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Die Macht der Bilder

Sowohl Texte als auch Bilder vermitteln Informationen. Während z. B. für das Lesen von Zeitungsartikeln mehr Zeit aufgewendet werden muss, werden Informationen durch Fotos sehr schnell aufgenommen. Oftmals kann ein dazugestellter Satz den scheinbaren Kontext der Bildentstehung oder des Ortes herstellen.

Bilder als Illustration sollen auch eine beschriebene Situation glaubwürdiger machen. Und nicht umsonst heißt es: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Aufgrund von Social Media werden Bilder und Videos auch sehr schnell verbreitet und reproduziert. So schleichen sich auch immer wieder Fakebilder ein, die eine aktuelle Situation zeigen sollen, aber aus einer anderen Zeit stammen. Oder sie zeigen Situationen, die ganz woanders stattgefunden haben, oder gar nicht geschehen sind.
Fotos als Fake bzw. als Manipulationsobjekte gibt es jedoch bereits kurz nach der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert. Das „Zeichnen mit Licht” wurde relativ zeitgleich in England und in Frankreich erfunden. In Frankreich wollten 1839 zwei Männer das Fotografieverfahren patentieren lassen: Louis Daguerre und Hippolyte Bayard. Daguerre setzte sich mit seiner Daguerrotypie durch. Als Reaktion auf die Niederlage bezüglich der Patentanmeldung stellte Bayard das erste Fakefoto über sich selbst her: Er inszenierte sich als durch Ertrinken Toter im Selbstporträt.

Die Erfindung der Fotografie erzeugte durch die Reaktionen ihrer Betrachter_innen erhebliches Aufsehen über die Grenzen Frankreichs hinweg. Der österreichische Botschafter beispielsweise berichtete sofort Staatskanzler Fürst Clemens von Metternich von dieser Errungenschaft. Dieser schickte den Mathematiker und Physiker Andreas von Ettinghausen daraufhin nach Paris, damit er das Handwerk erlerne und das erste Foto, das 1840 in Wien entstanden ist, zeigt einen Blick auf die Stallburg mit dem alten Burgtheater. Fotografiert wurde aus einer gegenüberliegenden Wohnung, weil damals die Belichtungszeiten noch sehr lang waren.
Aber auch die sogenannten dokumentarischen Bildmanipulationen gewannen einen beträchtlichen Auftrieb: Eugène Appert ließ z. B. in seiner Serie Verbrechen der Commune von Schauspieler_innen Mord und Totschlag in Paris nachstellen. Aus drei Fotos wurde eine Szene montiert, auf dem General Ulysses S. Grant hoch zu Ross aus dem Bild blickt. Bei einem Foto, das Präsident Abraham Lincoln zeigt, stammt nur der Kopf aus einem Originalfoto – der Rest von einer Abbildung des Politikers John C. Calhoun. Die Fotografie gibt nur vor, objektiv eine Situation festzuhalten. Für Betrachter_innen ist es oftmals schwer, manipulierte Bilder zu erkennen.
Besonders radikal wurden Fotos unter Josef Stalin in der Sowjetunion bearbeitet, oder unter Walter Ulbricht in der DDR. Fiel jemand aus dem Stalin-Bildkreis in Ungnade, wurde dieser auf den entsprechenden Fotos wegretuschiert –Leo Trotzki wurde z. B. durch eine Holztreppe ersetzt. Alle wurden entfernt, die nicht dem Idealbild der Partei entsprachen, Inszenierung war alles.
Auch während des Nationalsozialismus entstanden Bildfälschungen. Menschen tauchen auf Fotos auf, oder verschwinden wieder. Ein Foto wurde in einem Garten aufgenommen: Ein Mann, zwei Frauen, Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Leni Riefenstahl, oder später: ein Mann, zwei Frauen, Adolf Hitler, Reste der linken Schulter von Goebbels und Leni Riefenstahl – eine schlechte Retuschierung. Auf einem Originalbild hat General Franco neben Hitler die Augen geschlossen, die Fälschung zeigt aber geöffnete Augen. Bereits 1924 hatte Hitler bildrhetorisch gelogen: Es zeigt ihn bei der Haftentlassung neben dem Gefängnistor bei einem Auto stehend, auf dem Originalfoto steht er aber vor dem Landsberger Stadttor.
Es gibt auch Zweifel, ob eines der bekanntesten Bilder aus dem spanischen Bürgerkrieg von Robert Capa echt ist. Der 1936 von einer Kugel getroffene, taumelnde Soldat, dem gerade das Gewehr entgleitet, soll nachgestellt worden sein und zeigt nicht das Schlachtfeld in Cerro Muriano – dort sieht die Landschaft anders aus – sondern Llano de Banda.
Heutzutage müssen wir bei Bildern bzw. Fotografien aus Kriegsgebieten mehr denn je aufpassen. Ein sehr häufig auf Twitter, Facebook & Co geteiltes, herzzerreißendes Foto zeigt ein Kind zwischen den Gräbern der Eltern liegend. Der darunter stehende Begriff „Syrien“ vermittelt uns auf einen Blick die Gräueltaten des Assad-Regimes. Menschen sind schockiert und empört. Nur hat das Bild rein gar nichts mit dem syrischen Bürgerkrieg zu tun, denn der Fotograf Abdel Aziz Al-Atibi hat seinen Neffen abgebildet und seine Intension war es, häusliche Gewalt zu thematisieren. Aufgenommen wurde das Bild auch nicht in Syrien, sondern in Saudi Arabien. Die Emotionen, die dieses Foto hervorrief, zeigen sehr stark die Macht der Bilder.
Einer der skandalösesten Bildmissbrauche werden am 9. April von den Palästinensern begangen. Gezeigt werden seit vielen Jahren auf dem Boden liegende Leichen, rechts und links zerbombte Architektur. Menschen tragen Tote und reihen sie auf. Oftmals wird auch nur ein Ausschnitt mit den Leichen als Bildmaterial verwendet, wodurch natürlich das Bild wiederum verfremdet wird. Verwendet wird diese Fotografie als Beweis für das Massaker, das Jüd_innen in Deir Yassin an Araber_innen begangen haben.

Wer die Bildrhetorik genauer hinterfragt, schaut auf die Architektur, schaut auf die lebenden Menschen und schaut auf die Kleidung, auch auf die der Toten. Die Betrachterin und der Betrachter kommt dadurch schnell zum Schluss: Da stimmt etwas nicht. Das Bild wurde in Wahrheit als Dokumentation von James E. Myers, einem Angehörigen der US-Armee, aufgenommen. Der abgebildete Ort heißt nicht Deir Yassin, der Ort heißt Nordhausen, auch bekannt als Konzentrationslager Mittelbau-Dora – ein Außenlager des KZ’s Buchenwald. Aufgenommen wurde das Bild nicht am 9. April 1948, sondern am 12. April 1945.

 

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