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AUS DEM INHALT DER AUSGABE Nr. 6, 7 - 2001


Erinnern oder vergessen?

Dies ist nun die zentrale Frage in einem Land, in dem das Verdrängen stets großgeschrieben wurde.

Ganz zu schweigen von der jahrzehntelangen Geschichtsfälschung, Österreich sei das erste Opfer Hitlers gewesen. Der Abschied dieser These war sehr schmerzhaft und ausgerechnet Kurt Waldheim leitete ihn mit dem Ausspruch seiner "Pflichterfüllung" ein. Übersehen wird bei uns, dass es sich nicht ausschließlich um ein österreichisches oder deutsches Problem handelt. Dieser präzise vorbereitete und durchgeführte Massenmord stellt einen Zivilisationsbruch im noch nie dagewesenen Maße dar, mit dem sich noch Generationen von Historikern, Psychologen, Soziologen und Philosophen weltweit auseinandersetzen werden.

Wenn Rudolf Burger meint, dass Trauer nach fünfzig Jahren nicht möglich ist, dann möge er daran erinnert werden, dass das Judentum in Europa fast zur Gänze ausgerottet wurde, ein Verlust, der auch nach Generationen nicht wieder gutzumachen ist. Es ist verständlich, dass die Verursacher und oft Nutznießer dieser Taten gerne verdrängen und vergessen würden. Es sei auch den Opfern zugestanden sich mit ihren grauenvollen Erlebnissen nicht zu konfrontieren, dies ist eine persönliche Entscheidung und hat nichts mit öffentlicher Aufarbeitung zu tun. Relativ spät stellten sich die Opfer ihrer eigenen Geschichte, dies ist auch mit ein Grund wieso die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erst etwa 30 Jahre danach einsetzte. Bei uns laufen die Uhren etwas anders. Hier spielt ein Politiker, dem auch – gemäß eines gerichtlichen Urteils – die Nähe zum Nationalsozialismus nicht abgesprochen werden kann, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene eine entscheidende Rolle. Die erst jüngst herausgegebene Untersuchung über das Wirken Heinrich Gross, seine Karriere im Nachkriegsösterreich zeigen ebenfalls deutlich wie vieles bei uns unter den Teppich gekehrt oder einfach verfälscht wurde. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Naziprozessen in den sechziger Jahren, in denen viele überführte Mörder durch Geschworene freigesprochen wurden. Auch die Verhandlungen um Rückgabe der beschlagnahmten Güter sind kein Ruhmesblatt in der Geschichte Österreichs. Leider lässt sich die Liste der Peinlichkeiten und Versäumnisse lange fortsetzen. Nur kleine, meist selbst betroffene Kreise haben den Versuch unternommen sich intensiv und ehrlich mit der Nazizeit auseinanderzusetzen. In vielen Familien war diese Zeit kein Thema mehr und wurde einfach verdrängt. Die Geschichte beweist, dass auch nach über fünfzig Jahren eine Verdrängung, sollte sie noch so angestrebt werden, nicht möglich ist.

Das Perfide an Burgers Theorie ist, dass er, obzwar kein Holocaustleugner, diesen jedoch einfach vergessen will. Verständlich wäre es noch wenn er laut über die Methoden der Erinnerung nachdenkt, wie man heute junge Menschen dazu bringt, reflektiert diese Zeit zu beleuchten, Wenn man heute an die wachsende Neo-Naziszene in Deutschland denkt und sich die Aktivitäten im Internet betrachtet, so müsste man logischerweise zu dem Schluss kommen, dass die Bemühungen um bessere Aufklärung zu verstärken seien. Diverse Schulprojekte, in denen sich Schüler intensiv mit der Vertreibung ihrer ehemaligen Mitschüler befassen, haben positive Resultate gezeigt. Kleine und große Schritte werden in diese Richtung gesetzt, um eine Bewusstseinsänderung herbeiführen – ein schmerzhafter Prozess, der vieles in ein anderes Licht rückt. Diese Bestrebungen gilt es zu fördern und nicht kontraproduktive Überlegungen anzustellen. Rudolf Burgers Ideen – um des Friedens willen alles zu vergessen – sind zu vergessen.

Joanna Nittenberg

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Ein Jude weniger

Persönliche Anmerkungen zum Tod von Robert Hochner

Seltsam. Jetzt liegt er also am Hietzinger Friedhof. Nette, ruhige Umgebung, Grünlage sozusagen. Der Jude Robert Hochner, eingesegnet vom Katholiken Schüller, schnell noch ein Paar Tropfen Weihwasser aufs Grab – schaden wird´s ihm schon nicht. "Fühlst Du dich eigentlich als Jude?" habe ich ihn einmal gefragt. "Naja, das kann man so nicht fragen. Also getauft bin ich jedenfalls. Aber wie fühlt man sich eigentlich als Jude?" lautete die Antwort. Reingefallen! Juden geben keine Antwort, Juden stellen eine Gegenfrage. Sagt zumindest ein Vorurteil.

Das Fragezeichen als "jüdischestes" Satzzeichen – Robert Hochner war so etwas wie die Inkarnation dieses Fragezeichens. Oft hatte er aber auch gleich die passende Antwort parat. Etwa vor rund 25 Jahren, als wir im Café Hawelka über die Gefahren der Atomenergie diskutierten, ich bei einer "Birne" (klare Flüssigkeit, stechender Geruch, undefinierbarer Geschmack) und Buchteln, er bei einem Kaffee. Es lag ihm immer viel daran, einen klaren Kopf zu bewahren. Als er eine Statistik servierte, wonach beim Bau von Kohlekraftwerken soundsoviele Menschen vom Dach fielen ("Atomkraftwerke werden nicht eingedeckt?" "Doch, aber da passiert weniger.") und dass in Kohlebergwerken ich weiss nicht wie viele Menschen erschlagen werden oder bei anderen Unfällen ums Leben kommen, gab ich wieder einmal genervt auf und zog mich intellektuell ins Birnenglas zurück.

Damals wußte ich noch nicht, wo Tschernobyl liegt.

Ja, Robert Hochner war ein Besserwisser. Mein Pech – und das Pech seiner Umgebung dabei: Vieles wußte er einfach wirklich besser – und er verstand es, das mit einer unglaublichen Brillanz und Schärfe zu vertreten. Beinahe wäre es ein Vergnügen gewesen, mit ihm zu diskutieren – wenn es nicht so schwer fiele, zu glauben, im Recht zu sein, aber keine Argumente mehr zu haben, weil das Vis à vis mehr weiss, mehr gelesen hat, einfach punktgenau formuliert. "Du solltest das Buch X lesen, sehr interessant". Knappe Anweisungen, wenn wir einander in der Stadt – oft vor der Auslage eines Buchgeschäftes – getroffen haben, sozusagen intellektuelle Nachhilfe für den jüngeren, nicht ganz so gebildeten Kollegen. Typisch jüdische Intellektualität? Vielleicht, aber ich kenne ja auch ziemlich viele, sagen wir einmal vorsichtig: weniger gescheite Juden. Außerdem war er doch getauft.

Glaubst du wirklich, das bisschen Weihwasser wäscht die Geschichte deiner Familie weg?

Nein, das hat er auch nie geglaubt, und vielleicht war gerade das der Schlüssel zu seiner faszinierenden Persönlichkeit: Das, was man "Minderheitsbewusstsein" nennen könnte. Natürlich gehört ausnahmslos jeder Mensch einer Minderheit an. Sogar die Chinesen, und die sind immerhin eine Milliarde – aber eben nur ein Fünftel der Weltbevölkerung, also eine Minderheit. Intellektuelle wie Robert Hochner sind ja ebenfalls immer und in jeder Gesellschaft (nicht nur in Österreich) eine Minderheit. Der wesentliche Unterschied: Sie wissen das auch recht gut, und jüdische Intellektuelle wissen das ganz besonders gut. Aus dieser Reflexion der Minoritätsposition entspringt eine Verantwortung, und zwar für die gesamte Menschheit. Neben dem jedem Journalisten (und besonders jedem prominenten Fernsehjournalisten) innewohnenden Selbstdarstellungsdrang war diese tatsächlich empfundene Verantwortung, die echte Sorge um die Zukunft der Menschheit, die wesentlichste Triebfeder seines journalistisches Schaffens. Aus der Geschichte seiner eigenen verfolgten Familie wußte er es sehr gut, wie es Minderheiten ergehen kann – und er wußte, welche Rolle sein Handwerkszeug, die Sprache, dabei spielt. Auch das war ein Grund dafür, dass ihm die aktuelle politische Situation Österreichs solche Sorgen bereitete.

Viel Wissen macht Kopfweh. Oder Depressionen. Ein Mensch, der alles erreicht hat. Materiell abgesichert, prominent, intelligent – und Depressionen? Da gab es viel Angst in seinem Leben. Die Öffentlichkeit durfte daran teilnehmen. Aus einer Kombination aus Selbstdarstellung und journalistischem Drang, gesellschaftlich relevante Themen aufzubereiten, entstand eine öffentliche Diskussion über psychische Erkrankungen. Im Land des Spiegelgrundes, in dem ein Nazipsychiater Gross noch so lang sein Unwesen treiben durfte, wirklich kein Luxus. Danke, Robert.

Auf die Frage "Wie geht es Dir?" hast Du sehr oft geantwortet "Beschissen wäre geprahlt". Zuletzt fand ich das gar nicht mehr lustig – Ironie, die an Sarkasmus grenzte. In besseren Zeiten funkelte da auch noch ein tiefer Humor.

Zu denken gibt mir, dass man Dich als "Gewissen des Landes" bezeichnet. Blieb leider ziemlich wirkungslos, dieses Gewissen. Die machen ja doch, was sie wollen. Die Rache des Interviewers kommt in kleinen, boshaften Zwischenfragen, aber es ist offenbar das Schicksal des weitblickenden Intellektuellen, letztlich doch nicht verstanden zu werden – und letztlich doch nichts zu bewegen.

Über Krebs und Fitness haben wir oft gesprochen, verdächtig oft. Auch so ein blödes Vorurteil, dass Juden zur Hypochondrie neigen. Sagt die Krankenschwester: "Herr Doktor, der Hypochonder auf Zimmer sieben ist gestorben". Den Witz hast Du mir auffällig oft erzählt. Das letzte Mal muss so rund zwei Jahre her sein. Es war im Café Schwarzenberg. Du hast mir von deiner Krebs-Diagnose erzählt, und dass alles nicht so schlimm sein wird, weil man kann das gut behandeln. Scheisse, hab ich mir gedacht, ausgerechnet er, dabei hat er immer solche Angst davor gehabt. Dann haben wir wieder über die neuesten Fitnessgeräte geredet, die Du Dir kaufen wirst (die abgelegten hat dann oft der Ernst Hilger bekommen. Ich glaub, der passt gut auf sie auf. Zumindest schont er sie mehr als Du).

Vor etwa vier Monaten warst Du also das letzte Mal bei mir zu Hause, bist mir gegenüber am Küchentisch gesessen. "Nein danke, mehr kann ich nicht essen, ich hab dann wieder Verdauungsprobleme. Du weißt ja...". Ein künstlicher Darmausgang ist kein Spaß. Da habe ich Dich noch mehr bewundert als für Deinen Intellekt. Er trägt das so unglaublich tapfer, sein Schicksal, bei aller Angst, die er doch hat. Damals habe ich mir gedacht. wenn er gestorben ist, werde ich das schreiben, und jeder soll es wissen: Robert Hochner hat gelebt wie ein Journalist, und er ist gestorben wie ein Held.

Und auf seinem Grabstein sollte eigentlich nur ein Fragezeichen eingemeisselt sein.

Franzi

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Der Kampf der Lobbies in Washington

Trotz arabischer Bemühungen bleibt die israelische Lobby überlegen

Als Yitzhak Rabin und Yasser Arafat vor sieben Jahren auf dem Rasen des Weißen Hauses das Osloer Abkommen unterzeichneten, appellierte Präsident Clinton an Amerikas Juden und Araber, bei der Suche nach Projekten zur Förderung des Nahostfriedens zu kooperieren und ihre gegenseitigen Beziehungen in den USA zu festigen.

Nichts dergleichen ist geschehen. Was dem Osloer Abkommen und den folgenden Phasen des nahöstlichen Dramas folgte, war ein intensivierter Wettlauf um die Herzen des amerikanischen politischen Establishments, der Medien und der öffentlichen Meinung. Die arabische und islamische Lobby strebt eine Kürzung der US-Beihilfe für Israel an, die Untergrabung der strategischen Kooperation, die Redefinierung des amerikanischen Begriffs von Terrorismus, Unterstützung der palästinensischen Sache und Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak.

Amerikas Araber und Moslems behaupten, sie hätten zahlenmäßig mit "etwa sechs Millionen" die Stärke der jüdischen Gemeinschaft erreicht, doch werden diese Zahlen von professionellen Demographen bestritten. Außerdem ist der Großteil der Moslems nichtarabisch und an der Sache Palästinas weitgehend desinteressiert. Die Mehrheit der Moslems versucht sich zu assimilieren und eine indirekte Diskriminierung in Anbetracht des terroristischen Images radikaler Islamisten zu vermeiden. Die Führung der arabischen und eines Teils der islamischen Organisationen sind sich allerdings der kritischen Rolle bewusst, die die US-Juden in den Sonderbeziehungen zwischen den USA und Israel spielen und glauben, dass durch die Schwächung der relativen Macht des US-Judentums und der proisraelischen Lobby diese Sonderbeziehungen gelockert werden könnten.

Der jüngsten Ausgabe des Magazins "Fortune" zufolge zählt die proisraelische Lobby AIPAC nach wie vor zu den fünf mächtigsten in Washington und es ist unwahrscheinlich, dass die amerikanischen Araber und mit ihnen verbündeten Moslems es in naher Zukunft mit ihr aufnehmen können. Aber die Zahl der Araber und Moslems nimmt zu, vornehmlich durch wachsende Einwanderung und so auch deren politische Geschliffenheit und Selbstsicherheit. Politische Kandidaten besuchen Treffen ihrer Konferenzen, wenngleich das nicht bedeutet, dass sich diese auch der politischen Linie dieser Gruppen annähern.

Die arabische Herausforderung begann bereits während der ersten Intifada in den 80-er Jahren, in denen amerikanisch-arabische Organisationen antiisraelische Demonstrationen veranstaltet hatten. Seither ist eine neue Generation von arabischen Aktivisten herangewachsen, die fieberhaft, wenngleich vergeblich, versucht, die Definition eines "judeo-christlichen Amerikas" in die eines "judeo-christlich-islamischen Amerika" zu ändern. Zu diesem Zwecke haben sie Koalitionen mit islamischen Gruppen wie "American Muslims for Jerusalem" gebildet, die zumeist die Ansichten von Hamas und des Islamic Jihad wiederholen. Ihre erste Kampagne galt dem völlig erfolglosen Boykott des internationalen Millennium-Projekts der Disney Company, in deren Israel-Pavillon Jerusalem als Israels Hauptstadt dargestellt wurde. Ein andermal wurde die Ben & Jerry Eiscreme-Erzeugung mit arabischem Boykott belegt, weil diese inserierte, bei der Herstellung ihrer Eiscremes Wasser von der Golanhöhe zu benutzen. Dann folgte ein Boykott der Sprint-Telefongesellschaft, weil sich deren Reklame billiger Ferngespräche mit Israel des Jerusalemer Felsendoms als Symbols bediente.

Als die zweite Al Aqsa-Intifada begann, haben die Araber eine recht kostspielige antiisraelische Medienkampagne gestartet, in der sie das Ringen der Palästinenser als ihre Version der Amerikanischen Revolution darzustellen trachteten. In einer anderen Serie von Inseraten in amerikanischen Zeitungen wurde das Foto eines jungen Palästinenser vor einem israelischen Panzer mit den Geschehnissen auf Pekings Tienanmen-Platz verglichen.

Doch trotz all dieser Aktivitäten blieb die Fähigkeit der arabischen und moslemischen Gruppen, namhafte Beträge für ihre Zwecke aufzubringen und einen fühlbaren politischen Impakt zu erzielen, beschränkt. Im letzten amerikanischen Wahlkampf haben sich sowohl George Bush als auch Al Gore in Michigan (dem Staat mit der größten arabischen Bevölkerung) mit arabisch-amerikanischen Führern getroffen. Die Araber erhofften sich von Bush mehr als von Clintons einstigem Partner und wählten mehrheitlich republikanisch. Zunächst scheinen sie sehr enttäuscht von ihrer Wahl zu sein.

In Sachen von Trennung zwischen Staat und Kirche sind sich Juden und Moslems einig.

Koscheres Fleisch und koschere Produkte werden von Moslems ebenso wie von Juden gekauft. Aber wenn es um die proisraelische Haltung Amerikas oder um den Kampf gegen islamischen Terror handelt, stehen sich Juden und Moslems diametral gegenüber.

Für die US-Juden ist die Existenz der arabischen und islamischen Lobby eine klare Herausforderung und eine Mahnung zu pausenloser Wachsamkeit. Die Israelis, die manchmal die Bedeutung des amerikanischen Judentums in der amerikanisch-israelischen Gleichung unterschätzen, oder sie als gegeben betrachten, müssen gleichfalls umdenken. In einem Punkt haben Amerikas Araber und Moslems recht: das US-Judentum ist eine grundsätzliche Vorbedingung des Sonderverhältnisses zwischen Washington und Jerusalem und Israel muss deshalb alles unterlassen, was die Unterstützung des US-Judentums negativ beeinträchtigen könnte und alles tun, was diese zu fördern vermag. Zunächst ist die arabische Lobby kein ernster Gegner, aber es wäre riskant sie auf Dauer zu unterschätzen.

Ben Zakan

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Wem gehört Bruno Schulz?

Israel und die Diaspora im Streit um das Erbe der ermordeten Juden

Ein schon lang schwelender Streit zwischen Israel und der Diaspora hat nun in Polen seinen neuen Höhepunkt gefunden: Wem gehört das Erbe der im Zweiten Weltkrieg ermordeten Juden? Israel und seiner zentralen Gedenkstätte Yad Vashem? Oder der Diaspora und damit auch den Heimatländern der Ermordeten? Polen, das seit einigen Jahren darauf bedacht ist, sich die Erinnerung an das "jüdische Polen" vor dem Zweiten Weltkrieg ins Gedächtnis zurückzurufen, fühlt sich durch die "Entführung" oder den "Raub" der gerade erst freigelegten Wandmalereien Bruno Schulz' besonders getroffen. Viele Medien werfen Israel offen "Kulturraub" vor.

Tatsächlich haben Konservatoren der Jerusalemer Gedenkstätte vor einigen Tagen einen Teil der Wandmalereien des Künstlers nach Israel gebracht, ohne zuvor die Öffentlichkeit in Polen und der Ukraine von diesen Plänen zu informieren. Der Schriftsteller und Zeichner Bruno Schulz hatte 1942 das Kinderzimmer im Haus des SS-Mannes Felix Landau im damals polnischen, heute ukrainischen Drohobycz mit Märchenfiguren ausgemalt, um sich so vor dem sicheren Tod zu retten. Schulz wurde wenige Monate später von einem anderen SS-Mann erschossen. Die Zeichnungen Schulz' waren von späteren Bewohnern des Hauses übermalt worden und in Vergessenheit geraten. Anfang des Jahres hatte Benjamin Geissler, der an einem Film über Schulz arbeitet, die Wandmalereien in der Heimatstadt des Künstlers entdeckt und bereits Pläne für die Schaffung einer kleinen Bruno-Schulz-Gedenkstätte in Drohobycz entwickelt. Polen, die Ukraine und Deutschland hatten finanzielle Hilfe zugesagt. Polnische Restauratoren hatten bereits mit der Arbeit begonnen, als nun – überraschend für alle – Konservatoren aus Yad Vashem die bereits freigelegten Teile des Kunstwerks von der Wand ablösten und nach Israel brachten.

In seiner öffentlichen Stellungnahme hat Yad Vashem inzwischen erklärt, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei, da die Bürgermeisterin von Drohobycz nicht nur von dem Vorhaben der Gedenkstätte gewusst habe, sondern Stadtbeamte sogar beim fachgerechten Verpacken geholfen hätten. Auch die Bewohner des Hauses hätten dem Ablösen der Malereien in dem als Vorratskammer genutzten Zimmer zugestimmt. Darüber hinaus, so heißt es in der Erklärung, sei Yad Vashem "der angemessene Ort" für das malerische Werk Bruno Schulz, der "nur deshalb umgebracht wurde, weil er Jude war". Yad Vashem sei das "Zentrum des Gedenkens an die Helden und Märtyrer des Holocaust in Jerusalem".

In der Ukraine wie auch in Polen stieß diese Erklärung auf Unverständnis. Da das Werk bereits auf die Liste der Kulturgüter der Ukraine gesetzt worden war, durfte es nach ukrainischem Recht eigentlich nicht ausgeführt werden. Auch dann nicht, wenn die Bürgermeisterin von Drohobycz zugestimmt hatte. Es liegt also in jedem Fall ein Rechtsbruch vor. In Polen wiederum ist man umso empörter über die Zerstörung des Kunstwerks durch Yad Yashem – die Konservatoren haben ja nur den bereits freigelegten Teil nach Israel gebracht, als polnische Restaurateure mit der Rettung des Gesamtkunstwerks begonnen hatten.

Auch Stanislaw Krajewski, Vorstandsmitglied im Bund der Jüdischen Gemeinden Polens, ist fassungslos: "Wenn man die authentischen Spuren der Geschichte an einen fremden Ort verlegt, so erschwert man an den ursprünglichen Orten der Shoa das Erinnern an die jüdische Geschichte dieser Orte. Dies ist eine Geringschätzung derjenigen Menschen, die sich genau darum in Drohobycz bemühen. Es drückt auch eine Ignoranz den Juden gegenüber aus, die in der Diaspora leben – ganz nach dem zionistischen Prinzip, dass vom jüdischen Leben und seiner Kultur nur das zählt, was in Israel ist, in der Diaspora sich aber die Wüste ausbreiten könne."

Die Zukunft des Bruno Schulz-Gedenkhauses in Drohobycz ist nun nicht nur überschattet von dem Streit zwischen Israel und der Diaspora, sondern überhaupt gefährdet: Sollen hier später nur Teile des Kunstwerkes gezeigt werden – mit dem Verweis, dass der Rest in Yad Vashem zu besichtigen ist? Oder wird die Jerusalemer Gedenkstätte für ihre Sammlungen Kopien anfertigen und die Originale an Drohobycz zurückgeben?

Gabriele Lesser

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Eveline Goodman-Thau

die neue Rabbinerin der Liberalen Gemeinde

Die seit 1990 bestehende jüdisch-liberale Gemeinde Or Chadasch feierte am 6. Mai im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek mit 200 Gästen und Gemeindemitgliedern die festliche Inauguration ihrer neuen Rabbinerin Eveline Goodman-Thau.

Prof. Dr. Eveline Goodman-Thau, die in Deutschland und den USA zahlreiche Gastprofessuren für Jüdische Studien innehatte, das Seminar für Jüdische Studien in Halle aufbaute und sich in Kassel in diesem Fach habilitierte, amtiert seit März als die erste Rabbinerin Österreichs.

Nach einem einfühlsamen Grußwort des Hausherrn, des scheidenden Generaldirektors der Nationalbibliothek Johann Marte, sprachen die Wiener Stadträtin Renate Brauner, der die Subvention für die Anstellung von Goodman-Thau zu verdanken ist, Theodor Much, der Präsident von Or Chadasch, Leslie Bergman, deren Vizepräsident und Rabbiner Dow Marmur, der Executive Director der Weltunion für Progressives Judentum. Die eigentliche Inauguration nahm Rabbiner Albert H. Friedlander, der Dekan des Leo Baeck College in London und langjährige Rabbiner der Westminster Synagogue in London, vor. Die besonders festliche musikalische Umrahmung bot die Sängerin Doris Miriam Cikanek, der Pianistin Gila Moffat-Perach – beide von Or Chadasch – sowie des in Israel geborenen Professors für Kammermusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz, Yossi Gutmann.

Rabbinerin Goodman-Thau nahm in ihrer Rede Bezug auf die Bedeutung dieses Augenblicks sowohl für sie persönlich als gebürtige Wienerin als auch für die Tradierung des jüdischen Vermächtnisses dieser Stadt. Sie zitierte auch Oberrabbiner Zwi Perez Chajes und bekannte:

"In den letzten Tagen habe ich einige von den Reden von Oberrabbiner Chajes gelesen und mit einem Staunen, das mich fast sprachlos macht, festgestellt, wie sehr ich von dieser Mischung von Judentum und Abendland geprägt bin: Diese Lehre, die zu den herausragenden humanistischen Traditionen aus den Quellen des Judentums, die Europa geprägt haben, gehört, bestimmt mein Denken und Handeln."

In ihrem Schlußwort sagte Goodman-Thau:

"Wien, ein Ort der Begegnung zwischen Ost und West, ein Schnittpunkt also: Es war eine erste Station für viele Juden aus Ost-Europa, die davon geträumt hatten, eines Tages aus dem Versteck zu kommen und ihr uraltes Wissen, eine Kombination von eindringlichem Forschen und tiefer Religiosität, in religiöser Praxis, in einem ständigen Werdens- und Bewußtseinsprozeß durch ein menschliches In-der-Welt-Sein zum Ausdruck bringen zu können. Gott – in ihrer Welt war er nicht ein abstrakter Begriff. Er hatte viele Namen und darum keinen bestimmten, keinen von vornherein festgelegten, festgeschriebenen; keinen, der in menschlicher Sprache erst übersetzt werden müsste, durch eine menschliche Beschreibung der Gotteserfahrung. Er war, nach einer der prägnantesten Formeln: Mi sche-amar-veha-ja-olam: Er sprach und die Welt war. Es war ihre Welt und sie fühlten sich dort zu Hause. Wien, die Stadt der Träume, wurde aber zum Alptraum, zum Ort des Schreckens, zum Symbol des Lebensbruchs jüdischer Familien in Europa, als sie Schiffbruch erlitten, zerschmettert wurden an den Felsen der Festung Europa, jener Festung der europäischen Kultur, die sie mitgestaltet hatten, an der sie gleichberechtigt auch weiter teilnehmen wollten, welche uns aber wie ein Fremdkörper in ihrer Mitte vernichtete. Aus dieser Erfahrung und Einsicht wächst die jüdische Geschichte als Aufgabe. Durch die Annahme des Vertrauens meiner Gemeinde, der Ehre und der Würde des Amtes, Rabbinerin der Gemeinde OR CHADASCH in Wien, hoffe ich den Weg weiterzugehen, der für zu viele meines Volkes zu früh abgebrochen worden ist. Dies ist das Mandat und die Verantwortung, die ich heute in Dankbarkeit und Demut, in Furcht und Zittern, auf mich nehme. Mein Gewissen kennt keine andere Stimme als die Göttliche, meine geistige Freiheit lege ich in seine Hände. Möge er mir Kraft verleihen aus der unendlichen Quelle seiner Kraft, Einsicht aus der Fülle seiner Weisheit, und möge er uns alle heute und immer segnen mit ewigem Frieden. Amen."

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Lehrer in Yad Vashem

Österreichische PadagogInnen an der International School for Holocaust Studies

Vom 29. Juni bis 11. Juli findet bereits das zweite Seminar für Lehrer und Lehrerfortbildner aus Österreich in Yad Vashem statt. Das erste, im November des Vorjahres, fand positive Rezeption bei allen Beteiligten und großes Echo in den israelischen Medien. Neunzehn Pädagogen aus verschiedenen Bundesländern reisten trotz Intifada nach Jerusalem, um an der renommierten "International School for Holocaust Studies" in der Gedenkstätte Yad Vashem an einem zweiwöchigen Seminar teilzunehmen. Jährlich besuchen ca. 500 Lehrer aus der ganzen Welt das 1953 gegründete Internationale Institut, an dem in acht verschiedenen Sprachen abgehaltene Seminare stattfinden. Vorträge hochrangiger Wissenschafter über die Geschichte der ost- und westeuropäischen Juden in der Zeit vor, während und unmittelbar nach der nationalsozialistischen Diktatur, Begegnungen mit Zeitzeugen, Diskussionen über erzieherische Konzepte sowie gemeinsame Projekte sollen einen kreativen Lernprozess schaffen und den Lehrer/innen für ihre Arbeit spezifische Unterstützung bieten. Vor dem Zustandekommen dieses für alle Seiten sehr erfolgreichen Projektes galt es viele kleine und große Schwierigkeiten zu überwinden. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Martina Maschke, die trotz mancher widrigen Umstände sich nicht beirren ließ, wurde diese Idee – Multiplikatoren aus dem Bildungsbereich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu ermöglichen – verwirklicht.

Grundlage dafür bildete ein zwischenstaatliches Abkommen zwischen Österreich und Israel. Um die Bildung und Kulturzusammenarbeit zu systematisieren und eine Kontinuität in den Beziehungen zu schaffen, wurde 1996 in Wien als erstes zwischenstaatliches Arbeitsinstrument im Bildungs- und Kulturbereich ein "Memorandum of Understandling on Cultural and Educatinal Cooperation" unterzeichnet, das eine breite Palette von Aktivitäten vorsieht. Im November 1999 wurde in der Folge das zweite Memorandum beschlossen, dessen Wirkungsdauer bis 2002 reicht.

Auf dem Gebiet der Bildung sind dabei Kooperationen im Bereich der Berufsbildung, Erwachsenenbildung, Weiterbildung für Deutschlehrer/innen und Germanist/innen, Analyse der Darstellung der Geschichte des jeweiligen Landes in den Unterichtsmaterialien des anderen Landes sowie Seminare zum Thema "Holocaust in Education" vorgesehen. Aber auch der Schwerpunkt Naher Osten wird nicht vernachlässigt. Die Geschichte der Entstehung des Staates Israel hat einen zentralen Zusammenhang mit der europäischen Verfolgung und Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus in den Jahren 1933-1945.

Die Rolle, die Österreich für diese Zeit zu verantworten hat, ist, nach eigenen Angaben, die Quelle für sein besonderes Engagement gegenüber Israel. Aus dieser historischen Verantwortung heraus sind und bleiben auch der Nahost-Konflikt und die Situation in der palästinensischen Bevölkerung in der Region eine Angelegenheit Österreichs, im Bildungs- und Kulturbereich wurden seitens des Außenministeriums und des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in den vergangenen Jahren nennenswerte Aktivitäten in und mit Israel gesetzt (INW berichtete darüber): Mitbegründung des Austrian Center an der Hebrew Universität, Ausstellung "Land der Bibel" in Österreich, "Meisterwerke des Kunsthistorischen Museums Wien" in Jerusalem, Publikation "Das Dreieck im Sand – 50 Jahre Staat Israe". Förderungen im Bereich des Denkmalschutzes sowie ein Kooperationsvertrag der Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien und dem Beit Berl College.

Im Rahmen des Memorandum of Understanding wurde auch vereinbart, reziproke Lehrer/innenfortbildungsseminare jährlich wechselnd in Österreich und Israel abzuhalten. Thema ist das gegenseitige Kennenlernen von Land, Geschichte, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft.

Diese Projekte beweisen wie wichtig direkte und persönliche Auseinandersetzung vor Ort ist. Die 19 Lehrer erlebten die Teilnahme an dem Seminar in Yad Vashem als nachhaltige Bereicherung. Das mittelfristige Ziel dieser Seminarreihe ist die Förderung gegenseitigen Verstehens zwischen Österreichern und Israelis, die auf diesen Bildungsreisen zahlreiche zwischenmenschliche Kontakte knüpfen.

Die Anerkennung der Shoa als Teil der österreichischen Geschichte hat erst im Jahre 1986 eingesetzt, ausgelöst durch die Wahl Waldheims und dem darauffolgenden Bedenkjahr 1988. Noch immer schreckt man in Österreich davor zurück sich der Verantwortung zu stellen, meint einer der Teilnehmer. In einigen Schulen werden schon seit Jahren Zeitzeugen eingeladen und die Vernichtungslager besucht.

Jariv Lapid, der Koordinator für deutschsprachige Länder, betont die riesigen Unterschiede, die es zwischen den Lehrer-Studenten und den Dozenten von Yad Vashem in ihrer Beziehung zu der Shoa gibt.

quot;Während wir Juden mit dem Trauma beschäftigt sind, das wir erlebten und uns auf die Vergangenheit konzentrieren, befassen sich die Europäer viel stärker mit der Aktualität des Themas und den derzeitigen Ereignissen, Probleme des Rassismus, der Xenophobie sowie der Extremen Rechten in Europa stehen im Vordergrund." Neben den Lehrerseminaren werden unter anderen auch zahlreiche Projekte, die den Friedensprozess in der Region fördern, unterstützt.

Christian Zeileissen

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Center for Austrian Studies an der Hebräischen Universität in Jerusalem

Die offiziellen Beziehungen zwischen Israel und Österreich sind seit der Regierungsbildung im Vorjahr eher angespannt, nicht so die halboffiziellen und privaten. So prägten in den letzten Wochen unter anderem zwei herausragende Ereignisse das Verhältnis zueinander. Im Mai wurde nach vielen Mühen das Center for Austrian Studies an der Hebräischen Universität in Jerusalem seiner Bestimmung übergeben und im Juni wurde Frau Rudolfine Steindling von der Hebrew Universität in Wien geehrt. Das Zustandekommen dieser ist vor allem dem unermüdlichen Engagement von Ellen und Peter Landesmann zu danken, die sich seit vielen Jahren für die Hebrew Universität einsetzten.

Nach der Errichtung des Kardinal König Lehrstuhles gelang es anlässlich des 50-jährigen Bestehen des Staates Israel die Idee eines Austrian Centers zu realisieren. "Ein Traum ging in Erfüllung" meinte Ellen Landesmann bei der feierlichen Eröffnung. Aus Wien angereist kamen unter anderen Georg Winckler, Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz, der frühere Rektor, Alfred Ebenbauer, Raoul Kneucker, wissenschaftlicher Koordinator des Ministeriums für Wissenschaft sowie Klaus Liebscher, Nationalbank-Gouverneur, der auch als Obmann der Gesellschaft der Freunde des Austrian Center fungiert.

Eine Überraschung besondere Art bot der österreichische Botschafter in Israel Wolfgang Paul – er hielt seine Rede in einem ausgezeichneten Hebräisch, das vor allem die israelischen Exbotschafter Josef Govrin, Yoël Sher und Ben-Yaakov sehr genossen. Der Rektor der Hebrew Universität, Menachem Ben-Sasson, wies auf die Bedeutung der Förderung des gegenseitigen intellektuellen Austausch hin.

Geplant sind gemeinsame österreichisch/ israelische Projekte auf den Gebieten der Geschichte, Literatur, Forschung und Philosophie. Direktorin dieses Centers ist Hanni Mittelmann, der wissenschaftliche Leiter Robert Wistrich, ein ausgezeichneter Experte österreichischer Geschichte. Den Beweis dafür lieferte auch sein beeindruckendes Eröffnungsreferat: "Austrian Legacies – Jews and the Question of National Identity", in dem er treffend einen weiten Bogen bis zum Jahre 1938 spannte und auch genau und objektiv ohne parteipolitische Färbungen auf die Situation Österreich–Ungarn im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einging. Gemäß dem Motto der Reziprozität wurde der Mount Scopus-Preis, die höchste Auszeichnung der Hebrew Universität, an Rudolfine Steindling in Wien überreicht. Eine illustre Runde aus Israel, Deutschland und Wien versammelte sich im Hotel Hilton, um an dieser Ehrung teilzunehmen. Expremierminister Ehud Barak ließ es sich nicht nehmen auf Rudolfine Steindling, seiner und seiner Frau Nava engen und langjährige Freundin, die Laudatio zu halten. Er ging darin auf ihren verstorbenen Mann Adolf Steindling ein, der in der Resistance überlebte und heldenhaft für die Sache der Freiheit kämpfte. Rudolfine Steindling, kurz Fini genannt, hat diese höchste Auszeichnung der Hebrew Universität wohl verdient, weil sie schon seit Jahren, ihrer inneren Stimme folgend, großzügig Verständnis für verschiedene Belange der israelischen Gesellschaft findet. Ihr Einsatz für die Universität ist nur eines der vielen Engagements, die sie mit Israel verbindet. Auch Rektor Menachem Ben Sasson hob die großartigen Leistungen Steindlings hervor und betonte wie wichtig die geistige Entwicklung eines Landes ist, das sonst über keine anderen Ressourcen verfügt. Festredner Paul Spiegel, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinden in Deutschland, hielt ein hervorragendes Referat (INW bringt in der nächsten Ausgabe Ausschnitte davon) zum Thema "Strategien gegen den Antisemitismus in Deutschland".

J. N.

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Mort Zuckerman, neuer Chef der Präsidenkonferenz jüdischer Organsationen Amerikas

Mit erdrückender Stimmenmehrheit der Präsidenten der 54 jüdischen Organisationen Amerikas wurde der milliardenreiche Bauunternehmer, Zeitungsverleger und bisheriger Präsident der Amerikanisch-Israelischen Freundschaftsliga, Mortimer Zuckerman, zum neuen Präsidenten ihres Dachverbandes, der Präsidentenkonferenz jüdischer Großorganisationen, gewählt. In dieser Funktion löste er den bekannten Kosmetikmagnaten und Präsidenten des Jüdischen Nationalfonds in den USA, Ronald Lauder, ab und wurde zur mächtigsten Person im organisierten Judentum Amerikas, zum Gesprächspartner des Weißen Hauses und des Kongresses in allen jüdischen Belangen.

Auch Kritiker seiner Wahl, darunter der Führer des Reformjudentums Rabbi Eric Yoffie, bestritten seine Qualifikationen nicht: er ist ein artikulierter Journalist und Sprecher, längst gewohnt mit führenden Persönlichkeiten der Erde zu sprechen und ein Mann mit hervorragenden Kenntnissen in allen Belangen internationaler Politik, insbesondere aber in allen jüdischen und nahöstlichen Belangen. Als Besitzer der New Yorker Tageszeitung Daily News und des Wochenmagazins U.S.News & World Report nimmt er in regelmäßig erscheinenden Leitartikeln zu aktuellen Geschehnissen unserer Zeit, insbesondere zu Geschehnissen in und rund um Israel, Stellung.

Was für die große Mehrheit seiner Kollegen in der Konferenz als hervorragender Pluspunkt gilt, beanstandeten Rabbi Yoffie und einige seiner politischer Freunde, denn dies versetzt Zuckerman in die Lage politische Kommentare zu publizieren, die nicht zuvor mit seinen Kollegen in der Präsidentenkonferenz verabredet und als Konsensus der Konferenz abgesegnet wurden.

Zuckerman, der gebürtige Kanadier, Harvard-Alumni und später einer der Mächtigen an der Spitze der Boston Propereties Company, eines Riesen im Realitätengeschäft, wird sich auch als Vorsitzender der Präsidentenkonferenz von niemandem vorschreiben lassen, was er als Berufsjournalist schreiben und publizieren darf, ohne allerdings vorzutäuschen, dass jeder seiner Kommentare voll und ganz die Ansichten des jüdischen Führungsgremiums wiedergibt. Ein anderer Einwand gegen Zuckermans Wahl war zuvor seine nichtjüdische Ehegattin Marla Prather, aber da die Eheleute mittlerweile getrennt sind, fiel das Thema seiner Privatsphäre weg.

Auf der jüdischen Linken war es vor zwei Jahren kein Geheimnis, dass Mort Zuckerman wesentlich zur Wahl Ronald Lauders und zur Überwindung der Opposition von links gegen Lauders Wahl beigetragen hat. Ebensowenig ist es jetzt ein Geheimnis, dass Lauder sich nun durch seinen Einsatz zu Gunsten Zuckermans revanchiert hatte. Beide Männer sind konservative Zionisten mit einer klaren Preferenz für Israels Likud und einer offenen Tür zum Oval Office im Weißen Hause. Ihr erster gemeinsamer Besuch Israels in der ersten Juni- Hälfte machte Schlagzeilen auf beiden Seiten des Ozeans.

Ben Zakan

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Ehrungen und Auszeichnungen

Als Anerkennung für ihre Bemühungen am Zustandekommen des zwischen den USA und Österreich aktuell geschnürten Restitutionspakets wurden Anfang dieses Monats in den Räumlichkeiten des Schömer-Hauses, in das die Familie Essl geladen hatte, eine Reihe von Personen geehrt und mit Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet. Allen voran, Sonderbotschafter für Restitutionsfragen Dr. Ernst Sucharipa und sein Team sowie Moshe Jahoda als Vertreter der Claims-Konferenz in Österreich. Die Generalsekretärin des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, Mag. Hannah M. Lessing, erhielt das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. Hat das Büro des Sonderbeauftragten Sucharipa seine Aufgabe bereits erfolgreich abgeschlossen, so ist die Arbeit des Nationalfonds, der mit der Durchführung und Abwicklung der aufgrund des Abkommens mit den USA beschlossenen Gesetzen betraut wurde, voll im Gange. Aus aktuellem Anlass hat Frau Mag. Lessing ihre erste Dienstreise in die USA angetreten, um im überfüllten 92Y-Theater in New York knapp tausend ältere Menschen, die verfolgungsbedingt Österreich verlassen mussten, über die brandaktuellen Restitutionsgesetze zu informieren, ihre verschiedenen Fragen zu beantworten und ihnen persönliche Hilfestellung zu bieten. Besonders berührt war Lessing vom Wohlwollen vieler Ex-Österreicher, die späte materielle Entschädigung Österreichs in den bis dato unberücksichtigt gebliebenen Bereichen annehmen zu wollen und deren wärmste Worte über die bisherige Tätigkeit des Nationalfonds.


Ein ungewöhnliches Colloquium zum Thema "Identität und Geschichte – History and Identity" als Auftakt der Wiener Gespräche zu Religion und Moderne fand am 23. Juni im Hotel Erzherzog Rainer im Wien statt. Es wurde organisiert von der Hermann-Cohen-Akademie für Religion, Wissenschaft und Kunst in Buchen (Odenwald) und Wien und ihrer Direktorin, der Rabbinerin und Professorin für Jüdische Studien, Eveline Goodman-Thau. Gastredner des Colloquiums waren die beiden New Yorker Professoren Richard J. Bernstein und Carol Bernstein, zur Zeit am Wissenschaftscolleg in Berlin. Anhand von Texten von S. J. Agnon und Hannah Arendt wurden die Fragen der jüdischen Identität, Kontinuität und Diskontinuität diskutiert.


Marianne Enigl, profil-Redakteurin,wurden mit den von Willy und Helga Verkauf-Verlon gestifteten Preis für Österreichische Antifaschistische Publizistik ausgezeichnet. Enigl zählt seit Jahren zu jenen österreichischen Medienschaffenden, die sich am asuführlichsten umit den Vorgngen in der NS-Zeit beschäftigen. Ihre Recherchen sind durch enorm Akribie gekennzeichnet, ihre Berichte spiegeln große Sensibilität und echtes engagement wider. Restitution und Wiedergutmachung zählten in jüngere Vergangenheit zu ihren Themen, wobei ihr ecxzellente interntionale Kontakte behilflich sind. Standard-Kolumnist Hans Rauscher wurde der Concordia-Preis für Pressefreiheit verliehen. Jurxymitglied Herbert Krejci würdigte Rauscher als Menschen, der durch seine "journalistische Grundeinstellung" für die "Entsumperung Österreichs" kämpfe. Der ungarische Schriftsteller und Soziologe György Konrád wurde mit dem internationalen Karlspreisder Stadt Aachen ausgezeichnet.

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Nachruf

Der Gründer und langjährige wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Univ.-Doz. Dr. Herbert Steiner, ist am 26. Mai 2001 nach langer schwerer Krankheit im 79. Lebensjahr gestorben.

Er betätigte sich schon als Mittelschüler in Wien im antifaschistischen Widerstand und musste 1938 aus Österreich flüchten. Seine Eltern fielen dem Holocaust zum Opfer. Im britischen Exil war Herbert Steiner in der Jugendorganisation Young Austria tätig und konnte viele Kontakte im politischen und kulturellen Leben, unter anderen zu Erich Fried und Elias Canetti, knüpfen.

Nach seiner Rückkehr nach Österreich wirkte Herbert Steiner als Sekretär der Freien Österreichischen Jugend und half im Aufbau des Österreichischen Jugendherbergswerks. Sein besonderes Interesse galt aber schon damals der Geschichte, insbesondere dem antifaschistischen Widerstand, der Revolution 1848 sowie der Frühgeschichte der Arbeiterbewegung. Er verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten dazu, von denen einige Standardwerke geworden sind. Anfang der 60-er Jahre bemühte er sich, zuerst im Rahmen des KZ-Verbandes, um die Gründung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, das 1963 als eine überparteiliche Einrichtung ins Leben gerufen wurde. Ehrenamtliche MitarbeiterInnen aus den Reihen der WiderstandskämpferInnen, KZ-Häftlinge und Verfolgte unterstützten ihn dabei; später kamen auch jüngere WissenschafterInnen hinzu. "Der Aufbau des Dokumentationsarchiv war Herbert Steiners Lebenswerk", stellte Steiners Nachfolger als wissenschaftlicher Leiter des DÖW, Wolfgang Neugebauer, fest.

Sein besonderes Bemühen galt der Begegnung von WissenschafterInnen aus Ost und West, auch zur Zeit des Kalten Krieges. Herbert Steiner hat sich seit seiner Exilzeit für die Herausgabe der Werke des 1939 im KZ Buchenwald ermordeten Jura Soyfer engagiert und war maßgeblich an der Gründung der Jura Soyfer-Gesellschaft beteiligt. 1982 habilitierte er sich an der Universität Wien und hielt viel besuchte Lehrveranstaltungen ab.

Anlässlich der Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien im Zusammenhang mit seinem 70. Geburtstag verteidigte ihn der damalige Bürgermeister Dr. Helmut Zilk gegen Attacken der FPÖ und erklärte:

Man kann – gerade, in Zeiten wie diesen – nicht oft genug betonen, was du so engagiert und kompetent für die Bewältigung und Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Wiens und Österreichs geleistet hast. Deiner verdienstvollen Tätigkeit ist zu danken, dass vieles unvergessen bleibt und nicht – wie manche es so gerne hätten – aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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