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Deborah Feldman

Aus der Satmarer Gemeinde in New York nach Berlin

1995 machte Pearl Abraham, eine damals 35-jährige Autorin mit Geburtsort Jerusalem und Wohnort New York, kurzzeitig Furore. Mit ihrem Buch Die Romanleserin eröffnete sie Einblicke in den, an sich hermetisch geschlossenen, Kosmos der Satmarer Gemeinde von New York, mit Wurzeln in Satu Mare (jidd. Satmar) im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet. Sie gilt als frömmste, um nicht zu sagen, fundamentalistische Gruppierung innerhalb der Frumen, der Chassidim. Ihr inzwischen verstorbener geistiger Führer, Rebbe Joel Teitelbaum, ein Holocaust-Überlebender, zog nach Amerika und begründete eine Gemeins­chaft, die durch unerbittlich strenge Einhaltung der Mizwot auffällt. Die Leiden der Juden während der Schoah verstand Teitelbaum als Strafe für Liberalisierung und Assimilation. 

1996 gelang der Fotografin Maud Weiss und ihrem Koautor Michel Neumeister ein Fotoband über Die Frommen in New York. Die Welt der Satmarer Chassidim. Das war schon deshalb eine kleine Sensation, weil Fotos verpönt sind, Frauen – also auch die Fotografin – keinerlei Kontakt zu Männern aufnehmen dürfen, im Prinzip auf die Rolle von Hausfrau und Mutter beschränkt sind. Fernsehen und Meinungsvielfalt war seit jeher verboten. Bricht jemand aus, so sitzt die Familie Schiwe wie um Verstorbene. 

Pearl Abraham beschrieb seinerzeit den Werdegang eines jungen Mädchens, das heimlich seiner Leseleidenschaft frönt und schließlich ausbricht – kurz nach ihrer Verheiratung. Einer Aneinanderreihung von Traumata des Verkuppeltwerdens, ihrer Unbedarftheit in allen Aspekten von Sexualität und ihres Geschorenwerdens nach der Hochzeitsnacht.

All dies ist auch Deborah Feldman, der Autorin des Millionenbestsellers Unorthodox – The Scandalous Rejection of My Hasidic Roots von 2012 im wahren Leben widerfahren. 

Sie wuchs im New Yorker Stadtteil Williamsburg auf, Jiddisch war ihre Muttersprache, Erziehung zu „tsniut“, zu Bescheidenheit, höchste weibliche Verpflichtung. Nur so hat man in diesen Kreisen eine Chance auf einen Ehemann. Frauen hätten unsichtbar zu sein, Männer nicht zu schwächen, nicht abzulenken vom Allerwichtigsten nämlich dem Studium von Tanach und Talmud, und vor allem eine Aufgabe, Kinder zu gebären und eben in diesem Geiste zu erziehen. 

Deborah Feldman: Unorthodox. Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag, Zürich 2016, 319 Seiten, 22,60 Euro.

Nur fiel Deborah Feldman aus diesem vorgegebenen Rahmen von Anfang an und ohne eigenes Zutun heraus. Ihr Vater, siebtes von elf Kindern, war behindert. In der geschlossenen Welt der Satmarer ein Handicap für alle seine Geschwister, selbst einen Ehepartner zu finden. Also musste er verheiratet werden. Eine ahnungslose Braut wurde aus England importiert, die Ehe hielt nicht lange. Mit der Scheidung kam ein zweites Handicap in die Familie. Und das Kind aus dieser kurzen Beziehung, das damals noch nicht Deborah hieß, und von seiner Mutter zurückgelassen wurde, musste es ausbaden...

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