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Männertränen in Jerusalem

Kulturelle Front gegen den Terrorismus

Har Hamenuhot" – der „Berg der Ruhe" an der westlichen Einfahrt von Jerusalem, ist wohl einer der traurigsten Orte der Heiligen Stadt. Nur wenige Bäume spenden Schatten zwischen den tausenden Gräbern des städtischen Friedhofs, durch den täglich die Beerdigungsprozessionen ziehen. Gräber türmen sich hier übereinander auf mehreren Etagen, es gibt zu wenig Platz für all die Toten. Auf dem Berg spielten sich vor wenigen Jahren immer wieder tragische Szenen ab: Während der Zweiten Intifada wurden hier mehr als 200 Opfer palästinensischer Selbstmordattentate begraben, ganze Familien zusammen beigesetzt, nachdem sie Anschlägen zum Opfer fielen. Doch für die mehr als 1000 Besucher, die hergekommen waren, um den vier Opfern des Anschlags auf die jüdische Schule in Toulouse die letzte Ehre zu erweisen, der tragischste Moment in der Geschichte des Trauerhügels.

Familien, Rabbiner, Polizisten schluchzten mit tränenden Augen, selbst erfahrenen Politikern versagte bei ihren Grabesreden die Stimme. „Ich arbeite hier seit zwanzig Jahren", sagte der Totengräber Michael Gutwein der israelischen Nachrichtenseite Ynet. „Wenn es um ermordete Kinder geht, kann ich nie aufhören zu weinen. Aber diesmal ist es besonders schlimm: Sie wurden nur umgebracht, weil sie jüdische Kinder sind."

Die vier Leichen – Rabbiner Jonathan Sandler (30), seine zwei Söhne Arieh (6) und Gavriel (3) und Miriam Monsonego (8) waren in den Morgenstunden in Tel Aviv in Begleitung des französischen Außenministers Alain Juppe und einer Delegation von Vertretern der jüdischen Gemeinde Frankreichs mit dem El Al Flug LY 326 aus Paris eingetroffen. Danni Ayalon empfing die Trauergäste, und stand wie ganz Israel noch immer unter Schock. „Es ist unfassbar, drei so kleine Särge zu sehen. Sie mussten eigens angefertigt werden, weil sie so kleine Särge nicht parat hatten", sagte der hörbar erschütterte Ayalon im Radio. Dabei wäre es fast zum Eklat gekommen: Anfangs weigerten sich die Behörden, die Überführung und die Bestattung von Jonathans Leiche zu finanzieren, weil er im Gegensatz zu seinen Söhnen und seiner schwangeren Witwe kein israelischer Staatsbürger ist. Doch ein öffentlicher Aufschrei kippte diese Entscheidung innerhalb von Stunden: Längst gelten die Opfer des Attentats in Frankreich als israelische Nationalhelden.

Es war ein bezeichnender Augenblick, der Israels Interpretation des Attentats spiegelt: Um zehn Uhr morgens, als auf dem Berg der Ruhe in Jerusalem drei kleine, von Gebetsschals bedeckte Kinderleichen auf Liegen aufgebahrt wurden und sie kaum zur Hälfte füllten, testete die Stadt Tel Aviv ihre Luftschutzsirenen. Der Anschlag in Frankreich wird hier als Teil einer globalen Hetz-Kampagne wahrgenommen, gegen Juden und Israel zugleich: „Wir stehen vor winzigen Gräbern", sagte Knessetsprecher Reuben Rivling, und reihte den Anschlag in Toulouse in eine Kette von Attentaten ein. In Bombay, wo 2008 ein jüdisches Gemeindezentrum angegriffen wurde, in Sderot, das regelmäßig von palästinensischen Terrororganisationen mit Raketen beschossen wird, in der Siedlung Itamar, eine Siedlung, in der Palästinenser 2011 eine Familie in ihren Betten tötete, und in Buenos Aires, wo 1994 ein Attentat auf ein jüdisches Gemeindezentrum 85 Menschen tötete, und diesmal in Toulouse, stehe man vor Feinden und Mördern, die das Blut unserer Kinder ohne Reue vergießen, sagte Rivlin mit stockender Stimme.

Trauer ist das dominierende Gefühl in Israel, von Rache sprach man nur im theologischen Sinn. Der häufigste Abschlusssatz der Redner: „Möge Gott das Blut der Kinder rächen", gehört traditionell zum Begräbnis eines ermordeten jüdischen Kindes, egal welcher Religion der Täter angehört. Doch das Attentat in Toulouse bestärkt viele Israelis darin, dass die Feindschaft zu ihrem Staat nichts mit dessen Außenpolitik zu tun hat. „In jeder Generation von Juden gibt es Menschen, die nur ein einziges Ziel verfolgen, uns auszulöschen", sagte Oberrabbiner Schlomo Amar bei der Beerdigung. „Es wird uns nicht helfen, uns zu assimilieren, Esau hasste Jakob schon immer", sagte Amar. Knessetsprecher Rivlin spiegelte das Gefühl der Belagerung noch deutlicher wider: „Die Mörder unterscheiden nicht zwischen Siedler und Friedensaktivist", sagte Rivlin: „Dieser Hass hat keine Begründung, es gibt keine Rechtfertigung für solche Verbrechen, sie sind das pure Böse." Staatspräsident Shimon Peres verknüpfte das Attentat in Toulouse mit der aktuellen Angriffsgefahr aus dem Iran, auf die Tel Aviv sich mit der Luftschutzübung einstellte. Nach dem Attentat in Toulouse gelte es, weiteres Blutvergießen zu verhindern, und Kinder zu schützen, egal ob jüdisch, christlich, oder muslimisch, sagte Peres bei einem Empfang für Frankreichs Außenminister Alain Juppe.

Juppe war eigens angereist, um das Mitgefühl der französischen Regierung zu übermitteln. „Ich bin hergekommen um unsere Solidarität mit dem gesamten israelischen Volk zum Ausdruck zu bringen", sagte Juppe. „Euer Schmerz ist unser Schmerz." Die heftigen Verurteilungen in Paris wurden in Israel mit großer Genugtuung aufgenommen. „Ihr Besuch ist Ausdruck der besonders tiefen Beziehungen zwischen unseren Staaten", sagte Peres. „Er zeigt, dass wir eine kulturelle Front bilden." Jetzt gelte es gemeinsam den Terror zu konfrontieren, der für uns alle die größte Gefahr darstellt, so Peres

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