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Die Affäre Deutsch

Braune Netzwerke hinter dem größten Raubkunst-Skandal

Der investigative Journalist Burkhart List stößt auf des Pudels Kern in seinem kürzlich erschienen Buch Die Affäre Deutsch. Braune Netzwerke hinter dem größten Raubkunst-Skandal.
Bereits im April 2014 veröffentlichte die Illustrierte Neue Welt einen Artikel des Autors, der die sogenannte Affäre Deutsch und die damit zusammenhängende SS-Verschwörung thematisierte. Gerechtigkeit wird als Grundnorm menschlichen Zusammenlebens erachtet, auf die sich die meisten Staaten in Gesetzgebung und Rechtsprechung berufen: Wie aber stand es um die Gerechtigkeit im Deutschland der 1960er Jahre, als der Rechtsanwalt Hans Deutsch, Jude, österreichischer und israelischer Staatsbürger und Doktor der Rechtswissenschaften, eines Morgens verhaftet wurde?
Schon immer ging von der Konspiration ein einnehmender Reiz aus: Meist assoziiert man mit dem Begriff „Verschwörung“ die gemeinsame Planung einer Unternehmung, welche oft gegen die staatliche Ordnung gerichtet ist. Doch was geschieht, wenn der Staat und dessen Behörden selbst die eigentlichen Drahtzieher hinter der Verschwörung zu sein scheinen? Wie kann der rätselhafte Verlauf des Geschehens greifbar gemacht, gar nachgewiesen werden? Die Unterscheidung zwischen Verschwörung und Wahrheit erweist sich als schwierig, bedarf sie doch einer Verdeutlichung der Komplexität und Verwobenheit.
Als gesichertes Tatsachenwissen gilt: 41 mal 47,5 Zentimeter misst das Gemälde Veduta del Monte Sinai von El Greco, welches 1980 auf mysteriöse Weise auf dem Wiener Naschmarkt auftauchte, nachdem es 1944 unter deutscher Besatzung dem Kunstsammler Baron Ferenc Hatvany entwendet worden war.
Der in Budapest geborene Baron Ferenc von Hatvany war ein Maler aus der ungarischen Industriellenfamilie Deutsch und jüdischer Abstammung. Seine Kunstsammlung soll aus rund 800 Werken bestanden haben: Impressionistische Gemälde wie etwa von Paul Cézanne, Edgar Degas, Édouard ­Manet, Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir sowie Gemälde und Zeichnungen von ­Tintoretto, Pissarro, El Greco und Tizian gehörten zu seiner umfangreichen Sammlung. Viele der Werke gingen während des Zweiten Weltkriegs auf ungeklärte Weise verloren, wurden gestohlen oder konfisziert. Bis zum heutigen Tage konnte nicht geklärt werden, ob die Hatvany-Sammlung 1945 in Budapest von der deutschen SS oder der sowjetischen Roten Armee geraubt wurde. Zahlreiche Medien befassten sich über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit dem Fall des NS- Raubes des Bildes Berg Sinai, doch niemand vermochte es, ihn bis dato zufriedenstellend aufzuklären.
Der Fall Hatvany war Anlass für die Verhaftung von Hans Deutsch in Bonn. Das Bundeskriminalamt warf ihm im Fall des Wiedergutmachungsverfahrens des ungarischen Kunstsammlers Ferenc von Hatvany vor, Beweise gefälscht zu haben. Das Finanzministerium behauptete von Deutsch betrogen worden zu sein: Nicht die Deutschen, sondern die Russen hätten die legendäre Sammlung aus Budapest geraubt. Deutsch saß aufgrund dieser Vorwürfe mehr als 18 Monate in U-Haft, er verlor seine Klienten und einen Großteil seines Vermögens.
In den 1950er und 1960er Jahren genoss Deutsch unter den Anwälten – als erfolgreichster von ihnen – eine Ausnahmestellung. Unter anderem erstritt er den Rothschilds 85 Millionen Mark. Infolge der Verhaftung Deutschs lag die Wiedergutmachung des geraubten, beweglichen Vermögens zunehmend brach. Später gab der Beamte Fritz Koppe im Gerichtsverfahren zu, dass sich der deutsche Staat damals zwei Milliarden Mark an Entschädigungszahlungen damit ersparte.
Hans Deutsch wurde zwar in den 1970er Jahren freigesprochen, bekam aber keine Wiedergutmachungsleistung für sich selbst. Bis zu seinem Lebensende kämpfte er um das ihm verwehrt gebliebene Recht und die Rehabilitierung seines Namens. Am 13. Mai 2002 starb Prof. Hans Deutsch im Alter von 96 Jahren in seinem Schweizer Domizil, im Kreis seiner Familie. Ein Jahr zuvor stellte er fest: „Eine Ungeheuerlichkeit war das, ein Verbrechen, das mir die Deutschen angetan haben, und sie haben nicht einmal den Anstand, sich dafür zu entschuldigen.“
Zwar steht die gänzliche Aufklärung der Affäre Deutsch noch immer aus, doch ­Burkhardt List leistet mit seinem Buch einen immensen Beitrag zur Aufdeckung der bislang verborgen gehaltenen Menge an Fakten. Und obwohl das faustische Streben nach absoluter Wahrheit letztlich stets nur unbefriedigt bleiben kann, sollte dieser Umstand niemals den Versuch nach einem neuerlichen Erkenntnisgewinn eindämmen.
Beeindruckend ist, wie beharrlich und willensstark diese beiden Männer – Deutsch in eigener Sache und List in aufdeckender Absicht – um ein und dieselbe Wahrheit kämpfen, gleichwohl zeitlich verschoben.
Der investigative Journalismus, welcher Machenschaften und Korruption aufdeckt, ist zu Burkhart Lists Spezialgebiet geworden. Ein persönliches Motiv bewegte den Journalisten List, der bereits über viele andere politisch brisante Themen schrieb, dazu, sich der undurchschaubaren Thematik anzunehmen: Während das Verschwörungsdenken viele von einer Auseinandersetzung mit der Materie abhielt, ließ ihm die augenscheinliche Ungerechtigkeit, die Hans Deutsch widerfuhr, keine Ruhe.
Der Maler Georg Chaimowicz machte den Journalisten im Jahr 1995 das erste Mal auf die Affäre Deutsch aufmerksam. Der Versuch, hinter die Wahrheit zu kommen, erforderte rund zwanzig Jahre profunde Recherche. Die Verschleierung der wahren Motive, die hinter der Anklage Hans Deutschs steckten, die Vernetzung der hinter den Kulissen agierenden Seilschaften und dunklen Hintermänner, arbeitet List nach und nach bedächtig heraus.
Fest steht: Hans Deutsch wurde politisch in hohem Maße gefährlich, was den untergetauchten Nazis im deutschen Staatsapparat ein Dorn im Auge war. Herrschte auch eine allgemeine Skepsis gegenüber der offiziellen Version vor, so nahm die Öffentlichkeit die Anschuldigungen gegen Deutsch weitestgehend kampflos hin.
List bietet einen validen Erklärungszugang und entwickelt in seinem Buch Gedankenschlüsse, gegen die kaum ein Gegenargument standhalten dürfte. Bewegte man sich zuvor noch auf Grund und Boden von Mutmaßungen, so tritt anhand von Lists Rechercheergebnissen eine gänzlich konträre Beleuchtung der Ereignisse auf den Plan.
Nachträgliche Gerechtigkeit für Hans Deutsch vermag auch Burkhart List nicht mehr stiften zu können, denn dies obliegt letztlich Gottes Walten. Einen Moment des Trostes gibt es für den Leser dennoch: List schenkt Deutsch mit der Ungebrochenheit seiner Standhaftigkeit und beharrlichen Recherche letztlich die Frucht seiner ausdauernden Mühen und würdigt auf diese Weise das Ansehen jenes tatkräftigen Mannes nachhaltig.

Burkhart List: Die Affäre Deutsch. Braune Netzwerke hinter dem größten Raubkunst-Skandal, Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin 2018, 480 Seiten, 29,00 Euro.

 

Hans Deutsch wurde am 27. April 1906 in Wien geboren, wuchs mit seinen Geschwistern in Döbling auf, promovierte 1931 zum Doktor juris und begann als Rechtsanwaltsanwärter. Mit Erna, seiner Ehefrau, Pianistin und Klavierlehrerin, floh er dann vor den Nazis über die Schweiz nach Palästina. Seine Eltern fielen in Auschwitz den Nazis zum Opfer. Das Ehepaar siedelte sich in Rehovoth an, wo Hans als Jurist arbeitete. Erst 15 Jahre nach der Flucht kehrte das Ehepaar nach Wien zurück. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde Deutsch ein renommierter Anwalt in Wiedergutmachungsfällen in Deutschland und Österreich. Er betätigte sich auch erfolgreich als Verleger.

Burkhart List, geboren 1949 in Ziersdorf/Österreich, ist freier Journalist. Nach dem Studium war er als Herausgeber und Redakteur für verschiedene Zeitschriften tätig, u.a. bei der Volksstimme. Ab 1979 arbeitete er unter anderem als freier Journalist für den ORF und den Stern. 1996 gab er den neuen Simplicissimus heraus und arbeitete ab 1999 wieder als freier Journalist mit Fokus auf internationalen Konflikten und Regierungskorruption. Seit 2003 recherchiert er intensiv zum Thema Wiedergutmachungsbetrug; lebt in Berlin und Wien.

 

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