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Recht ist nicht immer Gerechtigkeit

Im Stadtkino im Wiener Künstlerhaus läuft bis 28. September der Dokumentarfilm „Let’s keep it” der ehemaligen ORF-Journalistin Burgl Czeitschner. Er handelt von arisiertem Eigentum, das in österreichischem Staatsbesitz war bzw. ist und seine Restitution. Das Interview führte Joanna Nittenberg.

Zur Vorgeschichte: Bis 1. September 2018 musste die Schiedsinstanz für Naturalrestitution ihren Schlussbericht dem Kuratorium des Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus vorlegen. Dieses Gremium wurde per Entschädigungsfondsgesetz 2001 von der Regierung Schüssel als unabhängige Institution installiert. Nachkommen von Holocaust-Opfern sollten die Möglichkeit bekommen, per Antrag die Rückgabe arisierter Liegenschaften zu erwirken, die mit Stichtag 17. Jänner 2001 – aus welchen Gründen auch immer - im Eigentum der Republik Österreich waren.
Gleich vorneweg: Burgl Czeitschner findet, dass die Bilanz nach 17 Jahren Schiedsinstanz eher mager ausgefallen ist.

 

INW: Was waren Ihre Beweggründe, diesen Film zu machen?


Burgl Czeitscher: Mich beschäftigt das Thema „Wiedergutmachung“ schon lange. Konkreter Anlass war die Anregung aus meinem privaten Umfeld, einen Dokumentarfilm zum Thema Restitution arisierter Liegenschaften zu machen. In einer kleinen Gruppe hatten wir immer wieder über diverse Entscheidungen der Schiedsinstanz diskutiert. Und als mein Projekt Kino auf Rädern nach fünf erfolgreichen Jahren vom Österreichischen Filminstitut nicht mehr gefördert wurde, erhielt ich Ende 2014 die wunderbare Chance, ohne mühevollen Kampf um die Finanzierung, ein eigenes Filmprojekt zu beginnen.


INW: Warum haben Sie sich ausgerechnet dieses Thema ausgesucht?


B.C.: Das Unrecht der NS-Diktatur und dessen Aufarbeitung ist ja so etwas wie mein Lebensthema. Es war mir durchaus bewusst, dass ich mich auf ein schwieriges Terrain begebe. Noch dazu, wo ich keine Juristin, sondern eine historisch vorgebildete Journalistin bin. Aber Recherchieren ist eine meiner ganz großen Leidenschaften. Dies verdanke ich meinen beiden Professoren für Geschichte an der Salzburger Uni. Fritz Fellner hat mir das genaue Recherchieren und Zitieren beigebracht. Und es war vor allem Erika Weinzierl, die mein Interesse an österreichischer Zeitgeschichte geweckt hat. Ich entstamme ja einer Generation, der sowohl in der Familie als auch in der Schule die Zeit des Nationalsozialismus weitgehend verschwiegen wurde. Bei mir waren es da wie dort 100 Prozent. Ich wusste nichts darüber und saß mit glühenden Ohren und offenem Mund in Weinzierls Vorlesungen.


INW: Wie haben sich Ihre Recherchen gestaltet?


B.C.: Das war schon ein eher komplizierter Prozess. Ich habe zunächst einmal viele, sehr viele Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution gelesen. Daraus habe ich dann meine „Fälle“ herausgefiltert. Das war ziemlich schwierig, da ja die Entscheidungen nur anonymisiert öffentlich zugänglich sind. Eine große Hilfe beim Enträtseln der Anfangsbuchstaben der Namen und Adressen war Eva Holpfer vom Historischen Archiv der IKG. Parallel dazu habe ich mich bemüht, den Inhalt des Entschädigungsfondsgesetzes von 2001 zu verstehen. Der nächste Schritt war dann die Suche nach geeignetem Bildmaterial, also verbrachte ich Monate im Österreichischen Staatsarchiv und via Internet in diversen internationalen, meist US-amerikanischen Archiven. Es ist fantastisch, was alles von zu Hause aus gefunden werden kann. Für mich waren die Archive des Holocaust Museums in Washington und des Leo Baeck Instituts in New York am ergiebigsten. In Wien wurde ich im ORF-Archiv, im Film Archiv Austria und im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek fündig.


INW: Inwieweit hat Ihre eigene Geschichte Ihren Film geprägt?


B.C.: Für mich war von Anfang an klar, dass mein kritischer Blick auf das Verhalten vieler österreichischer „Größen“ nach 1945 und vor allem auf das Entschädigungsfondsgesetz, das ja in der Ära Schüssel beschlossen wurde, nur dann glaubwürdig ist, wenn ich die unrühmliche Geschichte meiner eigenen Familie miteinbeziehe. Ich habe ja erst sehr spät erfahren, dass sowohl meine Eltern als auch mein Großvater, Moritz Czeitschner, glühende Nazis waren. Heute weiß ich, dass mein Großvater, geb. 1880, seit jeher ein Hetzer gegen Juden und Slowenen war. Ab 1939 war er Bürgermeister in Velden am Wörthersee und leistete aktive Hilfe bei der Arisierung zahlreicher Villen vertriebener Juden. Seit ich ihn kannte, und ich verbrachte sehr viel Zeit mit meinen Großeltern, verlor er kein einziges Wort darüber.


INW: Wo haben Sie überall gedreht?


B.C.: Das Unrecht der Nazis war ja nicht nur auf Wien beschränkt. Der Rassenwahn tobte genauso in den Bundesländern. Daher drehten wir auch außerhalb Wiens – in Niederösterreich und in Kärnten. Und es war mir wichtig, die Nachkommen vertriebener oder ermordeter Österreicher zu Wort kommen zu lassen. Daher reisten wir in die USA – nach New York, nach Amherst in Massachusetts, sowie nach Alexandria in Virginia, um die Nachfahren Lothar Fürths, des Besitzers des Sanatoriums in der Wiener Schmidgasse, zu interviewen. Daraus wurden nachhaltige Freundschaften. In Washington DC, konnte ich Stuart E. Eizenstat interviewen, der Wolfgang Schüssel die Zustimmung zu einer neuerlichen Restitution arisierter Liegenschaften abgerungen hatte. Dass zeitgleich die Regierung Schüssel versucht hatte, einige der in Frage kommenden Objekte noch schnell zu verscherbeln, erfuhr der Chefverhandler zur Zeit der Clinton-Ära während unseres Interviews.


INW: Aus Ihrer Sicht ist das Ergebnis nach 17 Jahren Tätigkeit der Schiedsinstanz eher mager. Warum?


B.C.: Das liegt ausschließlich am Inhalt des Entschädigungsfondsgesetzes 2001. Antragsteller konnten u.a. auf „extreme Ungerechtigkeit“ bei früheren Rückstellungsmaßnahmen plädieren. Doch die österreichische Rechtsprechung kennt diesen Begriff überhaupt nicht, und er wurde auch nicht für dieses neue Gesetz definiert. Daher blieb er eine Ermessenssache und scheint in der Bearbeitungsstatistik der Schiedsinstanz auch nur 15 Mal auf. Insgesamt hatte die Schiedsinstanz 2.315 Anträge zu prüfen, davon blieben 611 übrig, die den gesetzlichen Vorgaben für die juristische und historische Weiterbearbeitung entsprachen. Letztendlich sprach die Schiedsinstanz 60 Empfehlungen aus, die 140 Antragsteller betrafen. Die meisten zu Unrecht entzogenen Liegenschaften wurden zur finanziellen Abgeltung empfohlen, die wenigsten 1:1 restituiert. Eine genaue Zahl dafür lässt sich auf der Webseite der Schiedsinstanz nicht finden.


INW: Sie legen Wert darauf, den Begriff „extreme Ungerechtigkeit“ unter Anführungszeichen zu setzen. Warum?


B.C.: Ich persönlich kann damit nichts anfangen. Aber ich bin auch keine Juristin. Für mich ist jeder Vermögensentzug, jede Aktion der Nazis gegenüber Juden und all den anderen Gruppen, die verfolgt wurden, ungerecht. Punkt! Ich stehe dazu, dass mich die Unterscheidung zwischen „extrem ungerecht“ und „nur ungerecht“ empört. Aber genau diesen Spagat verlangte das EF-G von den Mitgliedern der Schiedsinstanz. Der Entschädigungsfonds hatte wenigstens 210 Millionen Dollar zu verteilen. Im Grunde ist diese Summe auch nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Aber immerhin konnten damit symbolische Gesten gesetzt werden, die durchaus als Ausdruck guten Willens verstanden wurden. Bei den Liegenschaften verhielt es sich ganz anders. Da verpasste das Gesetz der Schiedsinstanz ein extrem enges Korsett. Das Ergebnis kann nun noch so wortreich beschönigt werden, für mich bleibt es mager. Das EF-G 2001 wurde leider kein Meilenstein einer neuen Entschädigungspolitik.


INW: Sie hadern mit dem Entschädigungsfondsgesetz. Wie sollten Ihrer Meinung nach Restitutionsmaßnahmen geregelt werden?


B.C.: Selbstredend muss es für die Überprüfung früherer Restitutionsmaßnahmen einen rechtlichen bzw. einen gesetzlich geregelten Rahmen geben. Doch die Anwendung des EF-G 2001 lässt leider in besonderem Maße einmal mehr den Schluss zu, dass Recht und Gerechtigkeit selten ein und dasselbe sind. Die vielen Anträge, die von der Schiedsinstanz abgelehnt werden mussten, beweisen das. Im Zusammenhang mit Ansprüchen der Nachkommen von Holocaust-Opfern empfinde ich das als überaus bedrückend und unwürdig.   

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