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Milos Forman (1932-2018)

„Keine Filme mehr, ich habe Urlaub“, meinte Milos Forman zu seinem 80. Geburtstag. Der verdiente Urlaub nach einem höchst erfolgreichen kreativen Berufsleben sollte nicht mehr als sechs Jahre dauern. Im April starb der legendäre tschechische Regisseur nach kurzer Krankheit in seiner amerikanischen Wahlheimat.

Forman, der zweimal Vater von Zwillingssöhnen war, lebte zuletzt mit seiner dritten Ehefrau und den jüngeren, 1998 geborenen Söhnen im US-Staat Connecticut. Stets begleitete ihn die Erinnerung an die Schwierigkeiten, in den USA als Einwanderer Fuß zu fassen. Als Forman im Februar 2013 vom renommierten Regie-Verband Director’s Guild in Los Angeles für sein Lebenswerk geehrt wurde, erklärte er in einem Brief, dass er Kollegen wie Sidney Lumet und Mike ­Nichols danken wolle, die ihm in den 1970er Jahren zur Seite standen, als ihm die Abschiebung aus den USA drohte. Die Reise von der US-Ostküste nach Los Angeles konnte er damals aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. Ein Jahr davor hatte sich Forman noch einmal filmisch zurückgemeldet – diesmal vor der Kamera. An der Seite von ­Catherine Deneuve und ihrer Tochter ­Chiara Mastroianni agierte er als Schauspieler in der französischen Musikromanze Les Bien-Aimés (Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein). Der Film spielt in Paris, Prag, London und den USA. Mit dieser Rolle eines gealterten tschechischen Liebhabers bekannte sich Forman noch einmal zu seinen Wurzeln.
Als Forman 1976 mit seinem ersten Oscar für Einer flog über das Kuckucksnest in der Hand für die Auszeichnung dankte, war der tschechische Akzent noch deutlich zu hören. „Amerika ist ein wunderbares, gastfreundliches und offenes Land“, schwärmte er damals vor versammelter Hollywood-Prominenz. Sein Psychodrama gewann insgesamt fünf Oscars, darunter für Regie und für den Hauptdarsteller Jack Nicholson. Der Oscar für den besten Film steht übrigens heute noch im Appartment des Viennale-Präsidenten, Eric Pleskow, in Stamford/Connecticut, der seinerzeit noch als Chef der United Artists Milos ­Formans Erfolg in Hollywood ermöglichte. Michael Douglas hatte Pleskow das Drehbuch zur Finanzierung angeboten. Das erste Hollywood-Projekt von ­Milos ­Forman, die Generationen-Satire Taking Off (1971), holte zwar beim Cannes-Festival einen Jury-Preis, floppte aber an den amerikanischen Kinokassen. Anfangs habe er sich nicht sonderlich für Dramaturgie interessiert, meinte der Regisseur über sein ausgeflipptes Hippie-Epos.
Die konsequente Verweigerung jeder Form von Happy End war den amerikanischen Zuschauern zu „europäisch“, was so viel bedeutete wie zu avantgardistisch. Für Forman begann daraufhin eine Durststrecke, in der er seinen Arbeitsvertrag verlor und um die Aufenthaltserlaubnis bangen musste. „Ich wartete auf das Angebot, das mein Leben ändern sollte, und in der Zwischenzeit akzeptierte ich alles, was ich kriegen konnte, bis hin zum Gratis-Mittagessen“, blickte er in seiner Biografie auf diese Zeit zurück. Als er acht Jahre nach diesem Flop und drei Jahre nach seinem ersten Oscar in einem Film langhaarige Hippies auf Tischen tanzen ließ, war die Welt für ihn wieder mehr als in Ordnung: Er konnte das von ihm überaus geschätzte Musical Hair auf die Leinwand bringen, dessen Bühnenfassung ihn am Broadway beeindruckt hatte.
Hair war 1968 ganz unter dem Eindruck des Vietnamkriegs entstanden – als gesungener und getanzter Ausdruck der Hoffnung auf Frieden. Für Milos Forman also genau der richtige erste Eindruck amerikanischer Kultur, nachdem er aus der damaligen Tschechoslowakei in die USA emigriert war, weil sowjetische Panzer 1968 den Prager Frühling niedergewalzt hatten. Als 1968 die Studenten auf die Straße gingen, war es ein sichtbarer Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. In ­Formans Filmen hatte dieser Umbruch schon vorher stattgefunden.
Seine Vorliebe für Außenseiter und Rebellen erklärt sich aus Milos Formans Biographie: Er wurde 1932 als jüngster Sohn eines jüdischen Lehrers geboren. Als Achtjähriger wurde er Zeuge, als seine Eltern von der Gestapo verhaftet wurden. Beide kamen im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben. Im Waiseninternat entdeckte Milos seine Liebe zu den Filmen von Buster Keaton und Charlie Chaplin. Seinen Traumberuf fand F­orman früh. Da sein älterer Bruder bei einer Tourneetheatertruppe als Bühnenbildner arbeitete, verbrachte der 10-jährige Milos die Nächte gerne in den Künstlergarderoben, wo er den Schauspielerinnen beim Umkleiden zusah. Dabei stellte er fest, dass es offenbar einen einzelnen Mann gab, zu dem die Schauspielerinnen alle aufsahen, als wäre er ein Gott. Er fragte seinen Bruder, wer dieser Mann sei. Der antwortete, das sei der Regisseur. Mit Filmsatiren wie Die Liebe einer Blondine (1965) und Der Feuerwehrball (1967) war Forman – zu dieser Zeit bereits Absolvent der Prager Filmhochschule – ein Vorreiter der experimentierfreudigen Neuen Welle des tschechoslowakischen Films. Seine satirischen und teils recht bissigen Alltagsbeobachtungen waren den kommunistischen Machthabern seiner Heimat ein Dorn im Auge. Doch da er internationale Aufmerksamkeit auf sich zog, war er eine Zeitlang vor der Zensur sicher. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 wurden seine Werke verboten, und er emigrierte in die USA.
Nach Einer flog über das Kuckucksnest kam es zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Eric Pleskow, der zu dieser Zeit bereits seine eigene Firma, die Orion Pictures, gegründet hatte. Im gemeinsamen Projekt Amadeus (1984) stülpte Forman Mozart eine rosa Perücke über und setzte dem jungen Musikgenie und seinem Gegenspieler Antonio ein kongeniales filmisches Denkmal, indem er demonstrierte, dass ein Film über Barock-Komponisten in historischem Gewand das Gegenteil von staubig und langweilig sein kann. Amadeus gewann acht Oscars – darunter wieder für die beste Regie und als bester Film.
Nach diesem durchschlagenden Erfolg widmete sich Forman unkonventionellen und umstrittenen Randfiguren der Gesellschaft: Dem Hustler-Herausgeber und Milliardär Larry Flynt und dem Komiker Andy Kaufman. 2006 wagte er sich mit Goyas Geister noch einmal an die filmische Biographie eines großen Künstlers. Javier Bardem spielte darin den genialen spanischen Maler und die israelisch-US-amerikanische Schauspielerin Natalie Portman seine Muse. Ein publikumswirksamer Geniestreich wie Amadeus gelang ihm damit nicht mehr. Den Plan, an diesen Erfolg doch noch einmal anzuknüpfen, gab es bis zuletzt – oder genauer gesagt: Bis zu Formans „Urlaubsantritt“ zu seinem 80er. Noch einmal wollte er gemeinsam mit Eric Pleskow – mit dem er nach Einer flog über das Kuckucksnest und Amadeus auch noch den Film Valmont nach dem Briefroman Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos verwirklicht hatte – einen krönenden Abschluss seiner Karriere produzieren. Einen Abschluss, der noch einmal an den Beginn seiner US-Karriere anknüpfen sollte: 1972 hatte Forman für das Helen-Hayes-Theater am Broadway das Stück The Little Black Book von Jean-Claude Carrière inszeniert. Mit Richard Benjamin und Delphine Seyrig in den Hauptrollen wurde die Komödie zum durchschlagenden Erfolg. Carrière, der Drehbücher für Regie-Größen wie Luis Buñuel, Peter Brook, Pierre Etaix und Jaques Tati geschrieben hatte, wollte sein Theaterstück allerdings nicht selbst für den Film adaptieren.
Eric Pleskow und Milos Forman suchten und fanden einen Autor für dieses Vorhaben – Leon de Winter. Leider konnten sie das gemeinsame Vorhaben nicht mehr verwirklichen. Eric Pleskow wurde inzwischen Präsident des Wiener Filmfestivals VIENNALE – der er bis heute ist. Und Milos Forman weilt nicht mehr unter uns. Er wird als Mensch und als Filmemacher unersetzlich bleiben.

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