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Als die Sandgrube 13 arisiert wurde

Die Winzergenossenschaft Krems will nicht über ihre Entstehungsgeschichte sprechen. Sie beginnt mit der Arisierung eines jüdischen Weingutes. Das Buch „Der Wein des Vergessens” ist ein dokumentarischer Roman, wie man ihn sich brisanter und spektakulärer nicht ausdenken könnte.

Sie trinken gerne Wein, Sie kennen die Sandgrube 13 in Krems. Beim nächsten Schluck eines Weines der Winzergenossenschaft vergessen Sie nicht, dass Sie einen Wein trinken, der seine Ursprünge in einer Arisierung hat, von der die heute in der Winzergenossenschaft Tätigen nur eines wollen: dass diese Tatsache nicht dem Vergessen entrissen werden soll. Ginge es nach ihnen, dann hätten Sie nur ein Buch mit leeren Seiten in Händen. Das Umblättern wäre nur eine andere Form des Schweigens.
Wir, Bernhard Herrman und Robert Streibel, die Autoren von Der Wein des Vergessens, haben in insgesamt drei E-Mails an den Vorstand der Winzergenossenschaft – ich erstmals am 15. September 2015 – um ein Gespräch gebeten. Wir wollten über das Vorhaben des Buches und ihre Recherchen berichten. Der zentrale Satz der letzten elektronischen Post vom 31. Juli 2017 lautete:
„In unserer Beschäftigung mit der Vergangenheit und der NS-Zeit geht es uns nie darum, die nachfolgende Generation für etwas verantwortlich zu machen, wichtig ist es jedoch, dass sich jedes Unternehmen seiner Geschichte stellt.“
Die Reaktion auf dieses letzte E-Mail kam prompt am Morgen des folgenden Tages: ein Anruf von Direktor Franz Ehrenleitner, Geschäftsführer und – laut Homepage der Winzer Krems – „Denker und Lenker“ des Unternehmens, sowie Träger des Ehrenrings der Stadt Krems. Seine Botschaft war klar und im Befehlston gehalten: „Lassen Sie uns endlich damit in Ruhe! Ich will Ruhe, ein für alle Mal! Wir haben darüber nichts zu sagen, ich will mich damit nicht beschäftigen, ich bin ein christlich denkender Mensch, ich habe viel Gutes getan, ich blicke in die Zukunft. Ich fordere Sie auf, uns in Ruhe zu lassen! Wenn Sie das nicht tun, werden wir unsere Schritte unternehmen! Wir blicken in die Zukunft. Wir sollten selbstbewusster sein, wir Österreicher. Immer schauen wir in die Vergangenheit. Ich weiß, dass alles für rechtens erklärt wurde, und das ist es. Wen interessiert das? Mich nicht. Es ist schon viel, dass ich Sie anrufe. Ich will mich nicht mit Ihnen treffen.
Was soll das für einen Sinn haben? Warum? Ich habe dafür keine Zeit. Ich bin 1954 geboren. Wer gibt mir meine beiden Onkel zurück, die im Krieg gefallen sind? Mein Vater ist schwer krank aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen, das ist emotional für mich. Es gibt keine Zeitzeugen, die wirklich wissen, wie es gewesen ist, aber ich sage Ihnen, ich werde mit Ihnen nicht sprechen und mich auch nicht mit Ihnen treffen, und kein Mitarbeiter der Winzer Krems wird mit Ihnen sprechen. Ich muss nicht über diese Dinge sprechen, mich interessieren auch keine Tätowierungen, auch wenn viele Menschen heute tätowiert sind. Und wenn ich nichts über die Homosexuellenehe sagen will – bin ich deswegen ein schlechter Mensch? Ich bin kein Politiker, ich muss nichts sagen und ich will nichts sagen. Manche Dinge kann ich nicht ändern, und wenn ein Erdrutsch in Chile ist, so will ich das nicht sehen, denn ich kann nichts tun. Ständig werden wir mit solchen Meldungen bombardiert.“
Auf den Einwand, dass die Winzer Krems durch diese Gesprächsverweigerung vielleicht in einem schlechten Licht erscheinen könnten, meinte Vorstand Ehrenleitner, dass die Winzer Krems schon ganz andere Dinge überlebt hätten.
„Wir haben auch den Weinskandal überlebt und hatten gar nichts damit zu tun gehabt. Ich bin nicht verantwortlich für das, was passiert ist, Punkt. Aus! Lassen Sie uns in Frieden! Es geht doch immer um Wiedergutmachung, um Zahlungen! Das ist doch immer so, da müssen dann die Firmen zahlen. Lassen Sie uns in Frieden. Wen interessiert das heute?“
Mit dem Weinskandal haben die Winzer Krems tatsächlich nichts zu tun, mit ihren eigenen Ursprüngen schon. Die Winzergenossenschaft Krems – gegründet im Sommer des Anschlussjahres 1938 – war nur durch die Arisierung des Weingutes der jüdischen Eigentümer, Paul Josef Robitschek und seiner Mutter Johanna, ermöglicht worden.
Am Anfang der Vorgeschichte steht ein kleines Haus in Salzburg-Elsbethen, das Bernhard ­Herrman von seiner kinderlosen Cousine, Ingrid Herzog, 2008 geerbt hatte. Im Nachlass fand sich auch eine versperrte Metallkassette, eine Art ­Mini-Tresor, 40 cm lang, 30 cm breit, 30 cm hoch. Der Inhalt bestand aus Briefen, Dokumenten, amtlichen Schreiben und Fotos. Einige der Adressaten und fotografisch Abgebildeten waren ­Bernhard Herrman bekannt, die meisten nicht. In den Schriftstücken tauchte immer wieder der Name „August Rieger“ auf.
Diesen Namen kannte er aus Erzählungen seiner Mutter. Sie hatte immer von einem „Baron Rieger“ geschwärmt, von seiner stattlichen Erscheinung, seiner sonoren Stimme und seinem imponierenden Auftreten. Aber sie sprach auch von gewaltigen Schulden und davon, dass er einen jüdischen Geliebten gehabt hätte, einen Wiener Weingroßhändler. Auch Albert, der Mann ihrer Schwester Margarethe, sei mit dem Baron „innig“ gewesen. Und dann gab es in der Kassette einige Schreiben mit Hakenkreuzstempel, datiert von 1938, in denen es um „Paul Josef Israel Robitschek“ ging, Weinhändler und Eigentümer des „Sandgruben-Gutes Krems“.
Der Name „Sandgrube“ machte uns stutzig.
War „Sandgrube 13“ nicht die Adresse der Winzergenossenschaft Krems, des niederösterreichischen Vorzeigebetriebs schlechthin, der seinen Wein höchst erfolgreich in alle Welt exportiert? War nicht der 2002er-Jahrgang unter großem Presserummel vom Vorstand Ehrenleitner als Wein für den Wiener Opernball präsentiert worden?
Was aber hatte jener Paul Josef Israel ­Robitschek mit der „Sandgrube 13“ zu tun? Was mit der Winzergenossenschaft Krems? Die Neugier war geweckt.
Ob sich auf der Homepage der Winzer Krems vielleicht ein Hinweis auf diesen Paul Josef Israel Robitschek fände? Unter der Rubrik „Geschichte“ fand sich dort zwar kein Hinweis auf ihn, aber ein Satz machte stutzig: „1938 gründeten verantwortungsbewusste Winzer der Hauerinnung Krems und Stein die WINZER KREMS.“
Da stellte sich sofort die Frage: Worin bestand im Jahr des sogenannten Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland die „Verantwortung“ der Gründungswinzer in Krems?
Auffallend war der Beiname „Israel“ bei Paul ­Josef Robitschek in den Dokumenten des an Bernhard Herrman gefallenen Nachlasses. Denn den Beinamen „Israel“ oder „Sarah“ erhielten von den Nazis ausschließlich Juden und Jüdinnen. Dass Paul Josef Robitschek mit den Winzern Krems etwas zu tun hatte, war damit klar.
Es lag also nach einigen Gesprächen und Überlegungen für die Autoren nahe, gemeinsam den historischen Tauchgang in ein offenbar sehr gut verstecktes Stück Kremser Wirtschaftsgeschichte zu unternehmen. Dafür standen Tausende Seiten an Dokumenten zur Verfügung: Tagebücher, Briefe, der Arisierungsakt „Winzer Krems / Paul Josef und Johanna Robitschek“ der NS-Vermögensverkehrsstelle, lagernd im Österreichischen Staatsarchiv, NS-Gauakten, Gestapo- und Volksgerichtshofakten, Akten der Rückstellungskommission sowie Aussagen von Zeitzeugen und direkten Nachkommen der Familie Robitschek in Caracas / Venezuela und in den USA, in Florida und in New York.
Es gab also doch – anders als Herr Ehrenleitner vermutete – außer den historischen Dokumenten auch Zeitzeugen, die wissen, wie es damals wirklich gewesen ist.
Jedenfalls war es sehr anders, wie es z.B. Hans Frühwirth in seinem Buch Der Kremser Wein und die Kremser Weinkultur (2005) die Leserinnen und Leser glauben machen möchte, wenn er behauptet: „Der Keller des 1938 geflüchteten Paul Robitschek, von einem Treuhänder verwaltet, war frei. Er wurde zu einem der damaligen Zeit entsprechenden Preis angekauft. Dass es kein ,unredlicher Erwerb‘ war, wurde 1947 von einem Beamten des Volksgerichtshofes bestätigt.“ Darüber hinaus suggeriert Frühwirth unterschwellig das Klischee der „jüdischen Gier und Unredlichkeit“, wenn er schreibt:
„Trotzdem forderte 1946 der nunmehr in Venezuela beheimatete Robitschek die Rückstellung des Kellers ein. Die völlige Erfüllung seiner Forderung (eine Million) hätte die Genossenschaft schwer geschädigt oder sogar zu deren Auflösung geführt. (…) Im Juni 1948 kam nach einem Lokalaugenschein unter dem damaligen Obmann Gottfried Preiß ein Vergleich zustande: Die WG zahlte einen Abschlagsbetrag von S 600.000 und kaufte damit den Keller zum zweiten Male.“
Frühwirth erwähnt nicht, dass der angeblich „der damaligen Zeit entsprechende“ Kaufpreis von 22.000 Reichsmark auf ein Sperrkonto überwiesen worden war und so dem Fiskus des sogenannten Dritten Reiches zufiel und nicht den jüdischen Eigentümern.
Erstaunlich an Frühwirts Text über die Winzergenossenschaft Krems ist auch, dass das Wort „Nationalsozialismus“ kein einziges Mal vorkommt. Frühwirth blendet damit ganz bewusst die Gründungsgeschichte und deren Profiteure in Krems aus, sowie die antijüdische NS-Gesetzgebung („Entjudung“) und deren dramatische Auswirkungen auf das Schicksal der jüdischen Eigentümer der Sandgrube und das ihrer Freunde.
Nach achtzig Jahren ist es nun Zeit, die Wahrheit über die Entstehungsgeschichte der Winzergenossenschaft Krems im Sommer 1938 ans Licht zu bringen. Der Roman Der Wein des Vergessens erzählt eine unglaubliche Geschichte von Verrat und Treue, Liebe und Geschäft, Vernichtung und Verdrängung. Dass es für ein Paradeunternehmen in Niederösterreich im Jahr 2018 noch möglich ist, seine Geschichte der Entstehung zu verschweigen, ist wohl das Unglaublichste an dieser Geschichte.

Bernhard Herrman, Robert Streibel: Der Wein des Vergessens. Roman, Residenz Verlag, Wien 2018 (28.8.2018), 256 S., mit Abbildungen, 24,00 Euro. 

 

 

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