir uns heute vor den Aufständischen im Warschauer Getto verneigen, können wir ihr Opfer und deren Ziel, Sinn und Lehre mit Rührung in unsere Zeit hinübertragen. Ihr Sinn wird nicht alt. Dieses Opfer bleibt ewig jung, so jung wie die Aufständischen im Frühling 1943.

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Revolten in Gettos im besetzten Polen

von Andrea Löw

Dieses letzte Bild vom Generalstab des Bialystoker Gettoaufstandes hat sich in mein Gedächtnis gegraben: der kleine Raum in der Ciepla-Straße 13, Mordechai und Daniel am Tisch mit der bunten Decke, der Stadtplan des Gettos vor ihnen ausgebreitet, der Schrank, in dem die Waffen hingen, weit geöffnet. Die beiden Männer kannten sich erst ein paar Wochen. Ich stand für einen langen Moment am Tisch und sah aus dem Fenster. Die Sonne schien herein. Es war heiß im Zimmer.“ Chaika Grossmann, die zu den Organisatoren des Aufstandes im Getto von Bialystok gehörte, sah Mordechai Tenenbaum und Daniel Moszkowicz nie wieder. Es war der Morgen des 16. August 1943. Die Auflösung des Gettos begann.

Erst einen Monat zuvor war es gelungen, aus zwei politisch miteinander konkurrierenden Organisationen die „Antifaschistische Kampffront“ zu bilden. An ihrer Spitze standen Mordechai Tenenbaum, eine erklärter Zionist, und Daniel Moszkowicz, ein Kommunist. Lange Zeit war eine Zusammenarbeit vor allem an der Frage gescheitert, ob es sinnvoller sei, einen Aufstand im Getto zu wagen, oder ob man besser auf den Partisanenkampf in den Wäldern setzen sollte. Konnte man Familien und Freunde, Alte und Kinder allein im Getto zurücklassen? Oder sollte nicht besser das ganze Getto gemeinsam kämpfen und so eine Massenflucht ermöglichen?

Im Februar 1943 deportierten die Nazis 10.000 Juden aus Bialystok nach Treblinka. Nur der „Antifaschistische Block“ leistete mit geringen Mitteln bewaffnete Gegenwehr. Da machten die vielen im Kampf Erschossenen eine Änderung der Taktik notwendig. Man teilte sich auf. Während einige bewaffnete Einheiten in die Wälder gingen, bereitete sich die Mehrheit auf einen Aufstand im Getto vor. Als aber die ersten SS-Einheiten bereits am Morgen des 16. August mit der Räumung des Gettos begannen, steckte die Widerstandsbewegung noch mitten in den Planungen. Längst waren nicht alle Waffen repariert. Weitere sollten beschafft werden. Viele der etwa 500 Kämpfer mussten sich mit selbstgebauten Waffen begnügen, andere griffen zu Messern, Äxten oder Eisenstangen.

Doch sie gaben nicht auf. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages überklebten sie die NS-Plakate mit einem Aufruf, sich nicht „zur Aussiedlung“ zu melden, sondern stattdessen den Kampf gegen die Nazis aufzunehmen. „Außer unserer Ehre haben wir nichts mehr zu verlieren! Möge der Feind teuer für unser Leben bezahlen!“ Anders als im Februar 1943, als sich die Mehrheit der im Getto Eingeschlossenen noch vor den SS-Männern versteckt hatte, gingen sie nun – verzweifelt und erschöpft von Hunger und Angst – zum Sammelplatz. Als dort etwa 20.000 Gefangene versammelt waren, eröffnete die Widerstandsbewegung das Feuer. Doch das Getto war von SS, Wehrmachtsoldaten und ukrainischen Kollaborateuren umstellt. Der Durchbruch, der die Flucht hätte ermöglichen sollen, misslang. Die Übermacht war zu groß.

Etwa 300 Aufständische fielen am ersten Tag. Auch einige Deutsche starben. Ihre Zahl ist nicht näher bekannt. Trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses gelang es den Nazis erst vier Tage später, den Aufstand niederzukämpfen. Am 20. August 1943 erschossen sie Mordechai Tenenbaum und Daniel Moszkowicz. Einige wenige Überlebende entkamen in die Wälder und schlossen sich dem Partisanenkampf an. Chaika Grossman kämpfte als Untergrundkurierin weiter. Sie überlebte den Krieg, emigrierte nach Israel und wurde Abgeordnete in der Knesset.

Der Aufstand im Getto von Bialystok war der zweitgrößte nach dem Warschauer Gettoaufstand. In über 50 Gettos im besetzten Polen entstanden bewaffnete Widerstandsgruppen. Überall – wie auch in Bialystok oder Warschau – wurde lange über den Sinn eines bewaffneten Aufstandes gestritten, der in jedem Fall den Tod Tausender wenn nicht Zehntausender unbewaffneter Frauen, Kinder und Männer nach sich ziehen würde. Außerdem mussten Waffen ins Getto geschmuggelt werden. Auf Unterstützung von außerhalb des Gettos konnte man nur selten hoffen. Auch die meisten Judenräte waren einem Aufstand gegenüber eher skeptisch bis ablehnend eingestellt. Sie gingen von der Vorstellung aus, dass die Besatzer ihre Arbeiter nicht umbringen würden, die doch täglich ihren Gewinn steigerten. Daher fanden sich auch immer wieder viele Juden an den Sammelplätzen zur Deportation ein. Sie glaubten, mit der „Arbeit im Osten“ ihr Leben retten zu können. Die zu erwartende Kollektivstrafe der Nazis für eine Revolte im Getto hingegen würde das Leben aller Juden gefährden. Ein Aufstand stand daher für viele Juden im Getto im Widerspruch zu ihrem Überlebenswillen. Daher begannen die meisten Aufstände erst, als die Gettos aufgelöst wurden. Eine ganz andere Strategie verfolgte die jüdische Untergrundbewegung in Krakau. Die im Oktober 1942 gegründete „Vereinigte Jüdische Kampforganisation“ wirkte außerhalb des Gettos. Sie wollte mitten im Zentrum der Hauptstadt des Generalgouvernements, die eigentlich schon lange „judenfrei“ sein sollte, direkt gegen Deutsche vorgehen. Die spektakulärsten Aktionen waren die Anschläge vom 22. Dezember 1942: in mehreren Cafés, die von deutschen Soldaten und Beamten besucht wurden, explodierten Handgranaten. Im Café Cyganeria tötete die ZOB sieben Deutsche und verwundete über zwanzig.

Im damals noch polnischen Wilna kam es zwar nicht zum Gettoaufstand. Doch die hier im Januar 1942 gegründete Fareinikte Partisaner Organisatie (FPO) gehörte zu den bedeutendsten jüdischen Widerstandsbewegungen in Polen. Der Kampfruf des Dichters Abba Kovner, der später auch zur Führung der FPO gehörte, ging in die Geschichte ein: Lasst uns nicht zur Schlachtbank gehen wie die Schafe! Der Appell, der am 1. Januar 1942 auf einer Zionisten-Versammlung in Wilna verlesen und später in ganz Polen von Hand zu Hand ging, endete mit dem Aufruf: Leistet Widerstand bis zum letzten Atemzug.

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Dem Tod einen Sinn Verleihen

Von Gabriele Lesser,
Miatarbeiterin der INW und Polenkorrespondentin des "Standard",
Projektleiterin dieser Beilage.

Der Massenmord an den Juden war ein furchtbares Verbrechen. Zeitzeugen wie Historiker haben nie die richtigen Worte finden können, um es zu benennen: Vernichtung, Menschenvernichtung, Judenvernichtung. Der Ort, an dem die Nazis die meisten Menschen ermordeten, die Gaskammern, nannte man Todesfabriken der Judenvernichtung. Die Menschen, die nach Jahren des Hungers, Elends und der Hoffnung auf ein Überleben doch noch den Weg ins Gas antreten mussten, wurden zu „Lämmern, die sich zur Schlachtbank führen ließen“.

Ihr Tod war sinnlos. Wie sollten die Überlebenden an sechs Millionen Menschen erinnern, ohne vor lauter Verzweiflung den Lebenswillen zu verlieren? Allein in Warschau hatten die Deutschen 500.000 Juden ermordet. Diejenigen, die dort vor dem Krieg lebten und ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, sowie weitere 150.000, die die Nazis aus den umliegenden Städten und Städtchen und selbst aus Deutschland ins Getto nach Warschau verschleppt hatten.

Der Gettoaufstand hingegen, der Kampf mit der Waffe in der Hand, schien den Tod noch in der Erinnerung erträglicher zu machen. Denn der Kampf suggerierte, dass es sich nicht mehr um ein Verbrechen an den Juden handelte, sondern um einen Krieg, in dem die Juden ihr Volk verteidigten, für Erez Israel kämpften, für die Freiheit in Polen, für den Antifaschismus oder – zumindest – für einen Tod in Würde und Ehre. Der Bildhauer Nathan Rapoport überlebte die Naziokkupation Polens in Minsk, Nowosibirsk und Moskau. Hier schuf er bereits 1943 das erste Modell für das geplante Getto-Denkmal in Warschau. Er wollte, dass „das heroische und tragische Ende ihres Lebens über Generationen hinweg in Erinnerung“ bliebe, wie er 1987 in seinen Erinnerungen festhielt.

Tatsächlich schuf er ein überdimensionales Heldendenkmal mit muskulös-attraktiven Männern, zwei mit Gewehren und Patronengürteln bewaffneten Kindern und einer Frau mit Kleinkind, deren Brust wie auf dem berühmten Freiheitsbild von Delacroix entblößt ist. Die Flammen des brennenden Gettos greifen bereits nach ihr. Das Ende ist nahe. An den Seiten des Denkmals stehen zwei steinerne von Löwen flankierte Menorot, die bei Feierlichkeiten angezündet werden. Die in drei Sprachen wiedergegebene Inschrift auf dem Sockel lautet: „Dem jüdischen Volk – seinen Kämpfern und Märtyrern.“

Erinnerungswürdig erscheint Rapoport der heldenhafte Widerstand, der Sieg sogar in der Niederlage, nicht aber die Massenvernichtung Hunderttausender, die mit Viehwaggons nach Treblinka transportiert wurden.

Zwar gedenkt er auch dieser Opfer auf dem Denkmal, doch nur auf der Rückseite, die sich nur selten jemand ansieht. Hier gibt es keine Inschrift, keine Löwen und keine Menorot. Ein Flachrelief in Granit zeigt einen Zug junger und alter Juden, die mit gesenktem Haupt dem Tod entgegengehen, in ihrer Mitte ein Rabbiner mit einer Torarolle.

Diese Interpretation des Gettoaufstandes wurde auf der ganzen Welt übernommen, die Helden aber für die je eigenen ideologischen Zwecke instrumentalisiert und vereinnahmt. Am sinnfälligsten zeigen dies die angeblich gehissten Flaggen und gesungenen Lieder. Einmal ist es eine weiß-rote Fahne, die angeblich auf den Dächern des brennenden Gettos flatterte, dann wieder eine blau-weiße, und schließlich auch eine rote. Hin und wieder sind es auch zwei Flaggen, die einträchtig nebeneinander aufgepflanzt werden, um so „zu zeigen, unser Kampf ein gemeinsamer ist“, wie es beispielsweise im kommunistischen Gwardysta vom 20. Mai 1943 hieß. In der nationalpolnischen Interpretation singen die Aufständischen die Rota, ein polnisches und zugleich antideutsches Lied, in der zionistischen die Hatikwa, und in der antifaschistischen die Internationale. Es scheint allerdings schwer vorstellbar, dass die völlig ungenügend bewaffneten Gettokämpfer beim Anblick der SS und ihrer Panzer ein Lied angestimmt hätten, und sei es nur, um sich Mut zu machen. Marek Edelman meinte in seinem berühmt gewordenen Interview mit Hanna Krall, dass die Aufständischen sicher gerne Flaggen gehisst hätten, nur habe man im Getto keine zur Hand gehabt.

Im kommunistischen Polen wurde der Gettoaufstand 1943 gegen den Warschauer Aufstand 1944 ausgespielt, da dieser von der konservativen Exilregierung Polens in London unterstützt worden war. Während das Regime den einen Aufstand alljährlich mit militärischen Ehren feierte, wurde der zweite völlig ignoriert. Ein Denkmal für den Warschauer Aufstand konnte erst nach der Wende 1989 entstehen. Nach der Verhängung des Kriegsrechts über Polen am 13. Dezember 1981 ließ General Jaruzelski die privaten jüdischen Gedenkfeiern vor dem Gettodenkmal verbieten. Doch nicht nur die Kommunisten Polens vereinnahmten den Gettoaufstand für ihr eigenes Regime. 1993 erklärte Staatspräsident Lech Walesa in seiner Ansprache zum 50. Jahrestag des Gettoaufstandes, dass es sich hierbei „um den polnischsten aller Aufstände, nämlich den aussichtslosesten“ gehandelt habe.

Für Israel und das Selbstverständnis seiner Staatsbürger ist der Gettoaufstand von zentraler Bedeutung. Wenn in diesem Jahr am 29. April die Sirenen in Israel heulen, verharren Fußgänger und Autofahrer für zwei Minuten in Schweigen. Zwar hatte der Aufstand in der Nacht auf Pessach, am 19. April 1943, begonnen, doch wurde der Holocaust-Gedenktag so festgesetzt, wie es die religiösen Vorschriften zuließen, die während der Tage des Pessachfestes Trauer untersagen. Als das Gesetz 1951 in der Knesset verabschiedet wurde, bezog sich Rabbi Nurock ausdrücklich auf die Staatsgründung Israels: „Wir haben einen Friedhof vor unseren Augen gesehen, einen Friedhof für sechs Millionen unserer Brüder und Schwestern und vielleicht wurde uns ihres Blutes wegen das Vorrecht zuteil, einen eignen Staat zu gründen.“ Das gewählte Datum läutet eine Folge von drei eng miteinander verbunden Gedenktagen in Israel ein: zunächst Jom Ha-Shoa, danach Jom Ha-Sikarom, der Gedenktag für die Gefallenen der israelischen Kriege und schließlich Jom Ha-Azmaut, der Unabhängigkeitstag Israels.

Damit ist der Warschauer Gettoaufstand zu einem Teil der israelischen Geschichte geworden, er verbindet die kämpfende zionistische Jugend des Warschauer Gettos mit dem bewaffneten Kampf für den israelischen Staat. Mit der Betonung des „Heldentums“ bemüht sich das offizielle Israel um eine Art „Ehrenrettung der Juden in der Diaspora“, die der verbreiteten Geringschätzung der angeblich so passiven Opfer entgegenwirken soll. Zugleich lindern die Warschauer „Helden“ aber auch ein unterschwelliges Schuldgefühl gegenüber den Opfern der Shoa, denen zunächst der Jischuf, also die jüdischen Siedlungen in Palästina bis zur Gründung des Staates Israel, kaum Hilfe hatte zukommen lassen und deren Berichte nach ihrer Ankunft in Israel zunächst niemanden interessiert hatten.

Die große Demontage des Heldenbildes der Warschauer Aufständischen hatte Marek Edelman, der letzte noch lebende Anführer des Aufstandes, in seinem berühmt gewordenen Interview mit Hanna Krall Ende der 70er Jahre eingeleitet. Du musst das endlich verstehen, sagte er zu Hanna Krall diese Menschen gingen ruhig und würdevoll. Es ist schrecklich, wenn man so ruhig in den Tod geht. Das ist wesentlich schwieriger als zu schießen. Es ist ja viel leichter, schießend zu sterben, es war für uns viel leichter zu sterben, als für einen Menschen, der auf den Waggon zugeht und dann im Waggon fährt und dann eine Grube für sich gräbt und sich dann nackt auszieht… Verstehst Du das jetzt?

In Polen gibt es inzwischen den Gedenkweg jüdischen Märtyrertums und Kampfes, der vom Gettodenkmal zum Umschlagplatz führt und auf neunzehn ein Meter hohen Steinen an einzelne Menschen erinnert: an den Dichter Itzhak Katzenelson, der das „Lied vom ausgerotteten Volk“ geschrieben hat, an den Religionsführer Itzhak Nyssenbaum und andere. Auch in Israel weicht das unpersönliche Gedenken an „die Helden“ mehr und mehr dem individuellen Gedächtnis. Dies zeigt beispielsweise die überaus freundliche Aufnahme des Filmes „Der Pianist“ von Roman Polanski. Der „Held“ Wladyslaw Szpilman überlebt das Warschauer Getto gerade deshalb, weil er kein Held ist, auch gar keiner sein will, sondern nur wieder Klavier spielen möchte. Der Film machte auch klar, dass es „Helden“ im Getto gab, die bis heute niemand geehrt hat: die Kinder, die täglich Essen ins Getto schmuggelten und damit ihre Familien am Leben hielten.

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Das Dilemma – kämpfen oder nicht

Die Idee des bewaffneten Widerstands fand wenig Zustimmung

Von Natalia Aleksiun

Der Warschauer Gettoaufstand war für die überlebenden Juden von enormer Bedeutung, wurde er doch zum Symbol des bewaffneten Widerstandes der Juden schlechthin, zum Beweis, dass sie nicht passive Opfer waren. Doch die Zahl der Aufständischen wie auch das Datum des Aufstandes zeigen, wie schwierig es war, die Idee des bewaffneten Widerstandes im Getto durchzusetzen und wie allein gelassen sich die Aufstandswilligen bis fast zum letzten Tag fühlten. Die Entscheidung für den bewaffneten Kampf änderte grundlegend den Charakter des bisherigen Widerstandes der Warschauer Juden. Zunächst war es vor allem darum gegangen, einem möglichst breiten Kreis von Bedürftigen zu helfen. Man verteilte Lebensmittel, Kleidung und Möbel, bemühte sich aber auch, die Menschen vor den demoralisierenden Folgen der im Getto herrschenden Zustände zu bewahren. Dies wurde umso wichtiger, nachdem die Deutschen das Getto am 16. November 1940 geschlossen hatten.

Der Widerstand konzentrierte sich in den Jahren 1939 bis 1942 auf die Veröffentlichung von Zeitungen, Broschüren und Flugblättern sowie auf die Schulbildung der Kinder. Die Jüdische Soziale Selbsthilfe leitete eine Garküche und lieferte den Einwohnern des Gettos Brennmaterial für die Öfen. Der Historiker Emanuel Ringelblum erachtete fast jede Form des Kampfes um das physische Überleben als aktiven Widerstand gegen die Deutschen. In der von ihm verfassten Chronik des Gettos hob er insbesondere die Schmuggler hervor, denen man „im künftigen befreiten Polen ein Denkmal errichten“ müsse, da sie die jüdische Stadtbevölkerung vor der Hungertod gerettet hätten. Trotz der Verfolgungen wurde gelernt, gebetet, gesungen und gedichtet. Ringelblum gründete und leitete das Untergrundarchiv „Oneg Szabat“ und sammelte alle Lebenszeugnisse im Getto.

Schon in den Jahren 1939 bis 1942 kam es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Judenrat und den Untergrundorganisationen im Getto, doch sie existierten nebeneinander, ohne dass es zum offenen Konflikt gekommen wäre. Dieser brach erst auf, als die Idee zum bewaffneten Widerstand aufkam. Doch: was eigentlich wussten die Juden in Warschauer Getto und insbesondere der Judenrat über die von den Deutschen geplante Vernichtung der Juden? In den ersten Julitagen 1942, also knapp zwei Wochen vor Beginn der großen Deportation aus dem Warschauer Getto in das Vernichtungslager Treblinka, verglich sich Adam Czerniakow, der Leiter des Warschauer Judenrates, in seinem Tagebuch mit dem Kapitän eines untergehenden Schiffes, der das Jazzorchester spielen lässt, um die Passagiere bei Laune zu halten. – Ich entschied mich, es diesem Kapitän nachzutun.

Bis dahin hatte er versucht, den Juden im Getto zu helfen, indem er mit den Deutschen verhandelte. Am zweiten Tag der großen Deportation, am 23. Juli 1942, notierte Czerniakow einen Erfolg, den er in der Verhandlungen errungen hatte: von der Deportation sollten die Schüler der Handwerksschulen und die Ehemänner von arbeitenden Frauen ausgenommen werden. Knapp eine Stunde, nachdem Czerniakow dies in sein Tagebuch eingetragen hatte, verübte er Selbstmord. „Behandelt dies nicht als einen Akt der Feigheit oder der Flucht,“ bemühte er sich in einer Notiz für den Gemeindevorstand, seine Entscheidung zu begründen. Ich bin ratlos, das Herz bricht mir aus Trauer und Mitleid, ich kann es nicht länger ertragen. Meine Tat kann allen die Wahrheit aufzeigen und kann auf den richtigen Weg führen. Ich bin mir dessen bewusst, das ich euch ein schweres Erbe hinterlasse.

Czerniakow präzisierte nicht, was er für den „richtigen Weg“ hielt, den die jüdische Bevölkerung des Warschauer Gettos im Angesicht der beginnenden großen Deportation einschlagen sollte. Zwar trafen sich am zweiten Tage der Deportation die Vertreter des Judenrates mit jenen der wichtigsten Organisationen und Parteien im Getto und überlegten gemeinsam, ob nun nicht der Zeitpunkt gekommen sei, um die Bevölkerung zum bewaffneten Widerstand aufzurufen, doch am Ende entschied man sich wieder fürs Abwarten. Am Treffen hatten Vertreter der zionistischen Parteien und Organisationen – Allgemeine Zionisten, Haszomer Hacair, Poalej Syjon Lewica, Poalej Syjon Prawica, Dror-Hechaluc – teilgenommen, sowie Repräsentanten der religiösen Partei Agudat Israel, des sozialistischen BUNDES, der Kommunisten, und auch der karitativen Organisation Joint, die bei der Bevölkerung des Gettos in hohem Ansehen stand. Die Versammelten repräsentierten das volle Mosaik des jüdischen Untergrundes. Nur die Vertreter der religiösen Zionisten Mizrachi und der Revisionisten nahmen nicht an dem Treffen teil. Den erhalten gebliebenden Protokollen zufolge wurden die Vertreter der Jugendorganisationen, die sich für den Aufstand aussprachen, von der Mehrheit überstimmt. Entschieden gegen einen Aufstand sprachen sich Zysia Frydman (Agudat Israel) und Ignacy Schipper (Allgemeine Zionisten) aus. Frydman begründete ihre Haltung mit ihrem Glauben an Gott und der Überzeugung, dass es nicht zur Vernichtung der Juden kommen könne. Sowohl Schipper als auch Frydman warnten vor der deutschen Rache für den Versuch des bewaffnetes Widerstandes. Sie könnte dem Getto die totale Vernichtung bringen und den Juden damit die Chance nehmen, zumindest den „Stamm“ der Nation zu retten. Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Ablehnung des Aufstandes spielte auch das fehlende Bewusstsein über den tatsächlichen Charakter und das Ausmaß der Deportation. Im Getto verbreiteten sich Gerüchte, wonach aus Warschau nur 50 bis 70.000 Juden deportiert werden sollten, die übrigen Einwohner aber im Getto bleiben könnten.

Bis zum Ende der Deportation am 12. September 1942 kam es zu keinem weiteren Treffen mehr. Schließlich entschieden die Jungen, den bewaffneten Widerstand ohne die Älteren zu organisieren. Schon Monate zuvor, als die ersten Nachrichten über deutsche Massenmorde an Juden in der Sowjetunion im Sommer und Herbst 1941 in Warschauer Getto eintrafen, hatten sie über die Möglichkeit eines Aufstandes diskutiert. Im April 1942 riefen sie den Antifaschistischen Block ins Leben, der sich unter anderem das Ziel setzte, bewaffnete Kampfeinheiten zu organisieren. Den Beginn der großen Deportation nahmen sie als Signal, nun die Verantwortung für alle zu übernehmen. Nach dem gescheiterten Versuch, die Mehrheit der Parteien im Getto von der Idee des Aufstandes zu überzeugen, gründeten die zionistischen Jugendorganisationen Dror-Hechaluc, Haszomer Hacair und Akiba am 28. Juli 1942 die Jüdische Kampforganisation (ZOB).

Noch gab es weder einen Aufstandsplan, noch Waffen. Schlimmer war, dass die Aufständischen wussten, dass die Bevölkerung des Gettos in ihrer Mehrheit einem Aufstand eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Viele, die seit Monaten und Jahren einen kräftezehrenden Kampf ums Überleben geführt hatten, waren zu erschöpft für einen Aufstand. Die Forschungen über den Hunger, die Emil Apfelbaum, Julian Fliederbaum und Israel Milejkowski 1942 im Getto durchgeführt hatten, zeigten unzweideutig, dass die extreme Unterernährung nicht nur eine physische Schwächung hervorrief, sondern auch zu Änderungen in der Psyche führte.

Im Januar 1943 kam es zum sogenannten „kleinen Aufstand“, drei Monate später, am 19. April, brach dann große Warschauer Gettoaufstand aus. Israel Gutman, Teilnehmer am Aufstand und heute einer der bedeutendsten Historiker Israels, schrieb später: Die Führer des Aufstandes waren meist 20-jährige, Zionisten, Kommunisten, Sozialisten – Idealisten, die weder über Kampferfahrung verfügten noch zum Kampf vorbereitet waren. Sie wussten, dass sie mit den wenigen Waffen und dem begrenzten Vorrat an Munition keine Chance auf ein Sieg hatten. Ihre Wahl war keine Wahl zwischen Tod und Leben. Sie betraf allein die Art des Sterbens.

Übertragen von Gabriele Lesser

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Wie alles anfing

Der erste Tag des Aufstandes

Stefan Grajek, einer der Gründer und Anführer der Jüdischen Kampforganisation des Warschauer Gettos ZOB im Interview mit Aleksander Klugman.

Aleksander Klugman: Ward ihr euch der historischen Bedeutung dieser Kampfansage gegen die allmächtigen Gewaltherrscher bewusst?

Stefan Grajek: Es muss klar gesagt werden, dass unsere damalige Denkweise weit von solchen „historischen" Kategorien entfernt war. Niemand von uns dachte daran, dass unser Entschluss zu kämpfen möglicherweise ein wegweisendes Beispiel für andere unterdrückte Völker sein könnte. Wir wussten nicht einmal, wie die benachbarte polnische Untergrundbewegung arbeitet. Wir wollten uns ganz einfach nicht völlig wehrlos in den Tod treiben lassen. Denn uns war klar, dass die Aussiedlung den sicheren Tod bedeutete.

A. K..: Wie fing es eigentlich an?

St. G.: Am 19. April 1943, eine Woche vor Ostern und am Vortag des Pessach-Festes, entschlossen sich die Nazis – wahrscheinlich um die Wachsamkeit der Juden im Getto einzuschläfern – zu einer außergewöhnlich großzügigen Geste: die Bevölkerung erhielt eine Extraration Mehl zum Matza-Backen. Obwohl die Gettobewohner ständig im Schatten des Todes lebten, hatten sie noch genug seelische Kräfte, um für den Seder-Abend des Befreiungsfestes Matze zu backen und sich ein bisschen geschmuggelten Wein zu besorgen.

Mit Einbruch der Dunkelheit erschienen vor den Gettotoren außer den üblichen Wachposten schwer bewaffnete deutsche Soldaten. Dies war ungewöhnlich und ließ vermuten, dass sich etwas Unheilvolles ankündigte. Daher trafen sich noch am selben Abend die Anführer der Jüdischen Kampforganisation (ZOB) in der Wohnung Mordechai Anielewiczs in der Mila-Straße 29. Für den nächsten Tag wurde die höchste Bereitschaftsstufe ausgerufen.

A. K.: Wie viele Menschen lebten damals im Getto?

St. G.: Nach den blutigen Aktionen des Jahres 1942 lebten im Getto noch rund 65- bis 70-Tausend Menschen. Die Letzten von den einst 330 - 350 Tausend jüdischen Einwohnern Warschaus 1939 und den 100 Tausend später noch von den Nazis Dazugesiedelter aus den benachbarten Städten und Städtchen.

A. K.: Wann entstand die Jüdische Kampforganisation, und wann begannen die Vorbereitungen zum Aufstand?

St. G.: Wir wollten bereits 1941, als uns die Nachricht von den Massendeportationen aus dem Getto Wilna erreichte, einen bewaffneten Aufstand organisieren. Doch beim Delegierten-Treffen aller politischem Organisationen, die auch in der Vorkriegszeit aktiv waren, stieß der Aufstands-Vorschlag der Jugendorganisationen Hechalutz und Poale-Zion bei der Mehrzahl der Anwesenden auf heftigen Widerstand. Die meisten waren der Ansicht, dass eine Massenvernichtung der Juden in Warschau, das doch im Herzen Europas lag, völlig ausgeschlossen wäre.

Ein knappes Jahr später, als SS-Einheiten aus dem so genannten „Kessel" im Getto die dort gefangenen Menschen „nach Osten" deportierten, trafen sich vier Mitglieder der Untergrundbewegung, nämlich Itzchak Cukierman, Cywia Lubetkin, Tuwia Borzykowski und ich. An diesem Tag – es war der

28. Juli 1942 – fiel der Entschluss, nicht mehr mit den anderen politischen Gruppierungen zu verhandeln, sondern die Jüdische Kampforganisation ZOB auf eigene Faust zu gründen.

Als erstes druckten wir einen Aufruf an die Bevölkerung, passiven Widerstand gegen die Okkupanten zu leisten. Unsere Flugblätter, die wir im Getto verteilten, entlarvten auch die Lügen der Deutschen, die von „Aussiedlungen in den Osten" sprachen, damit aber den sicheren Tod der Juden meinten.

A. K.: Wann und unter welchen Umständen kam es zum ersten Kampf mit den Deutschen?

St. G.: Das war am 18. Jänner 1943, als Einheiten der Waffen-SS zusammen mit anderen Hilfstruppen ins Getto einmarschierten, um die dort noch verbliebene Bevölkerung auszusiedeln. Sie waren ganz sicher, dass es ihnen gelingen würde, genau wie ein halbes Jahr zuvor, die Juden zum Umschlagplatz zu treiben und von dort in die Todeslager zu deportieren.

Die ersten jüdischen Kampfeinheiten gingen in den obersten Stockwerken und Dachböden jener Häuser in Stellung, wo die Fenster auf die Hauptstraßen, insbesondere auf die Zamenhof-Straße, hinausgingen. Als die erste Gruppe der Juden zum Umschlagplatz geführt wurde, warfen wir – völlig überraschend für die deutschen Soldaten – die ersten Granaten. Die Soldaten fassten sich aber schnell, riefen die Waffen-SS zu Hilfe und belegten alle Nachbarhäuser mit mörderischem Feuer.

A. K.: Welche Folgen hatte dieser erste bewaffnete Zusammenstoß mit den Deutschen?

St. G.: Diese erste Kampftaufe war für uns sowohl moralisch als auch praktisch überaus wichtig. Zum ersten Mal fielen nämlich Deutsche von jüdischer Hand. Trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses zwischen einem kleinen Haufen jüdischer Kämpfer und den schwer bewaffneten Nazi-Truppen endete dieser erste Kampf mit unserem moralischen Sieg. Darüber hinaus konnten wir zu einem gewissen Grad unser Waffenarsenal mit den Waffen der getöteten Soldaten aufbessern.

Die Aussiedlungsaktion, bei der die Deutschen eigentlich 35.000 Juden hatten deportieren wollen, wurde nach vier Tagen abgebrochen. Nur die am ersten Tag festgenommenen 6.500 Juden wurden abtransportiert. Rund 600 Juden waren im Kampf gefallen oder in den angezündeten Häusern verbrannt. Der überraschende bewaffnete Widerstand der Juden zwang die Henker, die Durchführung ihrer Pläne zu vertagen. Es blieb nur die Frage: für wie lange?

A. K.: Wie sah der Beginn des Getto-Aufstands am 19. April 1943 aus?

St. G.: Die Nazis hatten beschlossen, das Getto zu liquidieren und alle Einwohner ins Vernichtungslager Treblinka zu schicken. Am 18. April erhielten die Befehlshaber der betreffenden Einheiten ausführliche Befehle in der SS-Kommandantur. Sie waren also auf einen Kampf mit den jüdischen Aufständischen vorbereitet. An dieser Sitzung nahm übrigens auch der von Heinrich Himmler zum Hauptbefehlshaber der ganzen Aktion ernannte SS-General Jürgen Stroop teil. Das so genannte große Getto sollte von 3 Uhr nachts bis 6 Uhr morgens von SS-Einheiten umstellt werden.

Die Anspannung im Getto war enorm. Es kursierten beängstigende Gerüchte. Jeder prüfte sein bereits zuvor vorbereiteten Versteck und versuchte, dort einen kleinen Vorrat an Wasser und Nahrungsmitteln zu deponieren. Einige brachten sogar ihre Betten mit, um nicht mehr in die Wohnung zurückkehren zu müssen.

A. K.: Wie verliefen die letzten Stunden vor den ersten Schüssen?

St. G.: Um 3 Uhr früh umkreisten ukrainische SS-Einheiten das zentrale Getto. Die Deutschen blieben zunächst außerhalb der Mauern. Die nächsten drei Stunden waren die längsten drei im Leben der Gettobewohner. Außer den Kleinkindern waren alle wach. Jeder wusste, dass nun der letzte Akt bevorstand. Die frommen Juden beteten noch einmal. Alle gingen in die bereits vorbereiteten Bunker.

Die Aufständischen waren in kämpferischer Stimmung. Nun war der Augenblick gekommen, endlich den Henkern mit der Waffe in der Hand entgegentreten zu können. Niemand dachte auch im Entferntesten an einen Sieg. Der Kampf selbst war bereits der Sieg. Um 6 Uhr früh marschierten Hunderte SS-Soldaten durch das Tor in der Nalewki-Straße ins Getto.

A. K.: Wann fielen die ersten Schüsse?

St. G.: Als die SS-Männer näher kamen, empfing die Kampfgruppe unter Secharia Artsztajn sie mit einem Kugelhagel, mit Granaten und Molotow-Cocktails. Die Schreie und das Stöhnen der Verwundeten erfüllten die Luft, aber niemand kam ihnen zur Hilfe. Diese Hilferufe der bis an die Zähne bewaffneten Soldaten einer Armee, die halb Europa in die Knie gezwungen hatte, und die jetzt von den Schüssen eines zur Ausrottung bestimmten Volkes getroffen vor den Toren des Gettos lagen, empfanden wir wie die allerherrlichste Musik.

A. K.: Und wie ging es weiter?

St. G.: Nach dem Rückzug der Deutschen herrschte im Getto für eine Zeitlang außergewöhnliche Stille. Niemand wusste, wie lange diese Ruhe andauern würde und wann die Deutschen wieder erscheinen würden. Schon zwei Stunden später waren sie wieder da – genau um 9 Uhr. Panzer und Artillerie eröffneten das Feuer auf die in der Nähe des Gettotores gelegenen Häuser. Als Jürgen Stroop mit einigen Offizieren durch das Tor kam, breitete er auf einem Stuhl eine Karte aus, studierte sie ausführlich und teilte dann seine Einheiten zu Straßenkämpfen in den verschieden Bezirken ein. Die Soldaten sollten immer in Deckung bleibend ein Haus nach dem anderen erobern.

Trotzdem wurden nach Schätzungen unserer Leute 200 Nazis bereits an diesem ersten Kampftag getötet oder verwundet. Am Abend haben wir zwei von den unseren begraben, und zwar am Ort, wo sie gefallen sind, in der Mila-Straße 29 und der Nalewki-Str. 42.

A. K.: Wie sah es in den übrigen Teilen des Gettos aus?

St. G.: Am 19. April versuchten die Deutschen nicht mehr, die so genannten „produktiven" Bezirke des Gettos, die Toebbens- und Schulz-Werkstätten, zu betreten. Sie planten, die dort beschäftigten Arbeiter zu überzeugen, sich freiwillig in angeblich bereitstehende Arbeitslager in der Nähe von Lublin bringen zu lassen, wohin auch die Fabriken übersiedeln sollten. Die erste betroffene Fabrik waren die Holzwerke Hellmann, die ungefähr 1.000 Arbeiter beschäftigten. In der Nacht vor dem geplanten Transport legte eine 13-köpfige Widerstandgruppe von uns Feuer im Lager mit den zum Versand nach Deutschland bestimmten fertigen Möbeln und Maschinen. Nur 25 von 1.000 Arbeiter meldeten sich freiwillig nach Lublin. Schließlich kam einer der Fabrikbesitzer selbst, K. G. Schulz, und berichtete den versammelten Arbeitern von den Kämpfen im zentralen Getto, wo bereits viele Juden ums Leben gekommen seien. Die deutschen Behörden hätten ihm versichert, dass die Soldaten nicht beabsichtigen, ins „produktive" Getto zu kommen. Er warnte sie, sich nicht von „unverantwortlichen Elementen aus dem wilden Getto" provozieren zu lassen.

A. K.: Wie lange dauerte der Aufstand? Welches Schicksal erwartete die überlebenden Aufständischen?

St. G.: Unsere Leute leisteten den Deutschen eine volle Woche Widerstand, so dass diese das Getto nicht erobern konnten. Doch dann begannen die Deutschen, ein Haus nach dem anderen abzufackeln oder zu bombardieren, bis alles in Schutt und Asche lag. Selbst da gelang es uns noch, unsere Stellungen zehn Tage lang zu halten. Erst als fast alles in Flammen stand, versuchten wir, aus dem Getto zu flüchten. Es gelang mir, einen Weg nach draußen durch die Abwasserkanäle zu finden. Ich fand Ryszard Tryfon, den polnischen Leiter des Schulz-Lagers. Mit seiner Hilfe gelang es uns, einer ganze Gruppe von Aufständischen die Flucht nach draußen zu ermöglichen. Einige gingen in die Wälder und kämpften mit den polnischen Partisanen weiter. Ein Jahr später, im August 1944, als der Aufstand in Warschau ausbrach, meldeten sich die übrigen am Leben gebliebenen ZOB-Kämpfer im Hauptquartier der polnischen Aufständischen, um ihren vor einem Jahr begonnenen Kampf gegen die Nazi-Okkupanten fortzusetzen.

Ryszard Tryfon erhielt später von „Yad Vashem" den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.

Übersetzung Richard Fagot

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Kampf gegen Judas Bolschewismus

Der Aufstand im Warschauer Getto aus der Sicht der Täter

von Lars Jockheck

Anfang 1943 machte sich unter den deutschen Besatzern und ihren Kollaborateuren in Polen das Gefühl wachsender Unsicherheit breit. Insbesondere in Warschau, dem Zentrum des Widerstandes, hatten viele Deutsche – Zivilisten ebenso wie Wehrmachtsoldaten, Polizisten und SS-Männer – Angst um ihr Leben. Überfälle und Anschläge polnischer Untergrundgruppen auf sie waren an der Tagesordnung.

Im Januar 1943 begann die SS erneut, Juden aus dem Warschauer Getto ins Vernichtungslager Treblinka zu schicken. Während dieser Aktion gelang es jüdischen Untergrundkämpfern erstmals, einige deutsche Polizisten und SS-Männer zu verwunden oder zu töten. Unter den Kugeln der deutschen Ordnungs- und Sicherheitspolizei starben allerdings Hunderte, ganz überwiegend unbewaffnete und daher wehrlose Gettobewohner. Ein an diesem Massaker beteiligter deutscher Polizist schrieb entsetzt über soviel „Rohheit und Brutalität" in sein Tagebuch, sie hätten die Juden „geschlachtet wie die Schlachtschafe". Er hielt aber auch fest, dass bei der Aktion einige seiner Kameraden ums Leben gekommen seien.

Dieser später sogenannte „Kleine Aufstand" veranlasste Heinrich Himmler, der als „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei" die Aufsicht über sämtliche nationalsozialistische Konzentrationslager und den gesamten Unterdrückungsapparat führte, die vollständige Vernichtung des Warschauer Gettos anzuordnen. Am 16. Februar 1943 befahl er, das gesamte Getto „aus Sicherheitsgründen" zu räumen und zu zerstören. Die Zerstörung des Gettos war damit auch Teil des Plans, die für die Besatzer immer gefährlicher werdende Hauptstadt Polens zu „verkleinern". Doch schon die ersten Versuche zur endgültigen Räumung des Gettos trafen auf den bewaffneten und unerwartet hartnäckigen Widerstand Hunderter jüdischer Untergrundkämpfer – darunter viele Frauen und sogar Kinder. Mitglieder verschiedener zionistischer und sozialistischer Jugendgruppen, von „Po'alei Zion", „Ha-Shomer ha-Za'ir", „Dror He-Halutz" sowie vom „Bund", hatten sich seit dem Vorjahr zur „Jüdischen Kampforganisation (ZOB)" zusammengefunden und die wenigen Monate relativer Ruhe genutzt, um ihre Gegenwehr vorzubereiten. Unter dem Eindruck erster Erfolge im Kampf gegen die Deutschen und der Gerüchte über die Gaskammern in Treblinka weigerten sich nun Zehntausende noch im Getto arbeitende und lebende Juden, den NS-Befehlen zur „Aussiedlung" Folge zu leisten.

Die Leiter der deutschen Rüstungsbetriebe im Getto, mit dem Bremer Kaufmann Walther C. Többens an der Spitze, versuchten noch bis in den April 1943, mit Hilfe ihrer jüdischen Betriebsleiter und der Parole „Keiner muss sterben, der arbeiten will" dagegen zu halten. Sie hofften so – im eigenen Interesse – zumindest große Teile ihres Betriebskapitals und ihrer Belegschaft vor dem Zugriff der SS retten zu können. Doch nur wenige Tausend Rüstungsarbeiter folgten den Aufrufen und verließen teils mit ihren Familien das Getto Richtung Osten. Ende 1943 wurden auch sie von der SS ermordet.

Die Warschauer SS- und Polizeiführung musste erkennen, dass der Aufstand trotz geringster Mittel gut vorbereitet war und vom Mut der Verzweiflung getragen wurde. Sie befahl Mitte April, rücksichtslos gegen die noch verbliebenen Juden im Getto vorzugehen. Wenig später rückten Einheiten der Waffen-SS, der Ordnungs- und Sicherheitspolizei sowie der Wehrmacht mit Panzern und Brandbomben ins Getto ein. Zu den Kollaborateuren gehörten über 500 polnische Polizisten sowie 340 „Trawniki-Männer", ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, die im SS-Lager Trawniki zu Mördern und KZ-Wärtern ausgebildet worden waren. Innerhalb von vier Wochen verbrannten die rund 2000 Mörder nicht nur das gesamte Getto, sondern auch viele seiner Bewohner bei lebendigem Leib. Sie sprengten die Bunker, in denen Frauen und Kinder Schutz gesucht hatten, vergifteten die Kanäle, durch die die Widerstandskämpfer versuchten, aus dem brennenden Getto herauszukommen, und schossen bei ihren Patrouillen auf alles, was sich bewegte.

Vor dem Einsatz im Getto „informierten" deutsche Offiziere SS-Männer, Polizisten und Soldaten, dass sich im Getto auch polnische Untergrundkämpfer und Verbrecher aufhielten, deutsche Deserteure sowie „Bolschewisten". Die Juden hätten ihren Widerstand also nicht selbst organisiert, sondern nur „unter polnisch-bolschewistischer Führung" zustande gebracht. Die Lüge sollte den Kampfeswillen gegen die „Juden und Banditen" steigern.

Die Zerstörung des Warschauer Gettos leitete vom 19. April 1943 an der SS-Brigadeführer Jürgen Stroop. Kurz bevor er nach Warschau kam, nahm er in Ostgalizien an der „Liquidierung" der dortigen Gettos teil. Nach seiner Ernennung zum „Generalmajor der Polizei" Anfang 1943 ließ er sich gern als „General" bezeichnen. Mit solchen soldatischen Allüren galt Stroop seinen Vorgesetzten als besonders „guter Mann" für diesen Einsatz, da er Befehle nicht hinterfragte, sondern ausführte. Auch unter seinen Leuten kursierte der Spruch „Erst schießen, dann denken". Viele Männer der Ordnungspolizei waren schon zuvor an der Deportation und Ermordung von Juden in Lettland und im Distrikt Lublin beteiligt.

Stroop versuchte in seinen Berichten nach Krakau und Berlin, die Vernichtung des Warschauer Gettos als einen quasimilitärischen „Einsatz" darzustellen, bei dem sich die „Kampfgruppen" der Aufständischen und „Stoßtrupps" der Waffen-SS, Polizei und Wehrmacht gegenüberstanden. Doch der Alltag seiner Männer sah anders aus: Zwar trafen sie im Getto bis in den Mai hinein auf bewaffneten Widerstand, doch meist „erfassten“ sie völlig Wehrlose und erschossen sie zu Tausenden gleich an Ort und Stelle oder verbrannten sie in den Häusern und Bunkern bei lebendigem Leibe. Ein an der Vernichtungsaktion beteiligter polnischer Polizist berichtete Anfang Mai entsetzt an den polnischen Untergrund, das ganze Getto sehe aus wie ein riesiges Massengrab.

Mitleid mit den Juden im Getto fühlten nur wenige der Mörder. Einige wenige Äußerungen sind überliefert, manch einer verhalf Einzelnen sogar zur Flucht. Die übergroße Mehrheit aber betäubte ihr Gewissen mit dem reichlich zugeteilten Alkohol oder wurde von der Aussicht angetrieben, sich an der „Beute“ bereichern zu können. Tatsächlich, so berichtete zumindest Franz Konrad, der Leiter der „Werterfassungsstelle“ im Warschauer Getto, nach dem Krieg in einem Verhör, hätten viele SS-Männer ungeheure Mengen an Gold und Schmuck bei sich getragen – die letzte Habe ihrer Opfer.

Ein Übriges tat die deutsche Propaganda. Ein Mitte Mai in Warschau verbreitetes NS-Plakat stellte die Vernichtung des Gettos als einen Teil des Kampfes gegen den Bolschewismus dar. In die gleiche Kerbe schlug Eugen Hadamovsky, Stabsleiter der Reichspropagandaleitung der NSDAP: Europas Sozialismus stehe im Kampf gegen Judas Bolschewismus. Wenn das Judentum glaubt, uns vernichten zu können, so soll es von uns erfahren, dass wir für seine Vernichtung sorgen!, drohte er im Mai 1943 auf NSDAP-Versammlungen in Krakau und Warschau.

Damit wiederholte Hadamovsky bloß, was Hitler und Goebbels von Anfang an und in aller Öffentlichkeit als ein wesentliches Ziel des Krieges herausgestellt hatten. Gerade erst hatte Hitlers Proklamation zum Jahrestag der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1943 das Schreckgespenst Bolschewismus und die allgemeinen Gefahren des Ostens heraufbeschworen. Dahinter stecke das Judentum. In diesem Krieg, so Hitler, könne es deshalb nicht Sieger und Besiegte, sondern nur Überlebende und Vernichtete geben.

Solche Äußerungen schürten inzwischen nicht mehr nur Hass, sondern weckten auch immer mehr Angst. Die Schlacht um Stalingrad, bei der eine ganze Armee, mehr als 90.000 Soldaten, in sowjetische Gefangenschaft geraten war, das immer bedrückender werdende Wissen um die deutschen Verbrechen im Osten und vor allem der wachsende Widerstand der Opfer führten zu einer weitverbreiteten Furcht unter den Deutschen. Im April 1943 war dieses Gefühl im besetzten Polen zu einer regelrechten „Angstpsychose“ angewachsen, wie der Parteifunktionär Georg Stahl auf einer Sitzung der „Regierung des Generalgouvernements“ berichtete. Selbst im Juni 1943, als in Warschau nur mehr wenige Juden am Leben waren, schrieb eine Deutsche aus der polnischen Hauptstadt nach Hause, die andauernden Überfälle seien das Werk der Juden und anderer Banden.

Diese Hass-und-Angst-Stimmung erklärt zum Teil die unfassbare Brutalität, mit der die mehr als 2000 Täter im Getto die letzten überlebenden Juden „abschlachteten“, während weitere Tausende Menschen auf den Straßen rund um das Getto diesen Mordtaten oft teilnahmslos zusahen oder dem Geschehen sogar Beifall spendeten.

Viele Täter hofften, durch immer weitere Morde der befürchteten Rache der Opfer zuvorzukommen und damit letztlich auch der Strafe zu entgehen. Hitler hatte 1939 seinen Vernichtungskrieg mit dem Schlagwort vom „jüdischen Weltfeind“ begonnen. Millionen Menschen im „Großdeutschen Reich“ folgten ihm in diesem Irrglauben. Es lag in der Logik dieses Krieges, dass viele dieser Menschen sich von Soldaten und Polizisten in Mörder wandelten und dass fast alle sich als Zuschauer oder Mitwisser der Mordtaten schuldig machten.

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… dass ihre Tat nicht ohne Echo verhallen wird

Polnische Reaktionen auf den Warschauer Gettoaufstand 1943

Von Klaus-Peter Friedrich

k.P. Friedrich
Autor Klaus-Peter Friedrich

Mit dieser Zusicherung begrüßte ein Flugblatt der konspirativen Polnischen Sozialistischen Partei den Aufstand im Warschauer Getto. Die bedeutendste Untergrundorganisation auf der politischen Linken wagte am 22. April 1943 die Voraussage: „Er wird in die Legende des kämpfenden Polen eingehen [und] zum gemeinsamen Erbe des Volkes Polens werden.“ Allerdings sei der Hilferuf aus dem Getto fürs Erste am besten zu beantworten, indem „wir unsere Anstrengungen für den allgemeinen polnischen Aufstand verstärken“. Dieser werde sich freilich nicht allein gegen die deutschen Besatzer wenden, sondern „dem Totalitarismus jeglicher Couleur den Todesstoß versetzen“.

Auch Walka Ludu (Volkskampf), das Untergrundblatt einer gewerkschaftlich organisierten Gruppe, verkündete als Lehre für den geplanten Nationalaufstand selbstbewusst: „Unser Aufstand wird keine Verzweiflungstat sein und kann unmöglich in einer Niederlage enden.“ Er werde den Polen die Befreiung bringen – nur müsse man besser vorbereitet sein als „die unglücklichen Juden, die fast bis zur letzten Minute glaubten, dass man sich das Leben von den Deutschen für Geld erkaufen kann“. Die Gewerkschaftsgruppe beklagte die „uneinheitliche Reaktion der polnischen Bevölkerung: „Das Kleinbürgertum und das Lumpenproletariat, von ONR- und Nazipropaganda vergiftet, verhalten sich gleichgültig, und spotten sogar über die jüdische Tragödie.“ Die für die Unabhängigkeit eintretenden Organisationen bemühten sich zwar, den Belagerten zu Hilfe zu kommen – doch sei dies leider nicht möglich. Und die kommunistische Polnische Arbeiterpartei (PPR) fordere das polnische Volk wie üblich zum allgemeinen Aufstand auf, wobei sie die Unterstützung der Roten Armee versprach.

Die meisten Polen hat die standhafte Gegenwehr der Juden überrascht, wenngleich diese sich schon im Sommer 1942 in Ostpolen, den sogenannten Kresy, und Mitte Januar 1943 auch in Warschau mit Waffengewalt gegen die Nazis erhoben hatten. Die bedeutendste Untergrundzeitung der Heimatarmee (AK), das Biuletyn Informacyjny, schrieb bereits am 28. 1. 1943 voller Anerkennung: „Die heldenhafte Haltung jener, die in den traurigsten Momenten jüdischer Realität ihr Ehrgefühl nicht verloren haben, erweckt Respekt und stellt ein schönes Kapitel in der Geschichte der polnischen Juden dar“.

Außerhalb des Gettos stieß der nicht zu überhörende Aufstand hinter den Mauern auf großes Interesse. Doch wie schon im Januar nährte man sich auch im April 1943 zunächst von Halbwahrheiten und Gerüchten. Die polnische Untergrundpresse berichtete aber schon bald ausführlich. Einer Analyse Pawel Szapiros zufolge wurde der Gettoaufstand in über 450 Berichten, Meldungen und Kommentare erwähnt.

Werfen wir einen Blick auf die auflagenstärksten und meistgelesenen Untergrundblätter in den ersten zwei Wochen nach Beginn der Kämpfe im Warschauer Getto. Diese Zeitungen wurden allesamt in Warschau zusammengestellt und herausgegeben.

Die Anonymität der Großstadt begünstigte die Gleichgültigkeit gegenüber dem Mord an den Juden. Zudem war man quer durch alle polnischen Parteien überzeugt, dass der Krieg in erster Linie ein Konflikt zwischen Völkern sei und die Hauptsorge dem eigenen Volk zu gelten habe. Juden aber galten gemeinhin nicht als Polen. Selbst als „die Juden ihren letzten Weg antraten“, stellte der Historiker Feliks Tych fest, „nahmen viele Polen vor allem die Andersartigkeit der Juden wahr“. Viele der konspirativen Blätter sahen die im Getto isolierten Juden nicht einmal als Teil der Warschauer Bevölkerung an. Unverständlich blieb den Polen insbesondere die Passivität gegenüber dem NS-Vernichtungskrieg. Mit ihr wurde die Zurückhaltung begründet, den jüdischen Landsleuten zu helfen. Eine Zeitung der nationalistischen ONR-„Szaniec“-Gruppierung distanzierte sich schon früh vom „jüdisch-deutschen Krieg“. Die in antijüdischer Voreingenommenheit befangenen übrigen Blätter der radikalen Rechten ignorierten den Gettoaufstand zunächst, um dann über die – in Anführungszeichen gesetzte – „jüdische Front“ mitten in der Hauptstadt Polens zu spotten.

Überheblichkeit gegenüber den Juden zeichnete auch oft jene Kommentatoren aus, die „den heldenhaften jüdischen Aufständischen“ eigentlich wohlgesonnen waren. Andere betonten, dass der fortdauernde Aufstand nur die Schwäche der Deutschen beweise. Die meisten aber glaubten, dass der Aufstand von außerhalb unterstützt und sogar gesteuert werde. Vielen nämlich fiel es schwer, die weithin hörbaren Kämpfe im Getto mit dem Stereotyp des kampfuntüchtigen und feigen Juden in Übereinstimmung zu bringen. Auch die Kommunisten taten sich mit Falschmeldungen hervor, Juden und Polen kämpften im Getto gemeinsam gegen die deutschen Truppen, die Hunderte Opfer zu beklagen hätten. Selbst der Stroop-Bericht, der von der nationalsozialistischen Vorstellung des „jüdischen Untermenschentums“ durchdrungen ist, erweckt den falschen Eindruck, dass „polnische Banditen“ sich an den Gettokämpfen beteiligt hätten.

In elf eher halbherzigen Aktionen griffen einzelne Kampfeinheiten der AK wie der kommunistischen Gwardia Ludowa von außen die Stellungen der Deutschen an der Gettomauer an. Ein Teil der Untergrundpresse würdigte dies als Zeichen polnischer Solidarität. Die Aktionen hatten zwar keine militärische Bedeutung, wohl aber eine „moralische“, wie Wladyslaw Bartoszewski schrieb.

Bei manchen bewirkte der zähe bewaffnete Widerstand im Getto einen Sinneswandel. So vermerkte der Schriftsteller und spätere „Gerechte unter den Völkern“ Wladyslaw Smólski voll Bewunderung in seinen Erinnerungen: „Wer hätte dies angesichts der passiven Masse der Juden erwartet.“

Eine Reihe von linksliberalen Untergrundzeitungen trat für eine Solidarisierung mit den jüdischen Aufständischen im Getto ein, da sich die Juden nun für ihre Passivität rehabilitiert hätten. Das Biuletyn Informacyjny erklärte den vielhunderttausendfachen bisherigen passiven Tod der jüdischen Massen für nutzlos. Mit dem Aufstand aber seien die kämpfenden Bürger des polnischen Staates der Warschauer Gesellschaft näher gerückt. Ende April rief das Blatt dazu auf, den aus dem Getto entkommenen Juden zu helfen.

Zur gleichen Zeit veröffentlichte der Chef der sog. Delegatura, die die in London residierende Exilregierung Polens im besetzten Polen repräsentierte, ein Flugblatt mit der Erklärung: Das von christlichem Geist durchdrungene polnische Volk, das in der Moral kein Doppelmaß kennt, nahm die antijüdischen deutschen Bestialitäten mit Abscheu auf, und als am 19. April ein ungleicher Kampf entbrannte, betrachtete es die sich auf männliche Art wehrenden Juden mit Achtung und Mitgefühl, und deren deutsche Mörder mit Verachtung.

Eigentlicher Anlass der Erklärung war aber weniger der Aufstand im Getto, denn die NS-Propaganda über Katyn. Zwar hatten tatsächlich die Sowjets 1941 Tausende polnische Offiziere in den Wäldern von Katyn erschossen, doch die Katyn-Propaganda der Nazis zielte darauf ab, mit den Polen zu einer antijüdisch-antibolschewistischen Verständigung zu kommen. Sie stellten sich daher als Verteidiger der Zivilisation und des Christentums dar. Die Delegatura forderte die Polen auf, diese Propagandisten „zu demaskieren und rücksichtslos zu bekämpfen“.

Das von den Polen erwünschte Verhalten wurde auf dem Flugblatt als Tatsache ausgegeben: Die polnischen Gesellschaft tut recht daran, den gejagten und verfolgten Juden Gefühle des Mitleids entgegenzubringen und ihnen Hilfe zu gewähren. Diese Hilfe sollte sie auch weiterhin gewähren.

Diese angeblich nebeneinander sichtbaren Fahnen sind in der Untergrundpresse eines der meistzitierten Bilder jüdisch-polnischer Verbundenheit, doch – wie Marek Edelman erklärte – wohl nichts weiter als eine Legende. Ebenso wie die Phantasie, die Juden hätten die „Rota“ angestimmt, als sie in den Kampf gezogen seien, ein nationalpolnisches und zugleich antideutsches Lied also.

Die Warschauer Schriftstellerin Zofia Nalkowska vertraute am 29. April ihrem Tagebuch an, mit welchen Empfindungen sie die ersten Tage des Gettoaufstands durchlebte: „Dies ist obendrein eine Schande, nicht nur eine Qual. Eine furchtbare Scham, und nicht nur Mitgefühl, stellt sich ein. Jegliche Anstrengungen, auszuhalten und nicht verrückt zu werden, sich in diesem Grauen irgendwie zu bewahren, empfindet man als Schuld.“

In London ging Ministerpräsident Sikorski am 3. Mai in einer Rundfunkansprache zum Nationalfeiertag Polens auch kurz auf die Vernichtung des Warschauer Gettos ein: Die zur Verzweiflung getriebene jüdische Bevölkerung hat heldenhaften bewaffneten Widerstand geleistet. Die Kämpfe dauern an. Der Regierungschef lobte die Warschauer Bevölkerung, die von Grauen erfasst den unglücklichen Opfern eines in der Geschichte unbekannten Barbarentums zu Hilfe eilt, wo und wie immer sie kann. Er dankte ihr für diese edle Regung, bat darum, den Mordopfern jedwede Unterstützung und Zuflucht zu gewähren, und erklärte: Ich verurteile all diese Grausamkeiten gegenüber der ganzen, sich allzu lange in Schweigen hüllenden Menschheit.

Sikorskis Äußerung entsprach der Leitlinie der Exilregierung, auf eine polnisch-jüdische Entspannung hinzuwirken. Der Dziennik Polski (Polnisches Tagblatt), das offizielle Organ der Exilregierung, hatte 1941/42 lange gezögert, den Nachrichten über den NS-Judenmord im deutsch besetzten Polen größeren Raum zu geben, drohte doch das schiere Unmaß der an den Juden verübten Verbrechen das Leid der polnischen Bevölkerung verblassen zu lassen.

Was die polnisch-jüdischen Beziehungen in den Okkupationsjahren angeht, wurden weiterhin die „Schlachten von gestern“ geschlagen. So warf etwa Kraj (Die Heimat), der Pressedienst der Delegatura, den jüdischen Repräsentanten in der Exilregierung vor, diese seien damit beschäftigt gewesen, Projekte auszuarbeiten, die der jüdischen Minderheit besondere Privilegien sichern sollten. Bezeichnenderweise fiel diese Anschuldigung in einem Kommentar zum Selbstmord des BUND-Politikers Szmul Zygielbojm in London, der mit seinem Freitod gegen die Gleichgültigkeit der Welt im Angesicht der Ermordung der europäischen Juden protestierte. Ende 1943 war aber bereits abzusehen, dass das Nachkriegspolen keine nennenswerte und kraftvolle jüdische Minderheit mehr beherbergen würde. Doch den von der Vorkriegsdebatte um die „Judenfrage“ geprägten Politikern und Publizisten fiel es offenbar schwer, sich über die tiefgreifenden Folgen der NS-Okkupation in Polen klar zu werden.

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Wladiyslaw Szlengel

Die Geschichte eines Walzers

von Dorota Szwarcman

Es war reiner Zufall, dass die Gedichte Wladyslaw Szlengels gefunden wurden. Die Manuskripte lagen in einem Tisch, dessen Geheimfach erst viele Jahre nach Kriegsende entdeckt wurde. Ob dieser Tisch in Jozefow bei Warschau dem berühmtesten Dichtes des Warschauer Gettos gehört hatte? Andere Gedichte von ihm, teilweise im Original, andere in Kopie, waren bereits während des Krieges ins Ringelblum-Archiv des Gettos gelangt und hatten den Krieg überdauert. Zum 35. Jahrestag des Getto-Aufstandes wurden sie erstmals in der Anthologie „Was ich den Toten vorlas“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Szlengel war der einzige in polnischer Sprache schreibende Dichter des Warschauer Gettos, der bis zuletzt alles genau registrierte, was sich im Getto ereignete. Vor dem Krieg gehörte er zu den Mitarbeitern der führenden satirischen Zeitschrift „Szpilki“ (Stecknadeln), schrieb aber auch Texte fürs Cabaret. Seine Domäne war die Satire. Auch wenn dies grausam klingen mag, doch erst der Krieg und das Getto machten ihn zu einem echten Dichter. Ein Satiriker ist ein Chronist der täglichen Ereignisse, ein Jäger von lästigen, dummen und absurden Aspekten des Alltags. Im Getto wurde Szlengel zum Chronisten der Vernichtung von Stadt und Volk, zum – wie er selbst sagte – „Chronisten der Ertrinkenden“.

Zunächst versuchte Szlengel noch, sein gewohntes Genre zu pflegen und wirkte im Kaffeehaus „Sztuka“ (Kunst) am „Lebenden Tagesanzeiger“ mit, einer gesprochenen Zeitung, die die Tagesereignisse kabarettistisch kommentierte. Sie war so beliebt bei den Gettobewohnern, dass Szlengel auch dann noch weiter auftrat, als die Mehrzahl der Künstler bereits bei Erschießungen und Straßenrazzien ums Leben gekommen war.

Er erzählte über den Tod des Kinderarztes Janusz Korczaks, über die Deportationen, schilderte die wachsende Hoffnungslosigkeit. Seine Verse wurden gelesen, wie Halina Birenbaum bemerkte, „mit einem gierigen Heißhunger, als ob sie belebende Säfte wären, die man mit unbeherrschbaren Durst in sich hineinschüttet, um nicht zu krepieren“.

Heute sind seine Gedichte erschütternde Zeugnisse einer nicht mehr existierenden Welt. Der ihnen eigene Pathos könnte unter anderen Umständen stören, aber in diesen Zeiten und zu diesen Menschen konnte man kaum anders reden. Diese Gedichte retteten die Menschenwürde derer, die über Jahre hin wie seelenloses Fleisch behandelt wurden. In einem seiner Gedichte, „Gegenangriff“, schreibt Szlengel nach dem ersten Aufstand im Januar 1943: „Das Fleisch spuckt durch Fenster Granaten/ Das Fleisch faucht mit purpurroter Flamme/ Krampfhaft an zitternden Resten des Lebens sich haltend…“ Der genaue Todestag des Dichters, dessen Verse anderen halfen weiterzuleben, ist nicht bekannt. Man weiß nur, dass er während des Aufstandes im April im Bunker des Szymon Kac starb. Er wurde 32 Jahre alt.

Für „Sztuka“ schrieb Szlengel auch typisch kabarettistische Texte, die vom täglichen Leben unabhängig waren. Sein berühmtestes Werk dieses Genres war „Ihr erster Walzer“, ein Lied, das öfters in verschiedenen Getto-Memoiren erwähnt wird und dessen Titel aus dem im Vorkriegs-Polen gezeigten französischen Film Julien Duviviers „Un carnet de bal“ stammte. Die Musik dazu schrieb, in Form von Variationen zum Thema „Mein alter Bekannter“ aus der Oper „Casanova“, der ebenfalls ständig und eng mit „Sztuka“ verbundene Wladyslaw Szpilman (der unlängst in Warschau verstorbene Pianist und Titelfigur des jüngsten Films von Roman Polanski „Pianist“). Der „Walzer“ war ein großer Schlager der Hauptdarstellerin und großen Stars im „Sztuka“, Wiera Gran, die heute noch in Paris lebt und deren Nachkriegsschicksal vielfach literarisch dargestellt wurde – unter anderen in ihrem eigenen Buch „Die Verleumderstaffel“.

Nach dem Krieg rekonstruierte Szpilman die Musik aus dem Gedächtnis, der Text war aber nur der Sängerin bekannt. Nach ihrer Emigration nach Frankreich war Wiera Gran, die in Polen wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen angeklagt worden war, die Prozesse aber gewonnen hatte, so verbittert und unwillig, dass die Wiedererlangung des Originaltextes aussichtslos erschien. Der Komponist bat daher den Librettisten Bronislaw Brok, einen neuen Liedtext zu schreiben. Im Jahre 1965 machte Wiera Gran eine kleine Tournee durch Polen, und Szpilman bat sie, das Chanson auf Band aufzunehmen – allerdings in der neuen Version. Szlengels Originaltext galt als endgültig verloren. Später fand sich im Rundfunkarchiv doch noch eine Nachkriegsaufnahme von 1949 mit dem Originaltext.

In seinem Buch „Die von Vernichtung gerettete Musik“ verglich Marian Fuks die Chansonnette Wiera Gran mit der berühmten polnischen Sängerin Ewa Demarczyk, die wiederum häufig mit Edith Piaf verglichen wird. Gemeinsam ist ihnen ein großes schauspielerisches Talent, emotionale Expression sowie eine tadellose Diktion. Trotz der schlechten Tonaufnahme 1949 gelang es mir, den Text vom Band zu notieren. Es ist dies der einzige überlieferte Text des Autors, welcher die Gegebenheiten des Warschauer Gettos nicht widerspiegelt. Obwohl inhaltlich banal, bestätigt er doch die poetischen Qualitäten Szlengels und seine Kunst, spielerisch mit Worten umzugehen. Szpilmans Musik ist hingegen eine großartige Dokumentation seines wunderbaren Könnens, sich den wechselnden Stimmungen der Strophen durch verschiedene Tanzrhythmen anzupassen. Das Motiv aus Rólyckis Oper „Casanova“ wird in unmittelbarer rascher Folge zu Slow-Fox, Rumba, Tango, Tiroler Walzer mit Jodeln und schließlich zu einer Mazurka im Stile Chopins. Dieses einmalige Dokument, das sich fundamental von anderen im Getto entstandenen Liedern unterscheidet, sagt viel über die menschliche Ausdauer und den Lebenswillen aus.

Übersetzt von Richard Fagot

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Zu viele Leute auf dem Begräbnis

Konstanty Gebert möchte den Jahrestag allein begehen

k. gebert

Oberst Rybicki sollte dem polnischen Fernsehen in einem Interview erzählen, wie er während des Warschauer Gettoaufstandes Juden geholfen hatte. Dies schien nichts Ungewöhnliches zu sein, war doch Oberst Rybicki zu jener Zeit Befehlshaber des Warschauer Kreises der polnischen Untergrundarmee AK. Seine Soldaten hatten tatsächlich einige Hilfsaktionen zu Gunsten der jüdischen Aufständischen unternommen. Zu dem Interview kam es dann aber doch nicht: „Sehen Sie“, erklärte der Oberst der Reporterin, „ich heiße eigentlich gar nicht Rybicki, sondern Fiszman.“ Herr Rybicki, der während des stalinistischen Regimes in Polen im Gefängnis saß und Ende der 70er Jahre Mitglied der Intellektuellengruppe KOR in der Freiheitsbewegung Solidarnosc wurde, hatte nie zuvor Gelegenheit gehabt, öffentlich über seine Kriegserlebnisse zu berichten. Doch das Gespräch zwischen der Reporterin und ihm fand inmitten der antisemitischen Regierungskampagne nach dem März 1968 statt. „Die Juden versuchen jetzt auf der ganzen Welt unser Land zu verleumden. Dem müssen wir doch entgegenwirken“, versuchte ihn die Reporterin von der Notwendigkeit des Interviews zu überzeugen.

„Verstehen Sie mich nicht falsch“, erklärte mir Herr Rybicki. „Sie verlangte von mir keine Lügen. Sie bot mir nur die Chance an, endlich die Wahrheit zu sagen – allerdings im Dienste der Lüge.“ Und so log er über seine Abstammung – im Dienste der Wahrheit. Die Reporterin verstummte zunächst unter dem Eindruck dieses Satzes, schließlich brach sie in Tränen aus. „Herr Oberst, Sie sind so ein guter Mensch. Denn wenn ich mit Ihnen das Interview gemacht hätte, und am Ende wäre das rausgekommen, – da wäre ich doch im Fernsehen erledigt gewesen.“

Das damalige Schweigen Rybickis wurde später zu einem der wichtigsten Elemente seiner Glaubwürdigkeit. Hätte er damals die Wahrheit gesagt, hätten wir ihm wohl später niemals wieder eine Wahrheit abgenommen.

Denn die Vergangenheit ist nicht einfach mit einem bestimmten Tag abgeschlossen. Durch die Erinnerung wird sie täglich neu geschaffen, hier und heute – in der unsichtbaren Sphäre zwischen Erzähler und Zuhörer.

Die Erzählung Oberst Rybickis hat mein Verständnis vom Warschauer Gettoaufstand geprägt. Sie zeigte mir ein für alle Mal, dass mit der Geschichte des Gettoaufstandes (wie wohl auch mit jeder anderen Geschichte) immer jemand versuchen würde, etwas Bestimmtes auszusagen und etwas anderes zu verschweigen.

In den 70-er und 80-er Jahren war ich Zeuge der offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zu den Jahrestagen des Warschauer Gettoaufstandes: die Stiefel der Ehrenkompanie knallten, polnische Flaggen wehten im Wind, Ehrensalven der Soldaten krachten. Jüdische Fahnen gab es keine. Bestenfalls konnte man unter jenen, die Kränze niederlegten, ein paar angsterfüllte jüdische Gesichter erkennen. Und jedes Jahr hörten wir das unbeschreibliche Zischen, wenn kurz nach der Feier jemand die Gaszufuhr zum siebenarmigen Kerzenleuchtern vor Rappaports Mahnmal abdrehte. Die ewige Flamme verlosch von einem Moment auf den anderen, um im nächsten Jahr wieder aufzuleuchten, wieder nur für einen kurzen Moment.

Ich habe diese Feierlichkeiten gesehen, teilgenommen habe ich daran nicht. Es waren nicht meine, nicht unsere Feiern. Sie wurden, wie alles andere im Land, von einem feindlichen Staat usurpiert. Zusammen mit Freunden pflegten wir dann am gleichen Tag, aber zu einer anderen Stunde, einen Kranz mit Schleife vor dem Denkmal niederzulegen: „Wir sind Eure Kinder“. Wir sagten Kaddisch, lasen Psalmen, sangen: „Sog nit keinmol“. Dabei bespitzelten uns Geheimagenten, aber sie störten nicht. Sie hatten andere Sorgen, auch im Jahre 1982, kurz nach der Ausrufung des Kriegszustands in Polen. Ein Jahr später allerdings, zum vierzigsten Jahrestag des Aufstands, stand vor dem Umschlagplatz ein ganzes Polizeispalier mit langen Stiefeln, Sturmgewehren und Hunden. An diesem Tag durften nur General Jaruzelski und seine Gäste den Jahrestag begehen. Marek Edelman, der kurz zuvor aus der Haft entlassen worden war, hatte an diese Gäste appelliert, nicht an diesen Feiern teilzunehmen.

Vergeblich. Die Geste Oberst Rybickis hat nur für diejenigen einen Sinn, die hier in Warschau wohnen, nicht aber für jene, denen vielleicht die einmalige Chance gegeben wurde, den Ort ihrer einstigen Heimatstadt zu besuchen und sich vor den Toten zu verbeugen. Seit mindestens 15 Jahren waren nicht mehr so viele Juden, so viele Rabbiner nach Warschau gekommen. Und doch – hätten sich die Bewohner der benachbarten Häuser nicht zu uns gesellt, als sie sahen, was vor dem Umschlagplatz vor sich ging – wären wir gegenüber den Stiefeln und Hunden ziemlich einsam gewesen. Als völlig unerwartet Gäste und Polizisten zum Rappaport-Denkmal marschierten, war auch nicht ein Rabbiner dabei, der dort Kaddisch gesagt hätte. Stattdessen betete ein Priester das „Vater unser“. Als wir am nächsten Tag einen Kranz auf dem Jüdischen Friedhof niederlegen wollten, dort, wo einst das Hauptquartier der Jüdischen Kampfbewegung stand, fanden wir alle Tore verriegelt. So legten wir den Kranz vor dem verschlossenen Tor ab. Ein Bus mit Gästen fuhr vor. Sie knipsten den Friedhof und uns durch die geschlossenen Fensterscheiben. Dann fuhr der Bus weiter. Mich wundert es selbst, wie sehr die damalige Einsamkeit heute – zwanzig Jahre später – noch weh tut.

Und ich kann mich bis heute nicht nur darüber freuen, dass die damalige Untergrund-„Solidarnosc“ ein Schreiben veröffentlichte, mit dem sie unsere kleinen unabhängigen Gedenkfeiern unterstützten. Janusz Onyszkiewicz, der dieses Schreiben vor dem Denkmal laut vorlas, musste dafür ins Gefängnis. Für diese Unterstützung, für diesen Mut, dafür, dass wir nicht ganz allein waren, war ich und bin ich noch immer dankbar. Doch dieses Zusammenstehen gab nicht nur Kraft, es belastete auch. Am 19. April möchte ich doch eher allein sein, kein Teil einer Erzählung von irgendjemandem. Auch wenn dies ungerecht ist, aber ich möchte auch dann allein sein, wenn die Erzählung wahr ist und die Feierlichkeiten von meinem jetzt demokratischen Staat oder in Israel organisiert werden, oder von Israelis, die eigens zum Gedenktag nach Polen kommen. Hier wie dort sind zu viele Leute auf dem Begräbnis.

Zum Denkmal gehe ich also, wenn dort keine Menschen sind. Sogar unsere kleinen Gedenkfeiern werden mir langsam zur Bürde. Ich schaue mir die Heldenstatuen auf der offiziellen Denkmalseite an, die stolzen, heroischen Gesichter der Kämpfer, die Waffen in ihren Händen – und es fällt mir schwer, mich in diese Erzählung einzuleben. Ich weiß, dass sie so erinnert werden wollten, dass sie nach den Jahren der Demütigung und Entwürdigung mit einem Schlag die deutsche Erzählung der Verachtung auslöschen wollten. Aber wenn ich mir dann die Rückseite des Denkmals ansehe, wo auf einem Relief die zu Tode gehetzten Juden dargestellt sind: ein Rabbiner mit der Tora, eine Mutter mit ihrem Säugling in den Armen, und im Hintergrund die Bajonette, dann scheint mir dies klarer zu sein. Hätte ich damals gelebt, wäre ich auf dieser Seite der Erzählung gewesen. Oder nirgendwo, unter den unzähligen Tausenden, die an Typhus starben, an Hunger, Verzweiflung, zum Gaudium der Deutschen oder infolge eines polnischen oder jüdischen Verrats.

Die von der Frontseite des Denkmals haben sich zweifellos unsere Dankbarkeit verdient, denn sie gaben uns eine Legende, mit der wir die nachfolgenden Generationen nähren können. Sie entrissen die Juden dem ihnen zugedachten Martyrium und fügten der Todesgeschichte eine Erzählung zu, in der man nicht nur selbst stirbt, sondern auch selbst töten kann. Sie wollten uns unseren Stolz zurückgeben und ihn der ganzen Welt zeigen. Sie würden die vielen Leute auf dem Begräbnis nicht stören, im Gegenteil. Aber die damals in den Tode geführten Rabbiner haben sie verflucht, da sie so tief gefallen waren und töteten – so wie die Deutschen. Dieser Fluch sollte uns nicht wundern. Denn man erzieht nicht ungestraft über zwei Jahrtausende hinweg ein Volk im Glauben, dass derjenige, der einen Menschen tötet, eine ganze Welt umbringt. Und doch verdanken wir diesem Sturz derjenigen von der Frontseite des Denkmals, dass es heute noch jemanden gibt, dem man von jenen auf der Rückseite erzählen kann. Daher die Dankbarkeit und der Stolz.

Vom Denkmal gehe ich dann zum Umschlagplatz. Auf der Wand des dort stehenden Denkmals suche ich den Namen Zofia, den wie meine Großmutter auch meine Tochter trägt. Die Großmutter ging freiwillig zum Umschlagplatz, als sie die Nachricht – die falsche Nachricht, wie es sich später zeigte – vom Tod meiner Mutter erreichte. Ich denke an ihre Einsamkeit und daran, wie alles hätte anders sein können, wenn die Nachricht tatsächlich wahr gewesen wäre, die Oma aber trotzdem nicht zum Umschlagplatz gegangen wäre. Dass, selbst wenn der Aufstand mit einem Sieg geendet hätte, es die Einsamkeit meiner Oma nicht gelindert hätte. Ich weiß, warum ich am 19. April nicht so viele Leute beim Begräbnis sehen will. Den Stolz fühlt man, die Trauer vererbt sich weiter.

Übersetzt von Richard Fagot

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Späte Lust

skulptur mit Sonja O.

Zu ihrem 75. Geburtstag, der zugleich mit dem 10. Jahrestag ihrer Bildhauerei zusammenfiel, gab Sonja Oster-Grossmann den Katalog Späte Lust auf Gestalt heraus und rief die Stiftung „Begabte fördern Begabte“ ins Leben.

Oster-Grossmann wurde 1926 in Wien geboren und floh 1939 mit einem Kindertransport nach England. Zwischen 1943 und 1945 studierte sie an der Schule für angewandte Kunst in London Plakatentwurf. Nach dem Krieg kehrte sie kurz in die alte Heimat zurück und wanderte schließlich nach Israel aus, wo sie drei Jahre Bildhauerei in Haifa studierte. Sie arbeitete für die Spezialeinheit der israelischen Polizei und war im Team, das mit der Einvernahme von Adolf Eichmann betraut war und die Anklageschrift für seinen Prozess vorbereitete.

Nach dem Tod ihres Ehemannes, in einer Zeit tiefster Verzweiflung und Verlassenheit, begann sie, inzwischen nach Österreich zurückgekehrt, wieder als Bildhauerin zu arbeiten. Sie studierte bei Prof. Mathias Hietz, Mag. Karl Sukopp und Andreas v. Weizäcker. In Skulptur und Plastik setzt sich die Künstlerin unter anderem mit dem menschlichen Körper auseinander. Ihr Werk reicht von Porträts bis hin zu abstrahierten und abstrakten Formationen, die sie mit den Materialien Stein, Bronze, aber auch Papier und deren Kombination miteinander umsetzt.

Oster-Grossmann versucht innere Stimmungen, Lebenserfahrungen künstlerisch umzusetzen und zeigt in Arbeiten wie „Wachstum“, „Verfall“, „Individualisten in Gruppe“, „Neigung veränderlich“ oder in der Papierinstallation „Kugeln mit Rissen“ einen philosophischen Blick auf die Dinge. Die sechs Meter hohe Plastik „Höchster Stuhl“, eine äußerst fragile Konstruktion aus Papier, deren Sitz unerreichbar ist, spielt auf den Thron Gottes an. Der Sitz wird aus Symbolen der Weltreligionen gebildet: Davidstern, Kreuz, Halbmond und Lotusblüte. Vier Schriftsäulen aus Pergamentpapierrollen mit Texten aus den vier heiligen Schriften tragen den Thron. Sonja Oster-Grossmann hat in den 10 Jahren ihrer bildhauerischen Tätigkeit ein durchaus vielschichtiges und interessantes Werk geschaffen.

Petra Springer

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Jidl mit’n Fidl

Amüsante und ergreifende Impressionen aus dem Jiddischen Theaterleben bot die Aufführung „Jidl mit’n Fidl“ im Akzent Theater. Shmuel Barzilai und Roman Grinberg gelang es mit dieser Produktion einen Querschnitt jüdischen Musiklebens zu präsentieren. Flott und vielfältig reichte das Angebot von „Tewje dem Milchmann“ bis zu den Klassikern des Yiddisch Musical Theater wie Avrom Goldfaden, Itzig Manker, Mordechai Gebirtig und vielen anderen. Auch 100 Jahre nach ihrer Hochblüte haben diese Lieder nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Sie erzählen vom Freud und Leid des Lebens im Schtetl, von der Liebe der Sehnsucht und der Hoffnung, stets gewürzt mit einer Brise jüdischen Humors, der selbst im größten Schmerz die Selbstironie nicht vergisst. Glänzende Interpreten verhalfen diesem Programm nicht nur zum nostalgischem Genuss, sondern boten höchste musikalische Qualität. Oberkantor des Wiener Stadttempels. Shmuel Barzilai, der mit seinem lyrischem Tenor internationalen Ruf genießt, gelang es mühelos sich zwischen liturgischer Koloratur und Unterhaltungskunst zu bewegen. Roman Grinberg, Sänger und Pianist, wirkte bereits in vielen Musiktheater-Produktionen als musikalischer Leiter und Interpret mit. Witz und hintergründiger Humor prägen seine modernen Bearbeitungen alter Texte und Lieder. Klezmer Musik ganz besonderer Art bot der weit über die Grenzen Israels bekannte Starklarinettist Hanan Barsela. Seine Klarinette lebt – sie seufzt, sie lacht und sie weint, – ein überwältigendes Erlebnis. Auch den Gäste des Abends, Oberrabbiner Paul Eisenberg und den Belzer Sisters aus Moldawien, gelang es vorzüglich das Publikum mitzureißen und in hervorragende Laune zu versetzen. Eine perfekte Bühnenshow mit einer vielseitigen Palette jüdischer Kunst. Eine stimmige Atmosphäre verbreiteten im Hintergrund die Fotos der „Versunken Welt“ von Roman Vishniac sowie die eindrucksvollen Aquarelle der jungen Künstlerin Dvora Barzilai. Wiederholungen dieser hervorragenden und sehenswürdigen Produktion wären wünschenswert – sie vermittelt viel Lebensfreude in einer nicht allzu fröhlichen Zeit.

Joanna Nittenberg

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Ausstellung:
Der jüdische Widerstand

Die Wanderausstellung Der jüdische Widerstand gibt einen umfangreichen bisher noch nicht dagewesenen Überblick über den Jüdischen Widerstand während des Holocaust. Dem tapferen Widerstand der jüdischen Bevölkerung Europas gegen den Genozid der Nationalsozialisten wurde bisher nur wenig Aufmerksamkeit zuteil.

Ziel der Ausstellung ist es, der lange Zeit verbreiteten Auffassung entgegenzuwirken, dass sich die Juden im Zweiten Weltkrieg ohne Gegenwehr töten ließen und aufzuzeigen, dass sich ihr Widerstand in all seinen Formen über den gesamteuropäischen Kontinent erstreckte.

Sämtliche Aspekte, in acht Themen aufgeschlüsselt, des Widerstandes sind in der Ausstellung zu sehen:

Beginnen wir mit Informieren, Warnen, Verstecken und Retten, so geht es weiter über die Partisanenbewegungen und Maquisarden (Mitglieder der französischen Widerstandsbewegung), über die Prob–leme der Judenräte in den Gettos, bis hin zum kulturellen und geistigen Widerstand.

Die Initiative zur Ausstellung geht von der B´nai B´rith Europe-Loge aus. Diese kann auf Mitglieder aus 27 Ländern, zu denen auch B´nai B´rith Österreich gehört, hinweisen. B´nai B´rith Europe gehört zu B´nai B´rith International, welche die wichtigste, weltweit größte jüdische Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte, für Aktivitäten auf gesellschaftlicher und humanitärer Ebene, für den Kampf gegen Terrorismus, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ist.

Die erste Ausstellung fand im November 2001 in Brüssel statt, 2002 folgte mit großem Erfolg Berlin dritte Station ist nun Wien.

Ausstellung Der jüdische Widerstand bis 16. April 2003 in der Volkshalle des Wiener Rathauses.
Montag–Sonntag, 10.–18 Uhr, Samstag geschlossen.

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Belauscht & Beobachtet

Vor etwa einem Jahr gründete Amanda „Mandy“ Rotter die Gruppe Mandys Mischpoche. Nach einer Reihe erfolgreicher Auftritte stellt diese Formation nun ihre erste CD mit dem Titel „Ringelspiel“ vor.

Neben einer Live-Kostprobe gibt es die CD zum Subskriptionspreis und natürlich eine kleine kulinarische Erfrischung. Zu hören gibt es jiddische und sephardische Lieder, bulgarische Horos, griechische und kroatisch-ungarische Weisen und Wienerlieder. Mehr unter www.mandysmischpoche.com/

Die Präsentation findet am Donnerstag, den 27. März 2003 um 20.00 Uhr im Neuen Saal des Wiener Konzerthauses, Lothringer Straße 20,1030 Wien, statt. Der Eintritt ist frei.

Neue Dimensionen der Druckgrafik um 1950. Nach seinen sozialkritischer Arbeiten in den dreißiger Jahren hat sich Franz Herberth nach dem Krieg der abstrakten Kunst zugewandt und mit den Mitteln des Linol- und Holzschnitts wichtige Arbeiten geliefert. Diese werden von der Universität für angewandte Kunst Wien, deren Professor Herberth war, erstmals ausgestellt. Auch wird seine Frau, Betty Freund, geehrt, deren wunderbarer Wandbehang (Seidenstickerei) aus 1926 zu sehen ist. Über Betty. Freund lesen Sie in Heft 12/1, 2002/03 der Illustrierte Neue Welt.

Druckgrafik von Franz Herberth bis 5. April 2003 im Heiligenkreuzer Hof, Wien 1., Schönlaterngasse 5. Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 10–17 Uhr.

nittenberg
Chefredakteurin Joanna Nittenberg
präsentiert die Sondernummer
(© Austriapol)

Das Jüdische Musem und das Polnische Institut in Wien luden am 25. März zur Präsentation der Sonderausgabe der INW, gewidmet dem 60. Jahrestag des Aufstandes im Getto von Warschau.

Eine ausführliche Bildreportage der würdigen Veranstaltung finden Sie auf der Website von Austriapol.

Sie können die "Illustrierte Neue Welt" Nr. 2/3 (Februar/März 2003) mit der Sonderbeilage auch online bestellen.

Wir senden Ihnen gerne die aktuelle oder eine frühere Ausgabe der Illustrierten Neuen Welt zu. Bestellen Sie online.

Besuchen Sie auch unsere Bücherseite und die Terminseite.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
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