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Persische Protokolle

Studie zum Antisemitismus im Iran

Selten genug kommt bei einer wissenschaftlichen Qualifizierungsarbeit etwas Sinnvolles heraus. Allzu oft merkt man den Autoren das Desinteresse an ihrem Gegenstand und ihren eigenen langwierigen Ausführungen an, die sie mit den Schlagworten der gerade aktuellen akademischen Modetheorien aufzupeppen versuchen. ­Ulrike Marz zeigt in ihrer umfassenden Studie über den iranischen Antisemitismus, dass es auch anders geht. Hier schreibt eine Autorin, die sich in ihrer Dissertation aus einem praktisch-politischen Interesse auf ihren Gegenstand einlässt. Allein schon ihre theoretischen Bezüge verweigern sich der akademischen Konjunktur. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Rostock geht von den Dechiffrierungen des Antisemitismus in der Kritischen Theorie aus und betont mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gleich einleitend, dass der Antisemitismus nicht aus dem realen Agieren von Juden erklärt werden kann, sondern ausgehend von den psychischen Bedürfnissen und wahnhaften Projektionen der Antisemiten kritisiert werden muss – ganz gleich, ob beim Antisemitismus in Europa oder in anderen Weltgegenden.

Marz beschreibt die Situation von Juden im Iran vor der Islamischen Revolution von 1979 und zeichnet nach, wie der Antisemitismus mit dem Übergang der iranischen Islamisten unter Ruhollah Khomeinis Führung von einer oppositionellen Bewegung gegen die prowestliche Modernisierungsdiktatur des Schahs zur Regierungsgewalt zu „einer zentralen ideologischen Legitimationsfigur des islamistischen Regimes wurde.“ Sie stellt den Status der heute im Iran lebenden Juden als systematisch diskriminierte Minderheit dar, die zudem permanent dem Verdacht der Kollaboration mit Israel, des Verrats oder der Korruption ausgesetzt ist. Die Studie beschreibt die Holocaust-Leugnung und -Relativierung durch zentrale Vertreter des iranischen Regimes sowie in zahlreichen regimetreuen Publikationen. Dabei bleibt sie sich der Schwierigkeiten bewusst, aufgrund fehlender Studien zu gesellschaftlichen Einstellungen im Iran etwas zum Grad der Zustimmung der iranischen Bevölkerung zu dem „sehr offensiv vertretenen Antisemitismus von Klerikalen und Politikern“ zu sagen.

Marz arbeitet die Zentralität des Märtyrerkultes in der Ideologie der Khomeinisten heraus und betont, dass die antisemitische Propaganda in der Islamischen Republik Iran nicht von irgendwelchen politisch randständigen Personen verbreitet wird, sondern „staatlich konzessiert“ ist: „Ohne Ausnahme haben alle iranischen Führer an der Verbreitung des Antisemitismus mitgewirkt.“ Das gilt auch für die wiederholten Vernichtungsdrohungen gegen Israel, die Marz in Anlehnung an die Arbeiten von Wahied Wahdat-Hagh als „eliminatorischen Antizionismus“ fasst: Seit dem Amtsantritt Hassan Rohanis „lassen die Vernichtungsvorstellungen gegen Israel keineswegs nach.“

Marz zitiert die zahlreichen explizit judenfeindlichen Äußerungen von Revolutionsführer Ajatollah Khomeini, der den Islam seit seiner Gründung in einer Konfrontation mit den Juden sah, die „die ersten“ gewesen seien, die mit „antiislamischer Propaganda und mit geistigen Verschwörungen“ begonnen hätten. Khomeini war in einer klassischen Projektion seiner eigenen globalen Herrschaftsgelüste davon überzeugt, er müsse gegen die Errichtung eines „jüdischen Weltstaats“ kämpfen, von dem er bereits in seiner zentralen Schrift Der islamische Staat phantasierte.

Marz verweist auf die Bedeutung der 1978 ins Persische übersetzten antisemitischen Hetzschrift Die Protokolle der Weisen von Zion, die in den folgenden Jahrzehnten von staatlichen Stellen im Iran in großen Auflagen immer wieder neu herausgegeben wurde – mitunter mit geänderten Titeln wie Protokolle der jüdischen Führer zur Eroberung der Welt. Hier wird bereits deutlich, dass die zeitweiligen Bemühungen seitens der iranischen Führung, mitunter zwischen Juden und Zionisten deutlicher zu unterscheiden, stets wieder konterkariert werden. Zudem kann Marz zeigen, dass in der iranischen Propaganda über „die Zionisten“ stets in eben jenem verschwörungstheoretischen Geraune geredet wird, das aus dem klassischen Antisemitismus gegenüber Juden bekannt ist.

In der Studie werden nahezu alle Topoi des klassischen Antisemitismus in der Ideologie der iranischen Islamisten nachgewiesen, insbesondere die Verherrlichung einer konkretistisch verklärten, organischen, authentischen, schicksalhaften und harmonischen Gemeinschaft, die gegen eine chaotisch-abstrakte, entfremdete, zersetzende, künstliche, unmoralische, materialistische, widersprüchliche und letztlich mit den Juden assoziierte Gesellschaftlichkeit in Anschlag gebracht wird. Marz erläutert, wie sich der iranische Islamismus als „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus begreift – und auch in diesem Punkt Parallelen zum europäischen Faschismus aufweist. Sie stellt dabei immer wieder Verbindungen zur Gedankenwelt arabischer und türkischer Islamisten her, die sich gerade im Antisemitismus mit den schiitisch-iranischen Ausprägungen der djihadistischen Ideologie treffen.

Besonderes Augenmerk legt die Studie auf den ressentimenthaften Antikapitalismus der islamistischen Ideologie: „Die Überzeugung, die Ausbeutung aus dem kapitalistischen Wirtschaften exkludieren und an einen Feind des Islam delegieren zu können, führt die religiösen Führer im Iran nicht nur zu einer religiösen, sondern zu einer antisemitischen Kapitalismuskritik.“ Während der Nationalsozialismus eine Trennung in „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital vornimmt, proklamieren die Ajatollahs eine „islamische Wirtschaft“ als Gegenentwurf zum „parasitären Kapitalismus“, die letztlich, wie Marz zeigt, nur „eine ethisch und moralisch überformte Variante des Kapitalismus ist.“

Die Autorin weist sowohl religionsexegetische Erklärungen des islamischen Antisemitismus zurück, welche die Judenfeindschaft im 20. und 21. Jahrhundert aus Koransuren glauben erklären zu können, als auch jene „Importthese“, nach welcher der Antisemitismus am Beginn des 20. Jahrhunderts einfach aus Europa in die islamische Welt eingeführt wurde. Dagegen setzt sie eine Analyse der modern-regressiven Tendenzen in den islamischen Gesellschaften selbst: Der iranische Antisemitismus rekurriert demnach erstens auf „explizit islamische Motive und Beschuldigungen gegen Juden“, zweitens auf „spezifisch iranische soziale Kontexte“ und drittens auf „Bezüge, die der islamische Antisemitismus dem westlichen modernen Antisemitismus entlehnt und islamisch überschreibt.“ Marz verdeutlicht, inwiefern Islamisten, sowohl sunnitischer als auch schiitischer Couleur, „versuchen die Krisen in der Moderne mit einer religionistischen Konstruktion von kollektiver Identität abzuwehren.“ Sie zeigt überzeugend, inwiefern der iranische Islamismus eine „regressiv-moderne Erscheinung“ und der islamische Antisemitismus im Iran eine moderne Ideologie ist, „die mit antimodernen Inhalten und modernen Mitteln an ihrer Durchsetzung arbeitet.“

Sprachlich merkt man dem Buch mitunter an, dass es sich um eine Doktorarbeit handelt und gewisse universitäre Vorschriften und akademische Gepflogenheiten auch bei der Veröffentlichung eingehalten werden mussten. Das tut dem ideologiekritischen Gehalt der Ausführungen jedoch keinen Abbruch: Ulrike Marz hat eine hervorragende Studie vorgelegt, der man eine größtmögliche Verbreitung auch weit über den Kreis eines akademisch interessierten Fachpublikums hinaus nur wünschen kann.

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