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Dezember 2007 / Jänner 2008

Coverbild
Sarah M. Einik: Russian Lion,
Monotypie auf Leinen, 125 x123 cm.
Die Künstlerin, 1949 in Israel geboren,
findet ihre Themen in Osteuropa,
speziell in Rumänien, der Heimat ihrer Eltern.

Aus dem Inhalt der aktuellen Ausgabe


Annapolis

Kommentar von Gil Yarom

Es scheint kein Zufall zu sein, dass der Nahostgipfel in Annapolis gerade im November stattfand, ereigneten sich doch viele diplomatische Ereignisse des Nahostkonflikts in diesem Monat.

Der Gipfel in Maryland reiht sich in eine lange Kette historischer Novemberereignisse. Im Jahr 1917 verfassten die Briten die Balfour-Deklaration, die die Errichtung einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ befürwortete und somit den Grundstein für die Gründung Israels legte. Dreißig Jahre später legitimierte die UN-Vollversammlung mit dem Teilungsbeschluss den Staat Israel, ein Beschluss, der von der arabischen Welt kategorisch abgelehnt wurde. Im November 1967 formulierte der Weltsicherheitsrat infolge des Sechs-Tage-Kriegs in der Resolution 242 das Prinzip „Land für Frieden“, das seither als Grundlage für eine friedliche Lösung gilt. November 1977 durchbrach der ägyptische Präsident Anwar Sadat mit seinem historischen Israelbesuch die psychologischen Barrieren auf dem Weg zum Frieden. November 2007 saß die Mehrheit der arabischen Staaten erstmals in einem Saal mit der israelischen Führung und klatschte nach der Rede des Premiers Ehud Olmert höflich Beifall.

Hoffnung ist in Nahost selten geworden, nachdem 14 Jahre Friedensprozess immer wieder zu Enttäuschung und Gewalt führten. Das Ende der großen politischen Ideologien von Rechts und Links, und das Scheitern der gefeierten Idee unilateraler Rückzüge im Libanon und in Gaza, die letztlich in täglichem Terror und Krieg mündeten, haben die Region in ideenlose Aussichtslosigkeit versetzt. Israelis und Palästinenser befinden sich heute immer noch genau dort, wo sie vor fünf Jahren waren. Trotzdem, so will es Bush, soll in zwölf Monaten die endgültige Lösung für ein 120 Jahre altes Problem formuliert werden. Es ist fraglich, ob selbst Abbas und Olmert glauben, dieses ehrgeizige Ziel in dieser Zeitspanne erreichen zu können.

Selbst wenn der ersehnte Vertrag verfasst werden sollte, und vieles spricht dagegen, bleibt fraglich, ob Olmert und Abbas fähig sein werden, ihn überhaupt in Taten umzusetzen. Doch trotz der verständlichen Skepsis sollte die Bedeutung des Gipfels in Annapolis nicht unterschätzt werden. Der Umstand, dass die Mehrheit der Führer der arabischen Welt in dem selben Saal mit der israelischen Führung saß, signalisiert deutlich, dass sie sich unmissverständlich hinter die Idee einer Annäherung, wenn nicht gar Normalisierung der Beziehungen zu Israel, stellt. Die Araber handeln nicht aus Liebe zu Israel. Der Umstand, dass der saudische Außenminister sich weigerte, den Israelis auch nur die Hände zu schütteln, beweist, dass es nicht Menschenliebe ist, die ihn zum Gipfel nach Annapolis trieb. Auch der Umstand, dass Abbas und Olmert sich auf nichts einigen konnten, außer wieder miteinander zu sprechen, zeigt, dass ihre Ansichten sich nicht bedeutend genähert haben.

Ein anderer Leim hielt die Konferenz zusammen. Es war nicht die Übermacht der USA, die in der arabischen Welt in den letzten Jahren viel Respekt eingebüßt haben, sondern Angst vor dem nach Atomwaffen greifenden Iran. Dessen Gelüste nach regionaler Hegemonie im Verbund mit dem aufstrebenden Islamismus in der Region trieben die Führer „moderater“ arabischer Staaten in die Arme der USA und Israels. Seine Ambitionen stellen nicht nur Israels Existenzrecht in Frage, sondern bedrohen auch die pragmatischeren Führer der arabischen Welt.

Paradoxerweise könnte sich der säbelrasselnde iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad wider Willen als potentielle Hebamme des Friedens erweisen. Der gemeinsame Feind hat sich

im Nahen Osten als Bindungsmittel bewährt.

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Ein Haus in Gold

Die Münze Österreich hat 100-Euro-Goldmünzen, eine Serie mit Motiven des Wiener Jugendstils, geprägt. Sujet der letzten von vier Prägungen ist jenes Haus von Otto Wagner in der Linken Wienzeile Nr. 38 gegenüber dem Naschmarkt. Die Auflage der Goldmünze beträgt 30.000 Stück.

Goldmuenze

Das Haus ist eines von drei Bauten, die Otto Wagner zwischen 1989 und 1899 an der Linken Wienzeile schuf. Mit ihrer klaren Grundrissposition und der Erschließung der oberen Stockwerke durch Aufzüge galten diese Zinshäuser als Beispiele moderner, großstädtischer Wohnkultur. Spektakulär ist die abgerundete Ecklösung des Hauses Nr. 38. Über dem Ecktrakt befinden sich die Bronzefiguren der Ruferinnen des Bildhauers Othmar Schimkowitz. Das architektonische Meisterwerk des Jugendstil ist weiß verputzt und mit goldenen Ornamenten belegt, die besonders den oberen Teil des Gebäudes schmücken und hauptsächlich von Koloman Moser stammen.

Eine Seite der Münze wird von einem Fassadendetail des Miethauses dominiert, in das rechts ein Baum hineinragt. Auf der anderen Seite ist ein Medaillon von Koloman Moser, welches durch Palmblätter und Ornamente vervollständigt wird, abgebildet. Daneben befinden sich der mit Jugendstilornamenten reich verzierte Lift und der Stiegenaufgang.

Besitzerin des Miethauses ist Susan Kohn. 1914 hat ihre Schwiegermutter Cornelia Kohn, eine kunstsinnige Frau, die Silber, Porzellan, Teppiche, Bilder sammelte und ein Ledergeschäft führte, das Jugendstilhaus gekauft. Während der NS-Zeit wehte das Hakenkreuz vor der Fassade und im Erdgeschoß befand sich ein Vegetarisches Speisehaus.

1938 emigrierte Susan Kohn, die in Wien-Alsergrund aufwuchs, nach England und anschließend in die USA, wohin auch ihr zukünftiger Ehemann Alexander Kohn geflüchtet war. Alexander Kohns Schwiegereltern emigrierten nach Südamerika und kehrten 1947 wieder nach Österreich zurück, die Immobilien wurden restituiert. Susan und Alexander Kohn kehrten erst 1970 nach Wien zurück. 1979 starb Alexander Kohn, und Susan Kohn heiratete Prof. Dr. Otto Morgenstern, der selbst auch aus Wien stammte und 1938 zuerst nach Afrika und anschließend nach Amerika emigriert war. Er studierte in Berkeley Ökonomie und unterrichtete an der Universität in San Francisco. Die UNO sandte ihn als Afrikaexperten nach Afrika; nach vielen Reisen als UNO-Delegierter kehrte er 1982 endgültig nach Wien zurück. Die Außenfassade des Jugendstilhauses an der Linken Wienzeile wurde zwischen 2000 und 2003 restauriert. Das Denkmalamt übernahm 10% der Kosten, den Rest musste die Familie selbst aufbringen. Morgenstern, der sich sehr für den Jugendstil interessierte, arbeitete auch selbst bei der Restauration mit. Es wäre sehr schön für ihn gewesen, hätte er die feierliche Präsentation der Münze in den Räumlichkeiten der Bank Austria Creditanstalt im selben Haus noch miterlebt. Das Denkmalamt war zufrieden mit der Arbeit der Familie Morgenstern-Kohn, da sie die kompetentesten Firmen für die Restauration ausgesucht hatte. Susan Kohn, die selbst nie einen Antrag auf Entschädigungszahlungen gestellt hat, hat nie im Haus an der Linken Wienzeile gelebt. Sie wohnt in einem von drei nebeneinander erbauten Adolf-Loos-Häusern in Hietzing, die sie ebenfalls besitzt. Ihre beiden Kinder und die Enkeln leben in den USA. Helene Maier

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Schmuggeltunnel an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten

Das Phänomen der Schmuggeltunnel an der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten nimmt immer größere Ausmaße an. Im folgenden eine Zusammenstellung von Agenturmeldungen:

Trotz der Bestrafung, mit der die Hamas die Tunnelbauer bedroht, liegen Informationen über geheime Tunnel vor, die der Hamas gehören. Die Terrororganisation selbst hat Dokumente veröffentlicht, die ihre Truppen bei der Übernahme des (Fatah-) Geheimdienstes in Rafiah erbeuteten, und die bezeugen, dass das Tunnel-Phänomen existiert und stark ist. In einem Bericht an das Südkommando des Gaza-Streifens innerhalb des Geheimdienstes von Seiten des Geheimdienstkommandanten im Bezirk Rafiah wird das Phänomen der Ausbreitung der Tunnel entlang der Grenze mit Ägypten hervorgehoben, wobei die Namen der Betreiber der Tunnel und deren Lokalisierung angefügt sind. Ein anderer Bericht von Khaled Samhadana betont, dass nach zuverlässigen Informationen Dutzende von Tunneln im Grenzgebiet existieren, die zur Lieferung großer Mengen von Waffen, Munition und Raketen an die Hamas dienen. Die Tunnel sind über weite Gebiete an der Grenze verteilt.

Das Graben der Tunnel wird von einer Anzahl von Banden in Rafiah betrieben, die jährlich etwa drei bis fünf Millionen Dollar an ihnen verdienen. Die Hauptschmuggler werden als „Könige von Rafiah“ bezeichnet. Es gibt in Rafiah 20 bis 30 Tunnel, die nach Ägypten führen, doch insgesamt sind es mehr als 200, da jeder Tunnel an seinem Anfang und seinem Ende mit kleinen Nebentunnel verbunden ist. Wer es erlaubt, dass aus seinem Haus heraus ein Tunnel gegraben wird (sowohl Palästinenser als auch Ägypter), kassiert dafür Miete, und der Tunnelbau selbst bringt den Arbeitern etwa 15.000 Dollar ein. Laut einem Experten für Tunnelbau in Rafiah konnte man die Tunnel vor dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen noch an einer Hand abzählen. Heute gebe es jedoch entlang der Grenze zu Ägypten mehr als 100 Tunnel. Seinen Worten zufolge liegt dies daran, dass die Einwohner Rafiahs verstanden haben, dass das Geschäft sehr rentabel ist; jeder gräbt zurzeit Tunnel. Dagegen betont Oberst  Amar Mamduh vom ägyptischen Grenzschutz, dass die Ägypter im Zeitraum zwischen der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen bis Ende Juli nur sechs Tunnel ausgehoben hätten (gegenüber vier Tunnel pro Woche davor). Es sei hervorgehoben, dass der Rückgang in der Aushebung von Tunneln durch die Ägypter nicht bedeutet, dass auch die Zahl der Tunnel zurückgegangen ist.

Durch die Tunnel werden Waren, Drogen, Geld, Terroristen und Waffen befördert, und die Schmuggler werden danach bezahlt, was sie durch ihre Tunnel befördern. Es liegen Berichte vor, nach denen die Hamas weiterhin Waffen aus dem Iran erhält – inklusive Raketen, Abschussrampen und Sprengstoff. Schmuggler behaupten, dass die Hamas von den „Königen von Rafiah“ mit Waffen versorgt wird, unter der Bedingung, dass diese nicht an Banden und Privatleute verkauft werden. Ägyptische Sicherheitsquellen teilen mit, dass der Schmuggel seit der Machtübernahme der Hamas um 75 Prozent zurückgegangen ist und die Hamas die Grenze besser überwacht als die Sicherheitskräfte der Fatah, da sie ihre Kontrolle über die Dinge unter Beweis stellen will.

Die ägyptischen Erklärungen können in Anbetracht der ihnen widersprechenden Behauptungen ägyptischer Grenzoffiziere bezweifelt werden. Ein Fachmann für Tunnelbau in Rafiah hat behauptet, dass hochrangige Offiziere des ägyptischen Sicherheitsapparates sich am Schmuggel beteiligen und mit den Schmugglern für Bestechungsgelder kooperieren. Seiner Ansicht nach könnte Ägypten  den Schmuggel selbst einer einzigen Schraube nach Gaza verhindern, wenn es auf der ägyptischen Seite nicht jemanden gäbe, der Nutzen aus dem Tunnelgeschäft zieht.

In diesem Zusammenhang berichtet die Haaretz unter Berufung auf Angaben der Allgemeinen Sicherheitsbehörde (SHABAK), dass seit der Machtübernahme der Hamas 40 Tonnen Waffen in den Gaza-Streifen geliefert und seit Anfang August fünf Schmuggelauktionen ausfindig gemacht wurden, bei denen mehr als 13 Tonnen Sprengstoff und 150 raketenbetriebene Granaten eingeführt wurden.

Ägyptische Sicherheitsquellen haben behauptet, dass die geschmuggelten Waffen hauptsächlich per Schiff über das Mittelmeer kommen und in Fässern an die Küste bei Al-Arish geschickt werden. Von dort werden die Waffen dann von einigen Bewohnern des Sinai durch Tunnel – v.a. in Rafiah – in den Gaza-Streifen befördert.

Zeitungsberichten zufolge steht der Preis einer Grad-Rakete bei 2000 bis 5000 Dollar und der einer Panzerabwehrrakete bei 1200 Dollar. Diese werden dann an den Islamischen Jihad oder die Salah-al-Din-Brigaden (des „Widerstandskomitees“) für 10.000 Dollar verkauft. Ein Tunnelgräber hat gegenüber Journalisten betont, dass durch die Tunnel Gewehre, Revolver, Munition, hochexplosiver Sprengstoff, Granaten und Panzerfäuste befördert werden.

Ein Schmuggler, der sich „Abu Mahmad“ nennt, berichtet, dass Mahmad Chap durch die Tunnel nach Ägypten und von dort in den Iran gelangt ist, um sich ärztlich behandeln zu lassen. So wie er gehen viele Hamas-Terroristen zur Ausbildung in den Iran. Der Schmuggel eines Menschen kostet bis zu 10.000 Dollar. Auch der Kommandant einer islamisch-fundamentalistischen palästinensischen Zelle („Islamische Armee zur Befreiung der Heiligen Stätten“), Khaled Mutztafa wurde durch einen Tunnel bei Rafiah in den Gaza-Streifen gebracht. Ägyptische Quellen teilten mit, dass ein in Ägypten verhafteter Palästinenser namens Mahmad Abd Alchamid beim Verhör zugegeben hat, dass zwei Mitglieder der Organisation durch einen Tunnel auf den Sinai gelangt und mit ihm und Khaled Mutztafa in den Gaza-Streifen zurückgekehrt seien. Abd Alchamid kehrte auf demselben Wege abermals nach Ägypten zurück und wurde gefasst.

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Staatsverträge mit Deutschland sollen neu verhandelt werden

Am 69. Gedenktag der Reichspogromnacht melden sich in Israel immer mehr Stimmen zu neuen Entschädigungsforderungen an Deutschland zu Wort. Nun kommen erstmals auch Forderungen von Seiten der Regierung. Der Rentenminister Rafael Eitan, der für die Angelegenheiten der Shoah-Opfer verantwortlich ist, erklärte, dass die Staatsverträge zwischen Israel und Deutschland, in deren Rahmen die Reparationen an die Opfer geregelt wurden, neu verhandelt werden müssten. Deutschland ist für die Holocaustüberlebenden verantwortlich, sagte Eitan der israelischen Tageszeitung Haaretz. Eine Vielzahl privater Organisationen von Holocaustopfern und ihren Nachkommen organisiert sich in den letzten Monaten, um weitere Klagen gegen die Bundesrepublik vorzubringen.

Israel hat die Shoah-Opfer im Land über Jahrzehnte vernachlässigt, mehr als 80.000 von ihnen leben hier heute in Armut. Doch nach einem Aufschrei im Sommer hat sich die Regierung endlich dazu aufgerafft, den Lebensabend der Opfer zu erleichtern, und stellte zu diesem Zweck rund 350 Millionen Euro ab. Doch nach einem Bericht des Finanzministeriums will man nun auch Deutschland zu Kasse bitten. Demnach hat Israel von Deutschland seit 1954 Entschädigungen in der Höhe von rund 565 Millionen Euro erhalten, selber aber mehr als 2,3 Milliarden Euro für die soziale, medizinische und psychologische Betreuung der Opfer ausgegeben. Selbst wenn alle deutschen Zuwendungen an Israel von insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro zusammengerechnet würden, habe Israel immer noch ein Vielfaches an Mitteln für die Versorgung der Shoah-Opfer aufgebracht, berichtete der Spiegel. Hinzu gesellen sich rund 175.000 Holocaustopfer aus der ehemaligen Sowjetunion, die inzwischen in Israel eingewandert sind und im damaligen Staatsvertrag nicht bedacht wurden. Dies hat die Kosten für die Versorgung der Opfer in die Höhe getrieben. Jetzt will Israel die Differenz nicht mehr allein tragen. In seiner typisch brüsken Art forderte der ehemalige Mossad-Agent Eitan jetzt von Deutschland, Israel schlicht 500 Millionen Euro Staatsschulden zu erlassen, damit Israel das Geld an die Opfer weiterleiten könne.

Auf deutscher Seite reagierte man verhalten. Eine offizielle Anfrage der Israelis liege nicht vor, teilte das Finanzministerium in Berlin mit. Während des bevorstehenden Besuchs von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück seien keine Gespräche zum Thema Entschädigungszahlungen vorgesehen, sagten Quellen im Amt. Sprecher Torsten Albig wies während einer Pressekonferenz darauf hin, dass man erst vor kurzem 100 Millionen Euro für ehemalige Gettoarbeiter bereitgestellt habe. Dies war eine humanitäre Geste, darüber hinausgehende Pläne gibt es nicht, hieß es aus Berlin. Hochrangige Vertreter des Außenministeriums schätzten, dass die Entschädigungszahlungen in naher Zukunft die Agenda der bilateralen Beziehungen dominieren werden.

Minister Eitan ist sich bewusst darüber, dass neue Verhandlungen des in Eile verfassten und unterschriebenen Staatsvertrags neue Spannungen in die deutsch-israelischen Beziehungen bringen würden. Die Jungs vom deutschen Finanzministerium müssen ihre Geldschränke beschützen, das ist in Ordnung. Aber ich muss das tun, was für die Shoah-Opfer gut ist. Sie tun ihren Job, und ich den meinen.Ben Daniel

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Eine emanzipierte Intellektuelle

Vor 100 Jahren wurde Simone de Beauvoir geboren

Beauvoir Portraet

Simone de Beauvoir wurde als älteste von zwei Töchtern der Bibliothekarin Françoise und des Anwalts Georges de Beauvoir in Paris geboren. Sie studierte Philologie am Institut Sainte-Marie in Neuilly, Mathematik am Institut Catholique in Paris und Philosophie an der Sorbonne. Während ihres Studiums lernte sie ihren Lebensgefährten, den Philosophen Jean-Paul Sartre, kennen. Die beiden führten ein Leben lang eine offene Beziehung, hatten nie geheiratet und nie zusammen gelebt. Sartre etwa hatte nebenbei Beziehungen mit Arlette Elkaim oder Olga Kosakievicz, Simone de Beauvoir mit dem Schriftsteller Nelson Algren, dem jüdischen Regisseur Claude Lanzmann oder mit der Philosophin Sylvie Le Bon, die sie später adoptierte. Gemeinsam engagierten sie sich politisch und nahmen an zahlreichen Demonstrationen teil.

Als Studentin bereiste de Beauvoir Italien, Griechenland, Marokko und Mitteleuropa, später Portugal, Tunesien, Schweiz und Amerika. Über ihre Reiseerfahrungen schrieb sie in Reportagen und Tagebüchern. Sie unterrichtete Philosophie an Lyzeen in Marseille, Rouen und Paris. Ihre Lehrtätigkeit und später ihre Publikationen ermöglichten de Beauvoir, was vielen Frauen in den 20-er Jahren noch verwehrt blieb: finanzielle Unabhängigkeit.

Während der deutschen Besatzungszeit blieb sie in Paris und begann mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. 1941 schrieb sie an ihrem ersten, zugleich metaphysischen und existentialistischen, Roman „Sie kam und blieb“, der 1943 erschien. Nach der Rückkehr Sartres aus der deutschen Kriegsgefangenschaft gründeten sie die Résistance-Gruppe Socialisme et Liberté. 1944 enstand „Das Blut der anderen“ – dieser Roman behandelt Widerstand und Okkupation und das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung. Gemeinsam mit Sartre engagierte sich de Beauvoir gegen den Vietnam- und den Algerienkrieg. 1943 wurde sie aus dem Schuldienst wegen „Verführung Minderjähriger“ entlassen, weil sie die Beziehung einer Schülerin zu einem spanischen Juden verteidigte. 1949 erschien mit „Das andere Geschlecht“ eine Analyse der Situation der Frau in der patriarchalen Gesellschaft: Die weibliche Unterlegenheit liegt nicht in der Natur der Frau, sondern ist gesellschaftlichen Ursprungs. Die Autorin bestätigte die Gleichheit der Geschlechter und forderte die Frauen dazu auf, sich durch Unabhängigkeit, vor allem wirtschaftliche, zu emanzipieren. Aus dieser Studie stammt ihre berühmte Aussage, dass man nicht als Frau geboren, sondern erst dazu gemacht wird. Damit nahm de Beauvoir schon früh den (de-)konstruktivistischen Ansatz vorweg, obwohl bereits Joan Riviere 1929 in ihrem Aufsatz Weiblichkeit als Maske proklamierte, dass es keine Grenze zwischen echter Weiblichkeit und der Maskerade gäbe, Weiblichkeit somit ein Konstrukt ist. 1954 erschien ihr Roman „Die Mandarins von Paris“, der mit dem Literaturpreis des Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. De Beauvoir schildert darin den Zerfall einer linksintellektuellen Führungsschicht. Ab 1958 schrieb sie an ihren äußerst spannenden Autobiographien „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“, „In den besten Jahren“, „Der Lauf der Dinge“ und „Alles in Allem“. Im ersten Band ihrer Memoiren schildert sie ihren Ausbruch aus den bürgerlichen Verhältnissen. Dieses Dokument einer Befreiung schockierte viele LeserInnen durch die freimütige Auseinandersetzung mit sexuellen, sozialen und intellektuellen Problemen. Der zweite und dritte Band der Memoiren beschreibt Beauvoirs Leben mit Sartre. Der vierten Band ist eine Rückschau auf ein Stück Lebens- und Zeitgeschichte, auf die 60-er Jahre.

Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1963, den de Beauvoir in „Ein sanfter Tod“ beschrieb, wurden Alter und Tod zentrale Themen in ihren Werken, so auch in dem Buch „Das Alter“. In den 70-er Jahren schloss sich Beauvoir der Frauenbewegung an. Als eine der Ersten trat sie für die Straffreiheit der Abtreibung ein – so unterzeichnete sie 1971 das „Manifest der 343“, in dem sie und andere prominente Französinnen sich selbst bezichtigten, abgetrieben zu haben. 1974 wurde sie Präsidentin der Liga für die Rechte der Frau. Durch das gemeinsame Engagement in der französischen Frauenbewegung waren Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer miteinander befreundet; letztere gab ihre Gespräche aus zehn Jahren heraus und berichtete in ihrer Zeitschrift EMMA immer wieder über die Denkerin. 1975 wurde de Beauvoir mit dem Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft, einem von der Stadt Jerusalem alle zwei Jahre während der internationalen israelischen Buchmesse in Jerusalem verliehenen Literatur- und Menschenrechtspreis, und 1983 mit dem Sonning-Preis der Universität Kopenhagen ausgezeichnet.

Buchcover

De Beauvoir pflegte ihren Lebensgefährten Sartre während seiner langen Krankheit bis zu seinem Tod im Jahr 1980 und publizierte in „Die Zeremonie des Abschieds“ über die letzten zehn gemeinsamen Jahre. Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 78jährig in Paris. Aufgrund des runden Geburtstages erschienen und erscheinen neue Publikationen über die Autorin. Im Jänner 2008 findet auch eine Tagung an der Freien Universität Berlin statt. Petra M. Springer

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, deutsch von Uli Aumüler / Grete Osterwald, rororo Tb, 5. Neuausgabe 2005. 944 S. € 13,40.

Simone de Beauvoir – eine Intellektuelle für das 21. Jahrhundert?
Wissenschaftliche Tagung am 10. und 11. Januar 2008 an der Freien Unviersität Berlin aus Anlass des 100. Geburtstags von Simone de Beauvoir. In Kooperation mit dem Institut für Deutsche und Niederländische Philologie und der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin.

Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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