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Geschichte eines Welthauses

Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Linz. Er bringt damit als Autor des Buches Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910 ideale Voraussetzungen für diese erste wissenschaftliche Studie des österreichischen Zweigs der Rothschilds mit.
Die Rothschilds waren in ihrer Blütezeit wahrlich ein Welthaus, wie Sandgruber schreibt: „Kein Familienverband zuvor und auch nie seither hat einen derart hohen Anteil am jeweiligen Welteinkommen und Weltvermögen erreichen können wie die fünf Rothschild-Linien im 19. Jahrundert (…).“
Salomon Rothschild eröffnete 1821 sein Wiener Bankhaus. Er unterstützte den Staatskanzler ­Metternich und investierte in das Eisenbahnwesen der Monarchie. Sein Sohn Anselm stiftete für die Israelitische Kultusgemeinde das von Wilhelm ­Stiassny geplante berühmte Rothschildspital am Währinger Gürtel, das laut Sandgruber „zu den modernsten Spitalbauten der damaligen Zeit“ zählte.
Anselm Rothschild hatte drei Söhne. ­Ferdinand lebte in England, Nathaniel blieb unverheiratet. Er ließ sich ein Palais in der Theresianumgasse erbauen und widmete „sich der Kunst, dem Sport und dem Reisen“. Auf der Hohen Warte legte er mit den berühmten Rothschild-Gärten ein Gartenparadies an. Nathaniel war menschenfreundlich, persönlich aber auch unglücklich und nervös. Er gründete viele wohltätige Stiftungen, welche u.a. die Realisierung der Wiener Poliklinik und des Neurologischen Krankenhauses am Rosenhügel ermöglichten, „mit ziemlicher Sicherheit die größte Einzelspende, die in Österreich jemals gemacht worden ist.“
Albert, der dritte Sohn von Anselm Rothschild, kaufte große Waldflächen, womit die Rothschilds „mit einem Schlag die größten Grund- und Hausbesitzer Wiens und Niederösterreichs“ wurden. Als er der Stadt Wien für die Hochquellwasserleitung Grundstücke schenkte, hielt Karl Lueger eine Lobrede auf ihn. Davon wurde allerdings nicht in den Wiener Zeitungen berichtet.
Sandgruber analyisert hier auch die antisemitische Kritik an den Rothschilds von allen Seiten. Zum Beispiel von G. von Schönerer (dessen Vater ein Angestellter der Rothschilds war) und jene von Lueger, Herzl und den Sozialdemokraten. Für das Lueger-Denkmal spendete wiederum ein anderer Rothschild, Louis, dennoch einen größeren Betrag.
Einen Brief Theodor Herzls über dessen Judenstaat-Pläne ließ Albert Rothschild unbeantwortet. Er interessierte sich vor allem für Astronomie, Schach und, wie Nathaniel, für die Fotografie. Anhand des Inventars seiner Hinterlassenschaft registiert man allerdings mit Erstaunen, dass er keine Bibliothek besaß. Sandgruber errechnete, dass ­Alberts Spenden 3,5 Prozent seines Lebenseinkommens betrugen.
Die Rothschilds waren die einzige jüdische Adelsfamilie, die hoffähig wurde, und Bettina war mit Kaiserin Elisabeth befreundet. Aber sie führten, wie Sandgruber beschreibt, in ihren Palais und Schlössern ein einsames Leben.
Nach dem Tod seiner Frau Bettina 1892 erlitt Albert noch zwei weitere Schicksalsschläge. Sein Sohn Georg war zeit seines Lebens geisteskrank, sein Sohn Oscar Ruben starb 1909 durch Selbstmord im Alter von 21 Jahren, nachdem ihm sein Vater die Heirat mit Olga Menn verboten hatte.
Über den 29jährigen Erben Louis Rothschild (1882-1955) kann Sandgruber wenig berichten, da sich kaum private Dokumente erhalten haben. Er lobt „seine unerschütterliche Ruhe und Nervenstärke“. Louis unterstützte die Paneuropabewegung Richard Coudenhove-Kalergis. Nach dem Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt wurde Louis Rothschild angeklagt; das Verfahren wurde 1933 eingestellt. In den 1930er Jahren verteilte er über den Inflationsspekulanten Sigmund Bosel Geldbeträge an österreichische Politiker.
Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde Louis von den Nazis gefangengenommen und erpresst. ­Sandgruber schreibt: „Wie viel die Nationalsozialisten Louis und seinen Geschwistern tatsächlich abgepresst hatten, wird sich nie genau ermitteln lassen.“ In das Palais in der Prinz-Eugen-Straße zog die Zentralstelle für jüdische Auswanderung ein.
Freigelassen im Mai 1939, durfte Louis ausreisen; er lebte als Farmer mit Hilda Auersperg, die er 1946 heiratete, in Vermont. Nach seinem Tod wurde er in Wien begraben.
Die beiden Wiener Palais – keineswegs baufällig – wurden in den 1950er Jahren abgerissen; auf dem Grundstück befindet sich heute die Arbeiterkammer Wien. Die Israelitische Kultusgemeinde verkaufte 1956 das ebenfalls nicht baufällige Rothschildspital auf dem Währinger Gürtel; heute befindet sich dort der Neubau des Wirtschaftsförderungsinstituts und Ausbildungszentrum der Wiener Wirtschaft.
Sandgruber hat, basierend auf der wissenschaftlichen Literatur und vielen archivarischen Quellen, vor allem aus dem Rothschild Archive in London, ein gut lesbares, flüssig geschriebenes Buch verfasst. Er beschreibt nicht nur die großen historischen Zusammenhänge, sondern versucht auch, soweit es die Quellen erlauben, die Persönlichkeiten der Mitglieder dieser erstaunlichen und wenig glücklichen Familie zu charakterisieren. Leider verzichteten Autor und Verlag auf einen Personenindex und das Lektorat hat einiges übersehen, zum Beispiel wird der Name des Biografen Theodor Herzls, Alex Bein, konsequent als ­Aleksander Bain geschrieben.

Roman Sandgruber: Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses, Molden Verlag, Wien 2018, 528 Seiten, 37 Euro.

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