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Rudolf Gelbard

Wien, 4. Dezember 1930 – 24. Oktober 2018

Lieber Rudi!
Eigentlich ist es für mich und uns alle, die Dich kannten und schätzten, einfach unvorstellbar, dass wir Deine Kommentare und fundierten Beiträge bei den verschiedenartigsten Diskussionen nicht mehr hören werden. Dein enormes Wissen bezüglich der Zeitgeschichte, insbesondere des Zionismus und des Kommunismus, sowie auch Deine detaillierten Kenntnisse des Nationalsozialismus beeindruckten uns alle immer wieder. Als Zeitzeuge diskutiertes Du auch in Schulen und anderen Bildungsstätten.
Als überzeugter Sozialdemokrat scheutest Du dich auch nicht, dich mit Deinen Parteigenossen und ihrer immer lauter werdenden und oft unberechtigten Kritik an Israel und seine Politik auseinanderzusetzten. Sehr bewundert habe ich Deine Teilnahme an Veranstaltungen der rechtsradikalen Szene, wo Du auch öfters ausgepfiffen wurdest.
Dein Anliegen war es immer, den Kampf für Gerechtigkeit für alle Verfolgten, wie Roma und Sinti, Homosexuelle oder ­Euthanasieopfer, sowie auch für alle anderen zu führen. Bei den vielen Vereinen, deren aktives Mitglied Du warst, möchte ich vor allem den Bund Jüdisch Verfolgter des Naziregimes, gegründet von ­Simon Wiesenthal, erwähnen. Solange es Deine Gesundheit erlaubte, hast Du keine Sitzung versäumt und immer wertvolle Argumentationen und Ideen eingebracht.
„Überleben ist ein Privileg, das verpflichtet. Ich habe mich immer wieder gefragt, was ich für die tun kann, die nicht überlebt haben. Die Antwort, die ich für mich gefunden habe (und die keineswegs die Antwort jedes Überlebenden sein muss), lautet: Ich will ihr Sprachrohr sein, ich will die Erinnerung an sie wach halten, damit die Toten in dieser Erinnerung weiterleben können. Aber wir, die Überlebenden, sind nicht nur den Toten verpflichtet, sondern auch den kommenden Generationen: Wir müssen unsere Erfahrungen an sie weitergeben, damit sie daraus lernen können. Information ist Abwehr. Überlebende müssen wie Seismographen sein, sie müssen die Gefahr – früher als andere – wittern, in ihren Konturen erkennen und aufzeigen. Sie haben nicht das Recht, sich ein zweites Mal zu irren und für harmlos zu halten, was in einer Katastrophe münden kann.“ (Aus: Simon Wiesenthal, Recht, nicht Rache, mehrfach von Dir zitiert)
Sehr eindrucksvoll und berührend ist der Film Der Mann auf dem Balkon, in dem Du die unvorstellbaren Bedingungen im KZ Theresienstadt schilderst. 19 Mitglieder Deiner Familie wurden ermordet, Du selbst überlebtest als eines der wenigen Kinder diese grauenhafte Internierung.
In der Spielzeit 2013/14 wirktest Du bei der Zeitzeugen-Produktion Die letzten Zeugen von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann am Wiener Burgtheater mit. Die Produktion bezog sich auf die Zeit der grauenvolle Nazidiktatur (siehe INW 4/2013, S. 28) und erlangte unerwartet besonders große Wertschätzung seitens des Publikums und der Presse. Sie wurde zum Berliner Theatertreffen 2014 nach Dresden, Hamburg und Frankfurt eingeladen.
Unzählige Ehrungen, die Du erhalten hast, beweisen, dass Deine lebenslangen Bemühungen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, Früchte getragen haben. Wir werden Dich nicht vergessen und uns bemühen, in Deinem Sinne weiterzuwirken. Mein tiefstes Beileid gilt auch Deiner Frau Inge, die Dir 30 Jahre lang stützend und aufopfernd beistand.
Ruhe in Frieden
 Joanna

 

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