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exorcist
Igor Baraaron: The Exorcist 3,
Tinte auf Papier, 1998

Aus dem Inhalt der Ausgabe, Nr. 4/5– 2002


Editorial

Gefahr von Rechts?

Ein rechtspopulistischer Präsidentschaftskandidat in der Stichwahl um das höchste Amt in Frankreich, zuvor ein Erfolg einer rechtspopulistischen Partei bei deutschen Kommunalwahlen, davor ein Rechtsruck in Italien, wo ein machtgieriger Medientycoon nur mit Hilfe einer extrem rechten Partei regieren kann, und wieder davor ein Rechtsruck in österreich, wo sich der mäßig erfolgreiche Chef der zweitkleinsten Partei auf dem Macht-Trip begibt und, nur um endlich Bundeskanzler zu werden, sich einem Koalitionspartner mit deutlich rechtsextremen Anklängen ausliefert:

Droht Europa ein Rückfall in den Nationalismus?

Immerhin bewirbt sich ja sogar schon in den politisch so korrekten Niederlanden eine rechtspopulistische Partei um die Macht. Wer Gründe für die politischen Erschütterungen Europas sucht, braucht nur die Wahlkampfthemen der Rechtspopulisten unter die Lupe zu nehmen. Hier taucht immer wieder ein Motiv auf: Fremdenfeindlichkeit.

Von Straßenschlachten in England zwischen Hooligans und Einwanderern bis zu "Ausländer raus"-Transparenten einer völlig außer Kontrolle geratenen rechten Demonstration in Wien reicht die Palette. Rechte Parteiführer greifen die Parolen der Straße willig auf und verstärken sie – ein verhängnisvoller Rückkoppelungseffekt.

Wie intelligent dieser Fremdenhass ist, zeigt das Beispiel der Wiener Nazi-Demonstration. Wegen eines völligen Versagens der Polizei konnten Demonstrantengruppen mit ihren Transparenten unbehelligt (und unbeaufsichtigt) über die Kärntnerstraße ziehen. Es waren hauptsächlich Touristen, die auf den Transparenten "Ausländer raus" lesen durften. Den Geschäftsleuten war¥s mehr als peinlich, dass da eine ihrer wichtigsten Kundengruppen beschimpft wurde. Was die ausländischen Touristen zu Hause über ein Land erzählen, in dem sie von Skinheads am helllichten Tag attackiert werden, kann sich jeder denken. Peinlicher geht¥s jetzt wirklich nicht mehr. ähnlich durchdacht ist auch die Forderung Le Pens, dass Frankreich wieder aus der EU austreten solle. Was das für die französische Wirtschaft bedeutete, erklärte der Unternehmerverband – nämlich schlicht die Katastrophe und den Verlust zehntausender Arbeitsplätze. Nicht zuletzt die Angst, Ausländer könnten den Inländern die Arbeitsplätze wegnehmen, zählt europaweit (und natürlich auch in Frankreich) zu den Beweggründen, rechtsextrem zu wählen. Doch gerade eine Abschottung vom Ausland und das Verbot, ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, würden Europas Wirtschaft den Todesstoß versetzen.

Moralische Entrüstung allein reicht jedenfalls nicht als Antwort auf den europaweiten Fremdenhass.

Unausweichlich stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte – und unausweichlich lautet die Antwort: Weil die Politik nichts unternommen hat, um sich ernsthaft mit Auslösern und Folgen des Zweiten Weltkriegs auseinander zu setzen. Parallelen zum Vorabend der Katastrophe sind unübersehbar. Rassismus und Fremdenhass sowie die Verharmlosung nationalistischer Strömungen, aber ebenso bürgerferne Verwaltung standen am Anfang. Und natürlich die Angst. So heroisch und martialisch sich die Rechte – von den Nazis bis zur FPö – auch gern gibt, in Wirklichkeit ist die Angst immer präsent:

Angst vor überfremdung, Angst vor anderen Kulturen, Angst um Arbeitsplatz und wirtschaftliche Existenzgrundlage. Wer sich um diese teils berechtigten, teils aber auch völlig unberechtigten ängste nicht kümmert, bekommt die Rechnung präsentiert. Auf der Sündenliste finden sich: Mangelnde Aufklärung über Zusammenhänge zwischen wirtschaftlich notwendiger Zuwanderung und Wirtschaftswachstum. Mangelnde Bemühungen um die Integration der Zuwanderer. Mangelnde Glaubwürdigkeit bei der Erläuterung humanitärer Verpflichtungen reicher Staaten. Mangelnde Versuche, eine immer unmenschlichere Wirtschaft zur Räson zu bringen.

Doch volksnah sind die vermeintlichen Retter keineswegs. Der kürzlich ermordete niederländische Rechtspopulist Pim Fortuyn fuhr mit Chauffeur und Daimler durch die Gegend, und die Mehrzahl der Haider-Wähler verfügt wahrscheinlich weder über Großgrundbesitz noch Porsche. Dass sich solche Politiker trotzdem als Rächer der "kleinen Leute" verkaufen können, die sie dann auch prompt noch wählen, stellt weder der Kritikfähigkeit der Wähler noch der Anziehungskraft einer nicht auf billige Effekthascherei ausgerichteten Politik ein gutes Zeugnis aus. Den Erdrutschsieg des konservativen Jacques Chirac sollte niemand falsch interpretieren. Korruption (mit der Chirac allzu oft in Verbindung gebacht wurde), zu zaghafte Versuche, energisch schon im Ansatz gegen Rassismus und Intoleranz aufzutreten, bleiben die ungelösten Probleme.

Die Gefahr von Rechts ist keineswegs gebannt.

F. C. Bauer

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Menschen als Schutzschilder

Amos Oz, Jahrgang 1939, ist ein prominenter Vertreter der israelischen Friedensbewegung, Autor zahlreicher Romane sowie Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Das Interview mit dem Schriftsteller, geführt von Hubert Spiegel, ist am 16. April dieses Jahres in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

FAZ: Die ganze Welt fragt sich, was im Flüchtlingslager von Dschenin wirklich stattgefunden hat. War es ein Massaker?

Amos Oz: Ich habe mit zwei Soldaten gesprochen, die an den Kämpfen in Dschenin beteiligt waren. Es sind frühere Studenten von mir, mit denen ich eng befreundet bin, Reservisten, die eingezogen wurden, beide etwas über dreißig Jahre alt. Sie gehören zur Peace-now-Bewegung, einer der beiden sogar als Aktivist. Beide haben mir eindringlich versichert, dass in Dschenin kein Massaker stattgefunden hat. Es sei zu heftigen Kampfhandlungen gekommen, bei denen etwa zwanzig Israelis und ungefähr hundert Palästinenser ums Leben kamen. Sie sagen, dass sie nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Leichen palästinensischer Zivilisten gesehen haben, aber möglicherweise befänden sich noch mehr Tote unter den Trümmern. Die palästinensischen Kämpfer, so haben meine Freunde mir berichtet, hätten Zivilisten, ihre Landsleute, als lebende Sandsäcke und menschliche Schutzschilde eingesetzt. Das haben sie mit eigenen Augen gesehen und mir gegenüber beschworen. Ich selbst war, wie ich betonen möchte, nicht im Lager. Aber was ich Ihnen sage, stammt von Augenzeugen, von Freunden, denen ich traue wie mir selbst.

FAZ: Beruhen die Berichte von einem Massaker auf palästinensischer Propaganda und gezielter Desinformation?

Amos Oz: Ja, offen gesagt, bin ich dieser Ansicht. Offensichtlich sind ja die palästinensischen Berichte über die Ereignisse sehr indirekt. Denn die palästinensischen Kämpfer wurden entweder getötet oder gerieten in Kriegsgefangenschaft. Ich glaube nicht, dass die Palästinenser auch nur einen Augenzeugen haben, der ein Massaker bestätigen könnte. Außerdem sehe ich keinerlei Grund, weshalb die israelische Armee dort ein Massaker begehen sollte. Wir sollten auch bedenken, dass die Einheiten, die in Dschenin zum Einsatz kamen, überwiegend aus Reservisten bestanden. Das sind Männer in den Dreißigern, die in ihrem zivilen Leben zur Mittelschicht gehören. Ich glaube nicht, dass irgend etwas an diesen Vorwürfen gerechtfertigt ist.

FAZ: Warum hat die Armee internationalen Organisationen wie dem "Roten Kreuz" den Zutritt zum Lager untersagt?

Amos Oz: Diese Frage kann ich nicht beantworten – ich habe nicht die leiseste Idee. Wenn Sie mich fragen, war das eine dumme Fehlentscheidung, aber darüber habe ich nicht zu urteilen.

FAZ: Glauben Sie, dass wir je erfahren werden, was wirklich in Dschenin geschah?

Amos Oz: Ich habe keinen Zweifel, daß die Wahrheit früher oder später auf irgendeine Weise durchsickert. Aber Mythen lassen sich nur selten durch Fakten verdrängen. Mythen werden nur durch Mythen ersetzt. Aber das ist eine philosophische Bemerkung über die menschliche Natur und keine Bemerkung über Dschenin oder den Konflikt zwischen Israel und Palästina.

FAZ: Sehen Sie eine Verbindung zwischen dem Aufenthalt des amerikanischen Außenministers Powell und dem mutmaßlichen Versuch der Desinformation durch die Palästinenser?

Amos Oz: Nun, da bin ich nicht sicher. Aber die Palästinenser geben sich sehr große Mühe, den Schreckensbildern von den Selbstmordattentätern und ihren Opfern unter der israelischen Zivilbevölkerung etwas gegenüberzustellen. Sie versuchen, die Waagschalen auszubalancieren. Deshalb erzählen sie Märchen über die Gräueltaten der israelischen Armee. Aber ich wiederhole: Ich spreche nicht als Augenzeuge.

FAZ: Wie beurteilen Sie Powells Besuch? War er in irgendeiner Hinsicht hilfreich?

Amos Oz: Powell ist noch nicht wieder abgereist. Deshalb ist es noch zu früh für ein Fazit. Aber alles ist hilfreich, was das kleine Fünkchen Hoffnung, das Israelis und Palästinensern noch geblieben ist, am Leben erhält.

FAZ: Hoffnung? Sehen Sie in dieser ausweglosen Lage ein Anzeichen dafür, dass der Konflikt einer Lösung entgegengeht?

Amos Oz: Natürlich wird auch dieser Krieg eines Tages beendet sein, wie jeder Krieg in der Geschichte der Menschheit. Es gibt keinen ewigen Krieg. Die Deutschen wissen dies vielleicht besser als andere Nationen. Wie lange dieser Konflikt noch währen wird? Zehn Stunden, zehn Tage, zehn Wochen? Ich weiß es nicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass beide Völker, Israelis und Palästinenser, wissen, dass unser Land schließlich aufgeteilt sein wird unter zwei benachbarten Staaten. Daran zweifeln auch jene nicht länger, die diese Entwicklung noch immer heftig bekämpfen. Auch sie wissen, dass es zuletzt so kommen wird.

FAZ: Vor kurzem hat eine Delegation des Internationalen Schriftstellerparlaments Israel und Palästina besucht. Haben Sie mit Ihren Schriftstellerkollegen gesprochen?

Amos Oz: Nein, aber ich habe die Berichterstattung in der Presse verfolgt. Die öffentliche Meinung in Israel ist sehr verbittert. Hier gilt die europäische Haltung als unausgeglichen und sehr einseitig. Es gibt hier im Moment einen populären Witz: Die Europäer sagen: Die Palästinenser sind zu hundert Prozent im Recht, die Israelis haben zu hundert Prozent Unrecht. Also, warum laßt ihr uns denn nicht vermitteln? Die Europäer können nicht den "ehrlichen Makler" spielen wollen, wenn sie so offensichtlich für eine Seite Partei ergreifen. Der Schlüssel zum Verständnis des Konflikts im Nahen Osten besteht in der Erkenntnis, dass hier nichts schwarz oder weiß ist. Es handelt sich um eine Tragödie im klassischen Sinne. Hier stoßen sehr starke, sehr gut begründete Ansprüche aufeinander, die sich jedoch ausschließen. Und hier stoßen zwei Gegner aufeinander, die beides sind: schuldig und unschuldig.

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Der hässliche Europäer

Oriana Fallacis "Ich schäme mich" erregt weltweites Aufsehen

Einen Tag nach dem Wahlerfolg des französischen Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen versammelten sich in Brüssel Führer jüdischer Organisationen aus aller Welt zu einer Notstandssitzung über die Bekämpfung der jüngsten Welle antisemitischer Gewaltakte in Westeuropa und über die Schaffung einer Art gesamteuropäischen Informationsdienstes nach dem Vorbild von AIPAC, der jüdischen Lobby in den USA. Die vom Europäischen Jüdischen Kongress veröffentlichten Zahlen enthüllen das alt-neue Gesicht des "hässlichen Europäers": 300 antisemitische Angriffe in den letzten drei Wochen, von judenfeindlichen Graffitis bis zu Feuerbomben gegen Synagogen und tätliche Angriffe gegen Juden, jüdische Einrichtungen und sogar jüdische Friedhöfe.

"Europäische Regierungen können nicht länger nur mit den Achseln zucken und dieses Unheil als Teil des Nahostkonfliktes abtun", meinte Avi Beker, Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses. Auch das Argument, "die ganze Welt" sei gegen "Scharons Politik" gegenüber den Palästinensern, überzeugt nicht.

Die "ganze Welt" kann falsch liegen, insbesondere wenn sie repräsentiert wird von EU-Sprechern vom Schlage Chriss Pattens, Menschenrechts-Vortäuscherin Mary Robinson, dem Europa-Parlament, das nichts zu dem Pessach-Massaker in Netanya und Dutzenden israelischen Opfern palästinensischer Selbstmordattentäter zu sagen hatte, aber antiisraelische Sanktionen für israelische Selbstverteidigung forderte.

Was man heutzutage in Europa als "islamisch-jüdische Spannungen" hinstellt, sind nicht jüdische Gangs, die Meschitten oder verhüllte islamische Frauen attackieren, sondern islamische Gangs, die Synagogen in Brand stecken, jüdische Schulbusse mit Steinen bewerfen. In der Tat ist die beschämende Haltung europäischer Regierungen auf ihre Angst vor den zahlenmässig rapid wachsenden moslemischen Minderheiten zurückzuführen, die heute auf koschere Fleischereien in Paris schießen, aber morgen auch ihre christlichen Gast- und Arbeitgeber, ihre europäischen Helfer und Financiers ins Visier nehmen könnten, sobald die nächste Phase des Kriegs gegen den Terror beginnt. Deshalb sind die Westeuropäer fast noch mehr über Amerikas Absicht bestürzt mit Saddam Hussein abzurechnen, wie Bagdad selbst.

Umso mehr fiel die mutige Stimme Oriana Fallacis auf, der berühmten italienischen Journalistin, die in ihrem "Ich schäme mich!"-Artikel in der Wochenschrift Panorama den Europäern den Spiegel vorhielt, der ein äußerst hässliches Gesicht zeigte. "Ich schäme mich", hieß es in ihrem Artikel, "dass im Frankreich von Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit Synagogen brennen, Juden terrorisiert und ihre Friedhöfe profanisiert werden. Ich schäme mich, dass die Jugend Hollands, Deutschlands und Dänemarks in der Keffiya paradiert, wie einst Mussolinis Avantgarde mit ihren Schlagstöcken und faschistischen Symbolen… dass in fast allen Universitäten Europas palästinensische Studenten den Antisemitismus predigen können … dass die Fernsehstationen und die Presse Europas sich über die die Geburtskirche in Bethlehem belagernden israelischen Tanks aufregen, aber nichts dagegen einzuwenden haben, dass sich in derselben Kirche zweihundert mit Maschinengewehren und Sprengstoffen ausgerüstete Palästinenser als unerwünschte Gäste der Mönche einnisteten."

"Ich schäme mich", bekennt Orianna Fallaci weiter, "wenn der Osservatore Romano, die Zeitung des Papstes – der erst kürzlich an der Klagemauer einen Entschuldigungsbrief an die Juden zurückließ – ein Volk der Ausrottungspolitik bezichtigt, das von europäischen Christen zu Millionen ausgerottet worden war … einem Volke der mit eintätowierten KZ-Nummern Überlebenden das Recht verweigert, sich gegen eine neue Ausrottung zu wehren … dass im Namen von Jesus Christus (einem Juden, ohne den sie alle arbeitslos wären) Priester in Kirchen mit den Mördern Jerusalemer Jugendlicher flirten, die nicht imstande sind eine Pizza zu kaufen, ohne in die Luft gejagt zu werden und auf der Seite jener stehen, die den Terrorismus erfanden, uns in Flugzeugen, Flughäfen, Olympischen Spielen töten … "

"Ich schäme mich … der europäischen Linken, die in ihren Kongressen PLO-Vertretern applaudieren, dass Juden vor als Selbstmordattentäter maskierten Schurken wie einst vor den Hitler-Schergen in der Kristallnacht zittern müssen … Ich schäme mich, dass unter Berücksichtigung der dummen, gemeinen, unehrlichen, aber für sie äußerst einträglichen ,politischen Korrektheit' die üblichen Opportunisten – genauer: die üblichen Parasiten – das Wort Frieden missbrauchen, im Namen von Pazifismus (genauer: Konformismus) ihr Unwesen treiben können, obwohl sie für die Palästinenser soviel übrig haben wie ich für die Scharlatane: nämlich garnichts.

"Ich finde es eine Schande, dass … viele Europäer sich als Fahnenträger Arafat ausgewählt haben, diese Null, die dank des Geldes des Saudi-Königshauses den Mussolini kopiert und in seinem Größenwahn glaubt, als George Washington Palästinas in die Geschichte einzugehen. Im Vergleich mit diesem ungrammatischen Jämmerling, der bei meinen Interviews mit ihm außerstande war auch nur einen verständlichen Satz zu artikulieren, erscheint selbst ein Ghadafi als ein Leonardo da Vinci. Dieser falsche Krieger, stets in einer Uniform wie Pinochet, hat nie an einem Kampf teilgenommen. Krieg ist etwas, in den er andere schickt … Diese pompöse Inkompetenz, der die Rolle eines Staatschefs spielt, hat den Misserfolg von Camp David verursacht … dieser ewige Lügner, dessen einziges wahre Wort die Verleugnung des Existenzrechts Israels ist … sonst selbst dann lügt, wenn man ihn nach der Tagestunde befragt … dessen Frau wie eine Königin in Paris lebt, während er sein Volk im Dreck leben lässt und es diesen nur verlassen kann um zu töten und zu sterben. Viele Italiener lieben ihn dennoch, wie sie einst ja auch Mussolini geliebt haben. Und andere Europäer tun dasselbe."

"Ich finde es schändlich und sehe in all dem den Aufstieg eines neuen Faschismus, eines neuen Nazismus. Einen Faschismus und Nazismus, der umso entsetzlicher ist, weil er von hypokritischen Fortschrittsmachern, Kommunisten, Pazifisten und Christen gefördert wird, die die Frechheit haben jeden als Kriegshetzer zu nennen, der wie ich ihnen die Wahrheit ins Gesicht schreit … Ich bin nie zart mit der tragischen, shakespearischen Figur Scharons umgegangen. Ich hatte öfters üble Meinungsverschiedenheiten mit den Israelis und habe in der Vergangenheit wiederholt die Palästinenser in Schutz genommen. Mehr als sie es verdient haben. Aber ich stehe zu Israel, ich stehe zu den Juden, wie ich es als junges Mädchen getan habe, als ich mit ihnen kämpfte … Ich verteidige ihr Existenzrecht, ihr Recht auf Selbstverteidigung gegen eine zweite Ausrottung. Und ich bin angeekelt vom Antisemitismus vieler Italiener, vieler Europäer. Ich schäme mich dieser Schande, weil sie mein Land und Europa entehrt. Die EU ist nicht eine Staatengemeinschaft, sondern eine Art Pontius Pilatus. Und selbst wenn alle Bewohner dieses Planeten anderer Ansicht wären, ich stünde zu der meinigen." Oriana Fallaci hat es für uns alle gesagt.

Ben Zakan


Wir trauern um Dr. Anton Winter s.A.

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Dr. Anton Winter mit Tochter

Als Mit-Herausgeber der Illustrierten Neuen Welt trat Dr. Anton Winter nie ins Rampenlicht der öffentlichkeit – das tat er übrigens auch bei anderen Gelegenheiten und in anderen prominenten Funktionen nicht so gern.

Doch so, wie Winter in vielen Bereichen aus dem Hintergrund wirkte, so stand der Illustrierten Neuen Welt seit 1974, als seine Tochter Joanna Nittenberg diese übernahm, mit Rat und Tat hinter so manchem Erfolg. Für die Zeitschrift ist der Verlust groß, ist es doch nicht zuletzt auch Winters Initiative zu danken, dass die 1897 von Theodor Herzl gegründete Illustrierte Neue Welt nach der Katastrophe des Holocaust wieder in Wien, dem Ort ihrer Gründung, erscheinen konnte und bis heute hier publiziert wird.

Dass er einmal zu den Prominenten, ja Institutionen in dieser Stadt zählen werde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Geboren in Lemberg als Kind einer angesehenen und wohlhabenden Familie, besuchte er zunächst das jüdische Gymnasium in Lemberg und absolvierte danach das Jusstudium. Kurz nach den Beginn seiner Anwaltsausbildung heiratete er seine Frau Helene, die ihm ein ganzes bewegtes Leben hindurch treue Begleiterin sein sollte. 1941 ereilte sie die Katastrophe: Getto, Arbeitslager, KZ. Anton und Helene Winter hingegen mussten fliehen. "Arische" Papiere besorgte eine katholische Hilfsorganisation. In einem abenteuerlichen Fußmarsch gelangten die beiden nach Ungarn. Das großartige Organisationstalent und die hohe soziale Intelligenz setzten sich auch in der fremden Umgebung durch: In der katholischen Gemeinde von Szeged stieg Winter bald schon in eine leitende Position auf und nahm aktiv an Veranstaltungen teil – eine Tarnung, die der Familie wahrscheinlich das Leben rettete – und eine Geschichte, die Winter später immer wieder gern erzählte.

Nach dem Krieg musste er erfahren, dass die ganze Familie im KZ ermordet wurde – außer einem Bruder, der heute in Tel Aviv lebt. So kamen Anton und Helene Winter mit Tochter 1946 nach Wien. Im Rothschild-Spital, dem DP Lager für jüdische Flüchtlinge, arbeitete er als Rechtsberater im Flüchtlingskomitee und konnte sozusagen "an vorderster Front" helfen – bald auch als Jurist, denn er nostrifizierte in österreich sein Lemberger Studium. Zahlreiche Fälle vertrat er vor Gericht und bei den Behörden, und oft tat er dies auch ohne Honorar. Mit zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten half er einerseits bei der Gestaltung der Wiener jüdischen Gemeinde, der er 17 Jahre als Vizepräsident und mehr als drei Jahrzehnte als Kultusvorstand diente.

Daneben wirkte Anton Winter auch als Impulsgeber für das gesellschaftliche Leben. Seit 1961 war er Mitglied der B¥nai B¥rith, der er ein Jahr nach der Gründung beitrat und für die er später als Vizepräsident wirkte. Seine große Liebe galt Israel und er setze sich für seinen Aufbau mit viel Energie ein. Er tat das in Wien als Repräsentant der "Allgemeinen Zionisten", die damals als politische Kraft nicht zuletzt dank seines Wirkens eine führende Rolle im politischen und gesellschaftlichen Leben spielten. Er tat das aber auch als aktives Bindeglied zu Israel, in das es ihn immer wieder zog. Anton Winter baute den Keren Hajessod in österreich auf und stand diesem 40 Jahre lang als Präsident vor, und auch als Vizepräsident des Keren Kayemeth baute er Brücken zwischen österreich und Israel, auf denen so manche materielle Hilfe nach Israel floss. Hilfe, die oft genug auch von ihm selbst stammte, denn er unterstützte diese Ziele nicht nur durch tausende Stunden selbstloser Arbeit, er war selbst ein großzügiger Spender. Bei all den gedrängten Terminen, den zahlreichen Sitzungen und Amtswegen – für ein Lächeln und ein paar freundliche Worte war immer Zeit, oft auch für einen guten Rat.

Das erklärt wohl auch das Phänomen, dass ein Mensch, der so vielfältig tätig war, der als "Respektsperson" galt, sich einer so gro -winterßen Sympathie innerhalb und außerhalb der Gemeinde erfreute. Zu jedem fand er einen Zugang, und immer traf er den richtigen Ton – sein Charme und seine Klugheit wurden überall geschätzt. Dabei gab es auch in der so erfolgreichen Wiener Zeit bei weitem nicht nur Sonnenstunden. Viel zu früh starb sein Schwiegersohn Dr. Ignaz Nittenberg, und so trat Anton Winter für seine Enkelkinder Daniela und Ronald wie selbstverständlich an die Stelle des Vaters – vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass er tatsächlich eine Generation jünger wirkte. Zu seinem Geburtsdatum hatte er ohnedies ein etwas gespanntes Verhältnis – da ließ er es einfach weg. Und so, als betrachte die Natur diese kleine Marotte mit großer Sympathie, ersparte sie ihm auch gleich das Altwerden. Es ist nie schön, wenn ein vertrauter Mensch stirbt. Aber es ist doch ein wenig beruhigend, wenn er gehen darf, noch ohne alle unliebsamen Begleiterscheinungen eines lang zurück liegenden Geburtsdatums erleben zu müssen. Vor allem ist es schön, wenn ihn alle frisch und munter im Gedächtnis behalten – wie eben Anton Winter. Die Liebe zur Familie, der Gemeinschaft und Israel und die tief empfundene Verpflichtung, alles zu unternehmen, damit sich die Katastrophe nicht wiederholt, manifestierte sich in unermüdlicher Aktivität, unter anderem als Delegierter zum Zionistischen Kongress und als Präsident des Mauthausen-Komitees. Dafür wurden ihm auch höchste Auszeichnungen zuteil. Er erhielt 1998 den Jakir Keren Hajessod, und zum 50. Jahrestag des Staats Israel wurde ihm als einem von nur 50 Menschen der "Jakir Medinat Israel", die höchsten Auszeichnungen Israels, verliehen. Die allerhöchste Auszeichnung aber ist das Andenken, das ihm alle, die ihn gekannt haben, bewahren werden. Mit Dr. Anton Winter hat die Illustrierte Neue Welt einen bescheidenen, dennoch immer präsenten und ausgewogenen Herausgeber verloren.

F. C. Bauer

 

Die Familie dankt herzlichst für die große Anteilnahme in zahlreichen Briefen, Telefonaten und Gesprächen und bittet um Verständnis, diese nicht einzeln beantworten zu können

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"In meinem Alter lügt man nicht mehr"

George Tabori in Berlin. Orte und Theater wechseln, die Atmosphäre der Vertrautheit, die er sich schafft, ist immer die gleiche: viel Schwarz, viel Nähe und arbeiten im Kreis. Ich habe Bert Brecht einige Male in Kalifornien getroffen. Er war nicht sehr glücklich, obwohl er schön gewohnt hat. In einem Haus an der 23. Straße, nahe am Meer. Mit Helene Weigel und den Kindern. Einmal war ich bei Charles Laughton eingeladen. Er spielte den Galilei Galileo, hatte aber eine andere Auffassung als Brecht. Ich habe bei der übersetzung geholfen – so kam ich zum Theater. Und jetzt bin ich am Berliner Ensemble gelandet. So schließt sich der Kreis, wird George Tabori von seiner Beziehung zum ehemaligen Brecht-Theater erzählen. Später. In der Kantine.

Jetzt ist er noch mitten in der Probe seines neuen Stückes Erdbeben-Concerto.In einem schwarz ausgemalten Raum, wo die Schauspieler dicht an dicht in einem schwachen Halbkreis sitzen, darunter Uschi Höpfner, David Bennent und Eleonore Zetzsche. Tabori selbst befindet sich ihnen vis-a-vis, beherbergt von einem riesigen rot-samtenen Ohrenfauteuil, in dem sein Körper fast verschwindet. Ich bin nicht mehr der Jüngste, kokettiert er mit seinem Alter.

Im Mai wird er 88. Und er wirkt so zerbrechlich, dass man seine Hände nur ganz vorsichtig drückt. Aber seine Augen sind hellwach und seine Sinne voll auf die Schauspieler konzentriert. Er wundert sich, dass es bereits vier Uhr ist und die Probe zu Ende. Zum Abschluss erzählt er noch eine Anekdote aus seiner Zeit im Hollywood-Glamour und als Drehbuch-Autor Alfred Hitchcocks. George Tabori in Berlin: Schreiben - das beglückt ihn noch immer. "Das Erdbeben-Concerto" hat er im vergangenen Jahr zu Papier gebracht. "Es gibt zwei Fassungen," sagt Tabori, "eine kurze und eine lange und viele dazwischen. Jetzt liegen wir bei zwei Stunden. Wir hatten schon ein Bühnenbild aufgebaut. Es hat mir nicht gefallen. Es wurde wieder abgeräumt." So schwarz wie der Probenraum ist auch sein Humor geblieben. Das Stück spielt in der Psychiatrie, deren Insassen glauben, Hunde zu sein und zum Beispiel als französischer Pudel mit dem deutschem Schäferhund zu kokettieren. Auch seine Biografie hat er zu Ende gebracht. Im September soll sie als seine Familien- und Lebensgeschichte im Klaus Wagenbach-Verlag erscheinen. Autodafé nennt er sein Buch, in Anlehnung an die mittelalterlichen Inquisitionsprozesse und die Judenpogrome. Ich habe keine Recherchen über meine Familie gemacht. Ich habe niedergeschrieben, woran ich mich erinnere und – ein bisschen was dazu. Jetzt, wo die Probe vorbei ist, montiert er sein quietschendes Hörgerät aus den Ohren und schlüpft bedächtig in seinen Kamelhaarmantel. Auf meine Bemerkung, "Du hast dich nicht verändert, George", antwortet er lakonisch: "Innerlich schon. Außerdem trage ich einen Hut und ich habe einen Stock. Damit die anderen beruhigt sind. Ich bin einmal die Stiegen hinuntergefallen," erzählt er auf dem Weg zur Kantine. Die ist quasi in einem Kellergeschoss mit Oberlichten, im Areal der Probebühnen hinter dem BE – und offen für alle. Sie verstrahlt den spartanisch-kühlen Chic eines zeitgenössischen Interieurs, auch deshalb, weil die roten Sitzbänke und Tische den Wänden entlang gereiht sind.

Seit Herbst 1999 lebt Tabori nun in Berlin, hat Claus Peymanns ära am Berliner Ensemble mit seinem Stück Die Akte Brecht, eröffnet und verschiedene Stücke inszeniert, darunter eines über das Altern in der Wegwerfgesellschaft Frühzeitiges Ableben. Und er wohnt nur wenige Gehminuten vom Theater entfernt. Von seiner vorigen Wohnung konnte er dem Peymann quasi in die Direktion schauen. Der Baulärm jeden Morgen, die Presslufthämmer, haben mich so gequält, deshalb bin ich umgezogen, erzählt Tabori. Er wohne jetzt am Schiffbauerdamm und sehe wieder auf das BE – allerdings von hinten. Aber dann wischt er das Thema Berlin mit einer Handbewegung vom Tisch und vergisst auf seine Frankfurter Würstchen, die Uschi ihm vom Buffet gebracht hat. Er ist begierig von österreich zu hören. Alles. Von den Sommern in Salzburg – Ich mag Salzburg sehr. Regnet es dort noch immer so viel? Und vom Alltag in Wien. Ob es sein Stammcafé "La Traviata" noch gibt, und das "Landtmann" und was sich theatermäßig in Wien derzeit tut.An der Burg sind die besten Schauspieler des deutschsprachigen Theaters versammelt, sinniert er und klingt ein bisschen resigniert. Berlin ist anders. Das Wetter ist schlechter, die Straßen sind schlechter. Und die Theater sollen geschlossen werden. In meinem Alter lügt man nicht mehr. Wien geht mir einfach ab. Dort hatte Zeit keine Rolle gespielt. Ich konnte proben, solange ich wollte. Peymann hat am Anfang die Besetzung mit mir durchgesprochen – dann habe ich ihn bis zur Premiere nicht mehr gesehen. Hier am BE gibt es viele Probleme, zum Beispiel, dass die Schauspieler gleich mehrfach im Einsatz sind und damit bei den Proben unter Zeitdruck. Ich käme gerne zurück nach Wien. Vielleicht tue ich es tatsächlich, im Herbst. Es gibt nämlich ein Projekt mit Gert Voss. Er will, dass ich "Faust" mit ihm inszeniere – aber nicht den von Goethe, den "Doktor Faustus" von Christopher Marlowe. An der Burg oder am Akademietheater, in der nächsten Saison. Überhaupt habe er vorgehabt, sich drei Monate frei zu nehmen und überall dort hinzufahren, wo ich einmal war, noch einmal um die Welt zu reisen. Nach London. New York. Los Angeles. München. Salzburg. Wien. Aber es sei nichts daraus geworden. Ich plane nicht länger als ein Jahr voraus und heuer bin ich ausgebucht. Noch im Juni will er Mozarts "Entführung aus dem Serail" in der Berliner Hauptmoschee inszenieren – quasi als crossover der Kulturen, zumal ihn die Macht der Religionen und der daraus resultierende Terrorismus seit dem 11. September beschäftigen: Ich habe die Twin Towers nie gemocht, sagt Tabori.Ich fand sie immer schon viel zu hoch. Es war schrecklich, im TV die Menschen stürzen zu sehen. Die Konsequenz seines Nachdenkens über Terror ist ein Stück ohne Worte, das er mit David Bennent, Tänzern und Schauspielern umsetzen wird. Es handelt von der Geschichte des Terrorismus. Man kann Terrorismus nicht nur negativ sehen. Früher waren Terroristen auch heroisch, Einzelkämpfer jedenfalls. Sie haben jemanden erschossen, zum Beispiel den Habsburger Kronprinzen Franz Ferdinand in Sarajevo. Sie wurden festgenommen und zum Tode verurteilt. Heute ist es ganz anders. Heute werden Schiffe gekapert, beliebig Passagiere als Geiseln genommen und ein alter Jude im Rollstuhl wird einfach ins Meer gekippt. Diese Entwicklung möchte ich aufzeigen.

Nicht nur auf der Probe, auch in der Kantine ist es rund um Tabori ein bißchen wie in Wien. Unser Gespräch wird immer wieder unterbrochen. Einmal kniet sich ein junger Mann vor ihm nieder – es handelt sich um seinen Dramaturgen, dann setzt sich ein junger Mann mit Gefolge zweier Mädchen zu ihm – sein Bühnenbildner, dann taucht Hermann Beil, ehemalige Co-Direktor und Chefdenker des Burgtheaters auf, fragt nach dem Verlauf der Proben und erklärt, warum er die Leitung des Wiener Theater an der Josefstadt nicht angenommen hat: Es hieß hop oder trop. Ich hätte auf der Stelle unterschreiben müssen. Ich habe verschiedene Forderungen – zu Gunsten des Theaters – gestellt, zum Beispiel, dass die Kammerspiele abgekoppelt werden oder die Einrichtung einer Probebühne, die wurden abgelehnt. Tabori fügt hinzu: Schade, dass es nicht geklappt hat – ich wäre mitgekommen. Und schließlich nähert sich ein Gast vom Nebentisch: Ich habe Ihr Foto in der ,Morgenpost' gesehen und von Ihnen gelesen, entschuldigt sich der Mann in einer Mischung aus Trotz und Verlegenheit. Tabori lächelt zurück: Man darf nie glauben, was in der Zeitung steht. Unbeirrt fährt der Fan fort: Ich gehe jetzt in eine Buchhandlung Bücher kaufen. Wenn Sie auf eine Insel müssten, Herr Tabori, welche beiden Bücher würden Sie mitnehmen, um sie Besuchern zu empfehlen? Tabori, der bisher jedes Wort verstanden hat, legt sein imaginäres Schutzschild an und kann plötzlich nichts mehr hören. Was hat er gesagt, wendet er sich an Uschi Höpfner und läßt sich Satz für Satz wiederholen. Das Buch Nummer zwei ist Moby Dick, antwortet er: An erster Stelle steht für mich die Bibel. Die Geschichte der Schöpfung, weil sie eine Geschichte des Scheiterns ist. Das ist die Botschaft, die Gott uns schickt: dass auch der Allmächtige am Menschen scheitert. Dann wendet er sich wieder zu mir und sagt: Ich weiß nicht, was die Leute alle von mir wollen. Ich ziehe mich jetzt ein bisschen zurück. Wir sehen uns wieder – im Sommer in Salzburg und im Winter in Wien. Das sind meine letzten Reisen.

Sybille Fritsch

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Die Faszination des Bösen

Nazi-Bildwelten in der Kunst der Gegenwart

Mit "Schande über Euch!", "Geht nicht in diese Ausstellung !" Rufen protestierten über hundert Holocaust-Überlebende, religiöse Führer und andere Ausstellungsgegner gegen die am 17. März eröffnete Schau "Mirroring Evil" des Jüdischen Museums in New York.

Die kontroversielle Ausstellung, die schon Monate vor ihrer Eröffnung hitzige Debatten und Polemiken ausgelöst hatte, behandelt ein mehr als heikles Thema: Nazi-Bilderwelten und ihre Rezeption in der zeitgenössischen Kunst.

Dreizehn internationale jüdische und nicht-jüdische Künstler der dritten Opfer- bzw. Tätergeneration erforschen die Verwendung nationalsozialistischer Bilder im Rahmen eines vorherrschenden kulturellen und ästhetischen Diskurses über Vernichtung, Vergegenständlichung, Lust und Voyeurismus. Es gehe, so der Kurator Norman Kleeblatt, um eine "mutige Erkundung der medialen Faszination des Bösen".

Zu sehen etwa sind in Legosteinen nachgebaute Konzentrationslager des Polen Zbigniew Libera, digital manipulierte Photos, auf denen der aus England stammende Künstler Alan Schechner in Häftlingskleidung mit einer Cola-Light-Dose inmitten ausgemergelter KZ-Insassen abgebildet ist, ein "Giftgas Set" bestehend aus Zyklon-B Dosen mit Hermes, Chanel und Prada Logos des Amerikaners Tom Sachs, Bilder unwiderstehlicher Hollywood-Schauspieler in NS-Uniformen des Polen Piotr Uklanski, sechs Büsten des KZ-Arztes Dr. Mengele ...

Als "Trivialisierung des Holocausts", "Verhöhnung der Opfer", "Desakralisierung der Shoa", "Profanisierung der Erinnerung an die Toten" empfinden manche der Holocaust-Überlebenden und deren Angehörige diesen ästhetischen Grenzgang. Die Kuratoren des Jüdischen Museums sehen das Unterfangen jedoch unter einem anderen Gesichtspunkt: Es gehe darum, ein Tabu zu brechen, und den Blick von den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen auf die Täter und ihre Repräsentationstechniken und Symbole zu richten.

Propaganda, Manipulation, Werbung, Marketing – aufgezeigt werden sollen die Parallelen und Grenzen einer so allgegenwärtigen wie verführerischen Ästhetik, der man sich nur schwer zu entziehen vermag und der wir in anderer Aufmachung auf Schritt und Tritt auch heute in unserer "schönen neuen Welt" begegnen.

Die Mehrzahl der als Konzeptkunst einzustufenden Werke verdankt ihre Wirkung jedoch eher ihrer Thematik und des damit verbundenen Schockeffekts als ihrer künstlerischen Aufbereitung. Ausnahmen bilden lediglich Werke wie jene des Amerikaners Alan Schechner, dessen computerisierte Bilder Konzentrationslagerinsassen in Strichcodes verwandeln oder die neun Sekunden lange Videosequenz eines um Vergebung bittenden Hitlers des israelischen Künstlers Boaz Arad. Hitlers zusammengeschnittenes "Schalom Jeruschalaim" jagt uns in der Tat einen kalten Schauer über den Rücken. Andere Werke wiederum stoßen hart an die Grenze der Geschmacklosigkeit, wie etwa das vorher zitiertes Selbstportrait Alan Schechners mit Cola-Dose in Buchenwald.

Nicht enden wollende Proteste Holocaust-Überlebender und zahlreicher jüdischer Organisationen, allen voran das von Menachem Rosensaft angeführte International Network of Children of Jewish Holocaust Survivors, bewogen schließlich das Jüdische Museum dazu, vor gewissen Werken "Warnschilder" aufzustellen und zusätzliche Notausgänge zu schaffen. Verstörten, schockierten oder allzu brüskierten Besuchern stehen weiters psychologisch geschulte "Ausstellungsbegleiter" zur Verfügung. Ein spezielles Rahmenprogramm mit Vorträgen, Filmen und Diskussionen soll die Reaktion des Publikums auffangen und in sichere Bahnen lenken.

Ein nicht minder brisantes Thema, das nur am Rande in Alan Schechners Kommentaren anklingt, wird jedoch in der Ausstellung gänzlich ausgespart: die kommerzielle und ideologische Deformation des Holocaust-Gedenkens. So kritisiert beispielsweise der israelische Historiker Tom Segev schon seit Jahren die Vereinnahmung der Shoa zur Legitimation israelischer Politik. Der amerikanische Historiker Peter Novick belegte wiederum in einer Untersuchung die "Amerikanisierung des Holocausts", in der er die Herausbildung eines Opferbewusstseins als für das amerikanische Judentum identitätsstiftend hervorhob. Norman Finkelsteins Pamphlet gegen die sogenannte "Holocaust-Industrie" rangierte monatelang auf den Bestsellerlisten.

Wo liegt, in der Tat, die Grenze zwischen historischer Veranschaulichung und sensationslüsternem Exhibitionismus? Diese Frage zu beantworten ist nicht anders möglich als selbst, sei es als Künstler, Kurator oder Betrachter, an diesem Exhibitionismus oder Voyeurismus teilzuhaben. Inwieweit bestätigen und objektivieren wir nicht den Opferstatus der Opfer, deren Bilder wir reproduzieren? Inwiefern beteiligen nicht auch wir uns, wenn wir jene Bilder vorführen und betrachten, an der Degradierung der Opfer? Welche Konsequenzen schließlich zieht eine Ästhetisierung bzw. Trivialisierung dieser Bilder nach sich?

In seinem Essay über Kitsch und Tod geht der Historiker Saul Friedlaender noch einen Schritt weiter, wenn er die Nazi-Faszination einer jungen Künstlergeneration hinterfrägt: entspringt die zwanghafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dessen visuellen Ausdrucksformen einer Art perverser Nostalgie, einer Vorliebe für Theatralik und pompöse Inszenierungen? Handelt es sich um eine Art Exorzismus oder um das Bestreben, zu verstehen? Oder ist sie nicht vielmehr, noch und immer wieder, der Ausdruck tiefverwurzelter Ängste und Begierden?

Die von den Ausstellungsgegnern aufgeworfene Frage, wieso Kunstwerke mit Naziinhalten ausgerechnet in einem jüdischen Museum ausgestellt werden sollen, kann man nur mit der Gegenfrage beantworten: Wo sonst kann man ein so heikles wie anrüchiges Thema so sicher und "gefahrenfrei" abhandeln bzw. entschärfen?

Eine überzeugende Antwort auf eine andere, immer wieder gestellte Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Ausstellung, deren aggressiver Charakter mehr als nur eine Minderheit der Holocaust-Überlebenden entrüstet und verletzt hat, bleiben uns die Kuratoren und Künstler dennoch schuldig.

Daniela Nittenberg

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Wiener Festwochen 2002

fanden vom 10. Mai bis 16. Juni statt.

Die INW brachte eine ausführliche Vorschau.

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INW-Adabei

belauscht und beobachtet

Jakov Bararon, Suzana Gojnic, Slobodan Orescanin und Igor Bararon, vier ebenso hervorragende wie unterschiedliche Künstler, präsentierten ihre Werke am 26. April 2002 bei der Vernissage im Rahmen des mittlerweile 4. Kultur + Politik Circle der Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger & Partner.

Alle Künstler kommen aus dem südosteuropäischen Raum, J. Bararon aus Belgrad, S. Gojnic aus Montenegro, S. Orescanin ebenfalls aus Belgrad und I. Bararon aus Sarajevo, leben und arbeiten jedoch in Wien. Fast 400 Gäste strömten durch die bei dieser Gelegenheit zugänglichen und erst kürzlich um 350m2 erweiterten, von der Architektengruppe "theunit" gestalteten Räumlichkeiten der Kanzlei. Idee dieser Circle-Vernissagen ist es, sowohl jungen aufstrebenden als auch bereits etablierten Künstlern eine Plattform zu bieten, die es ihnen ermöglicht, ihre Werke sowohl einer allgemeinen öffentlichkeit als auch einem Publikum, das der Kanzlei nahe steht und diese Art der Kunstförderung schätzt und unterstützt, präsentieren zu können. Am jeweils darauffolgenden Sonntag findet im Rahmen dieses Circles eine Diskussion zu einem aktuellen politischen/gesellschaftlichen/wirtschaftlichen und/oder kulturell relevanten Thema statt, das Thema der diesmaligen hochkarätig besetzten Diskussion lautete "Partizipieren am Wirtschaftsaufschwung in Südosteuropa". Einen stimmungsvollen und unterhaltsamen Ausklang fand dieser Abend im Zeichen der Kunst auf der Dachterrasse der Kanzlei mit Blick auf die Dächer und Türme der Stadt. Die Werke der Künstler sind noch bis Ende Mai nach telefonischer Terminvereinbarung mit Frau Domfeh, Tel. 533 33 300, zu besichtigen und käuflich zu erwerben. Der Erlös geht zur Gänze an die Künstler, die Kosten der Veranstaltung trägt die Kanzlei LGP. Der nächste Circle findet voraussichtlich am 21. und 23. Juni 2002 statt.

flüchtig daheim ist der Titel des Kunstfestivals SOHO in Ottakring, bei dem vom 25. Mai bis 8. Juni ein Hauch von New Yok" durch Ottakring und das Wiener Brunnenviertel weht. österreichische sowie internationale Kunst- und Kulturschaffende werden in Ateliers, leer stehenden Geschäftslokalen und bestehenden Geschäften Bilder, Objekte, Installationen und Performances präsentieren. Musikveranstaltungen, Filmabende, Lesungen und ein Kunstversteigerungsevent auf dem Gelände der Ottakringer Brauerei komplettieren das facettenreiche Programm. Im Rahmen dieses Festivals wird der Belgier Daniel Weinberger die Fenster- und Rauminstallation "The war is over – we won" präsentieren. Weinbergers künstlerisches Schaffen umfasst neben Raum- und Schaufensterinstallationen unter anderem Malerei und Videoinstallationen. Bis 1. Juni sind in der Galerie V&V (Bauernmarkt 19, 1010 Wien) Schmuckkreationen des Künstlers zu sehen. Neben Eigenwerken werden in dieser von ihm kuratierten Ausstellung internationale jüdische Künstler wie Dina von Fleischgeist, J. Farkash, Vino Del Monte, Ben Moshe und Har Geven und deren differierende Auffassung von Schmuckkunst gezeigt. Weinberger versucht in seinen Werken eine Neudefinition der zeitgenössischen Kunst und verbindet dies mit seinem orthodox jüdischen Glauben. Er integriert sein gesamtes Lebensumfeld in seine narrativen, suggestiven, ironischen Kunstwerke. Weiters hat der Künstler die Fenstervitrine des Atelier Schwarzinger (Windmühlgasse 9, 1060 Wien) gestaltet und schließt damit an die erste Ausstellung in diesem Atelier (Ready made) vor 21 Jahren an. Das gefundene Alltagsobjekt – ready-made – aus dem Lebensumraum bildet die Grundlage für die prächtigen Geschmeide Weinbergers.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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