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Der jüdische Messias

Die Juden? Die Juden haben niemanden – nur einen Gott, der sich niemals zeigt, und keinen Messias, der sie vor dem Hass der anderen schützt, meint der holländische Autor Arnon Grünberg in seinem Roman „Der jüdische Messias“.

Die Christen hatten dagegen Jesus, die Kommunisten und Marxisten hatten Karl Marx, die Kapitalisten ma(r)ximierten statt dessen das Kapital, die Sozialisten betreuen die Lohnsklaven des kapitalistischen Systems und verhelfen ihnen zu politischem Bewusstsein und die Buddhisten sind – so Grünberg in Der jüdische Messias – dabei, sich in Bedeutungslosigkeit aufzulösen. Aus diesen Ansichten und Einsichten, in Kurzform, ergibt sich der philosophische (?) Ansatz des Romans, auf den in der Folge näher eingegangen werden soll. Nach dem Erscheinen der Originalausgabe in den Niederlanden 2004 gab es viel Kritikerlob und Grünbergs Buch wurde sehr bald in England, Frankreich, Spanien, Italien, Portugal und Ungarn veröffentlicht – und auch in der Türkei, die nicht gerade für ihre Vorliebe für jüdische Schriftsteller bekannt ist, wurde Der jüdische Messias publiziert. Bei der Lektüre des Romans wird schon sehr bald klar, warum der Diogenes Verlag so lange gezögert hat, dieses Buch endlich auch in Deutschland und Österreich auf den Markt zu bringen. Unter anderem weil der „Du-weißt-schon-wer“ – wie Adolf Hitler in diesem Buch konsequent genannt wird – darin eine Art zum Judentum konvertierte Reinkarnation erfährt, ließ der Schweizer Verlag zur Sicherheit ein Jahrzehnt bis zur deutschen Übersetzung verstreichen. Grünberg bezieht – ähnlich wie Quentin Tarantino in seinen Filmen – den drastischen Humor aus geradezu berserkerhaften Tabubrüchen und aus der Brutalität, mit der seine Protagonisten dabei vorgehen. Über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus parodiert Der jüdische Messias die faschistische Ideologie und entlarvt gnadenlos und schamlos die irregeleiteten Gedanken all jener, die dem Totalitarismus in irgendeiner Form auf den Leim gegangen sind. Grünberg nähert sich ernsten Themen mit dem Furor eines übergeschnappten Stand-up-comedians und macht damit deutlich wie hohl, geistlos und grausam die Welt ist, in der wir leben. Aber wer ist nun dieser Arnon Grünberg, der hinter diesem „Jüdischen Messias“ steckt?

Der 1971 in Amsterdam geborene und heute in New York lebende Autor ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch – wie einst Egon Erwin Kisch – eine Art „rasender Reporter“. Als Kolumnist, Essayist und Blogger kommentiert er nahezu täglich für zahlreiche Magazine und Zeitungen den Zustand der Welt. Als „embedded Journalist“ war er zweimal im Irak. Als er 1988 als „asoziales Element“ aus einem Amsterdamer Gymnasium gefeuert wurde, beendete der junge Arnon seine Schullaufbahn und begann zu schreiben. Schon bald galt er als „Wunderkind“ und als „enfant terrible“ der europäischen Literatur. Seit seinem Romandebut Blauer Montag (1994) veröffentlicht Grünberg nahezu jedes Jahr ein Buch – auch unter dem Pseudonym Marek van der Jagt, der – so die selbstgebastelte Legende – angeblich aus Wien stammt. Grünberg selbst ist deutsch-jüdischer Abstammung, seine Eltern überlebten nur knapp den Holocaust. In seinem achten Roman Der jüdische Messias persifliert Arnon Grünberg mit grimmigem Humor die Persistenz und Heimtücke des Antisemitismus.

 

„Der jüdische Messias“

Der Roman ist eine surreale, düstere Satire – ebenso faszinierend wie verstörend. Über weite Strecken zum Schreien komisch, aber genauso oft auch zum Schreien widerlich. Am Beginn treffen wir Xavier Radek und seiner Familie in Basel. Diese Familie – und insbesondere Xavier – sind ziemlich seltsame Leute. Sein Vater kann Liebe nur durch Grausamkeit ausdrücken und findet seine diesbezügliche Erfüllung in asiatischen Massagesalons. Die offenbar masochistisch veranlagte Mutter verletzt sich jede Nacht selbst mit einem Messer, während sich ihr neuer Liebhaber sexuell zu ­Xavier hingezogen fühlt. Vor allem aber gibt es da den deutschen Großvater, der dem Hitler-Regime als allzu loyaler SS-Offizier gedient und als Aufseher in einem KZ viele Juden eigenhändig erschlagen hat. Angesichts dieser Erbschuld entschließt sich Xavier Radek, in dessen Person Arnon Grünberg im Verlauf des Romans alle Mythen über Hitler verarbeitet, die Taten des Großvaters auf seine Weise zu büßen: „Er würde die Juden trösten.“
Xavier will deshalb zum Judentum konvertieren und lässt sich davon auch nicht von seiner Mutter abhalten, die denkt, dass die Idee von „Du-weißt-schon-wer“, die Juden auszurotten, eine richtige gewesen sei. Naiv bis zur Dummheit stolpert Xavier durch den Roman wie Isaac Bashevis Singers Gimpel der Narr, wie eine Art Candide der Post-Holocaust-Generation. Xavier sucht den Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Basel, lernt dort Awrommele kennen, dessen Vater sich fälschlicherweise als Rabbiner ausgibt. Awrommele, mit dem Xavier bis zum Ende des Buches eine homoerotische Beziehung hat, organisiert für Xavier eine Beschneidung, bei einem alten, fast blinden Mohel, dem die Beschneidung zum Massaker gerät. Xavier verliert nicht nur seine Vorhaut, sondern einen Hoden, der von den Ärzten in einem Glas konserviert wird. Im Verlauf des Romans trägt Xavier den Hoden immer mit sich und verehrt ihn schließlich als „König David“. Grünberg tut – oder besser: schreibt – (fast) alles, um seine Leser vor den Kopf zu stoßen. Der falsche Rabbiner fühlt sich zu transsexuellen Prostituierten hingezogen, eine Frau aus dem Mossad macht einen ägyptischen Hamas Fan zum Informanten – dank der Kraft ihrer Zunge, nachdem sie ihm die Hose geöffnet hat. Und Xavier bezieht immer mehr Kraft von „König David“, seinem Hoden im Rex-Glas. Als Xavier schließlich zum korrupten Premierminister von Israel wird und sich dabei mehr und mehr in einen modernen Hitler verwandelt, sieht man die makabre Lächerlichkeit solcher Szenen in einem neuen Licht. Die bissige Satire hinterlässt eine offene Wunde...

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Arnon Grünberg: Der jüdische Messias, Diogenes Verlag, Zürich 2013, 640 Seiten, 13,30 Euro, Hardcover 25,60 Euro.

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