März / April 2011

Pesach sameach vekascher!

Die besten Grüße und Wünsche für ein frohes und koscheres Pesach

Aus dem Inhalt der aktuellen Ausgabe

Ölbild von Soshana Afroyim
Soshana Afroyim: Feuer III, 1954
Die Künstlerin wurde 1927 in Wien geboren
und musste 1938 mit ihrer Familie Österreich
verlassen.
in der Kunst fand sie eine neue Heimat.

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Verhängnisvoller Tunnelblick

Kommentar von David Landtmann

Frauen sagen Männern immer wieder nach, sie hätten einen Tunnelblick – gerade noch in der Lage, ein Ding im Zentrum ihres Blickfeldes wahrzunehmen, alles andere aber wird ausgeblendet. Unter diesem Tunnelblick leiden offenbar auch die Medien. Die Aufstände in der arabischen Welt füllten die Titelseiten der internationalen Tageszeitungen, und als es dann noch gegen Gaddafi  ging, kannten die Kommentatoren überhaupt nur noch ein Thema. Dann kam das Beben und der verheerende Reaktorunfall. Wieder gab es nur noch ein Thema. Praktisch ohne Kenntnisnahme durch die Weltöffentlichkeit konnte Gaddafi seine Bürgerkriegsgegner zurückdrängen. Kaum aber waren die Uranstäbe um ein paar Grad abgekühlt, wandte sich der Tunnelblick wieder der libyschen Wüste zu, über der mittlerweile französische Kampfjets ihr Reality-Training absolvierten.

Den Tunnelblick gab es freilich schon zuvor in der Politik. Diktatoren bewahren ihre Position über 40 Jahre üblicherweise nicht durch gutes Zureden. Massakriert wurden Andersdenkende in Libyen (und nicht nur dort) immer schon, und wenn es um Menschenrechte geht, hätte man vor einem, zwei, drei… Jahren eingreifen können. Im Kampf um Freiheit und Bürgerrechte fiele einem neutralen „Weltpolizisten" die Wahl schwer. Ist Russland eine Demokratie oder werden dort nicht vor den Augen (und – mit Billigung?) der politischen Führung Oppositionelle gefoltert und Journalisten ermordet? Wie sieht das in China aus – eine Demokratie?

Und wer trat da gegen Gaddafi an? Auch hier steht zu befürchten, dass die Politiker, die den Befehl zum Angriff auf des Diktators Armee gaben, eine sehr fokussierte Sicht der Dinge pflegten. Bürgerrechtsaktivisten? Al Kaida, wie es Gaddafi zuvor über das Staatsfernsehen verkündet hatte? Gaddafi war 40 Jahre lang ein Diktator, ein brutaler Unterdrücker von Menschenrechten, ein gewissenloser Ausbeuter seiner Landsleute, der auf Schweizer (und übrigens auch österreichischen) Konten jene Milliarden hortete, die er seiner Heimat geraubt hatte, und wahrscheinlich ein Förderer des Terrorismus. Seine Gegner zu unterstützen, ist verständlich. Doch nicht immer haben die USA, die sich ja ebenfalls an der Militäraktion beteiligten, eine treffsichere Hand bei der Auswahl ihrer Protegés bewiesen. Saddam Hussein wurde in seinen Anfängen ebenso durch die USA unterstützt wie der afghanische Widerstand gegen die russischen Invasoren. In einem Fall ging es gegen schiitische Fundamentalisten, im anderen gegen den Erzfeind. Beide Male mussten die USA zur Kenntnis nehmen, dass sie aufs falsche Pferd gesetzt hatten – wobei die Frage offen bleibt, ob es dort überhaupt ein „richtiges" gab. Es ist wieder der verhängnisvolle Tunnelblick – die Konzentration auf ein Ziel, ohne auf die Begleitumstände zu schauen. Die Methode ist in den Wirtschaftswissenschaften wohl bekannt, sie heißt dort „ceteris paribus" und liefert auch dort nicht immer brauchbare Ergebnisse.

Immerhin, theoretisch denkbar ist es ja, dass, wenn schon nicht al Kaida, so doch  irgend eine fundamentalistisch-islamische Ideologie hinter dem Aufstand steckt, sind Diktatoren doch praktisch naturgegebene Gegner fundamentalistisch-religiöser Strömungen. Ein Diktator will herrschen und sich nicht durch religiöse Führer drein pfuschen lassen. Um dieses Problem zu lösen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man macht sich selbst zur religiösen Autorität. Historisch praktizierte das der englische König Heinrich VIII., dem sein Sexualleben irgendwie entglitt und der sich da von der katholischen Kirche, die zum Widerstand gegen den heiratssüchtigen Despoten aufrief,  nicht behindern  lassen wollte. Beispiele aus der Gegenwart liefert das saudische Königshaus. Oder man bekämpft oder gängelt die religiösen Autoritäten. Diese Methode wählten der ägyptische Präsident ebenso wie der libysche Oberst. Kommt es zum Aufstand gegen den Diktator, ist davon auszugehen, dass religiöse Fundamentalisten, wenn schon nicht führend, so doch immerhin maßgeblich daran beteiligt sind. Wo sollte denn eine Opposition eine gefestigte Struktur her haben – oder, besser gefragt: wer ist überhaupt diese Opposition – und wer ist in ihr am besten organisiert? 

Diktaturen zu beseitigen bedarf es große Anstrengungen und zahlreicher Opfer. Doch mit der Beseitigung der Despoten  ist es nicht getan. Die schwierigere Aufgabe ist es, für die Zeit danach eine tragfähige, demokratische, friedliche Ordnung herzustellen. Sich nur auf den ersten Teil dieser Aufgabe zu konzentrieren und einfach wegzuschauen, wenn es um die Frage geht, was „danach" kommt und vor allem, wer die Friedensordnung tragen soll, kann sich als verhängnisvoller Tunnelblick erweisen.

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Der israelisch-palästinensische Konflikt ist neu zu bewerten

Eine Analyse von Gil Yaron

Der israelisch-palästinensische Konflikt wurde viel zu lang als Schlüssel zu Frieden in Nahost betrachtet. Die Revolutionen und die Unruhen in der gesamten arabischen Welt beweisen, dass die Probleme dieser Region viel tiefer liegen.

Als Israelkorrespondent bittet man mich oft um meine Meinung zu „dem Nahostkonflikt", und meint damit die 130 Jahre alte Auseinandersetzung zwischen Zionisten und Arabern im Heiligen Land. Diese Frage beantworte ich meist mit einer Gegenfrage: „Welchen Nahostkonflikt meinen Sie?" Natürlich streite ich nicht ab, dass es in dieser Region Konflikt gibt, im Gegenteil. Aber diejenigen, die seit 40 Jahren nur von „dem Nahostkonflikt" sprechen, machen sich das Leben zu leicht. Diese Region wird nicht bloß von einer zentralen Auseinandersetzung erschüttert. Im Nahen Osten finden seit Jahrhunderten zig Konflikte statt, und alle bedürfen einer Lösung.

Angesichts der Unruhen in Arabien stellt sich deswegen die Frage: Weshalb erkor die internationale Diplomatie und Presse ausgerechnet den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Urkonflikt, von dessen Lösung angeblich Friede und Wohlstand der gesamten Region abhängt? Um Kritikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Der israelisch-palästinensische Konflikt bedarf dringend einer Lösung. Palästinensern in Gaza und dem Westjordanland und Millionen palästinensischen Flüchtlingen in der arabischen Welt steht ein ehrenvolles, sicheres Leben zu. Sie verdienen, wie jeder Mensch, ein Leben ohne Flüchtlingslager, gezielten Tötungen oder Ausgangs- und Straßensperren, und mit Bewegungs- und Redefreiheit und politischer Unabhängigkeit. Den Israelis gebührt ein eigener Staat mit sicheren Grenzen und ein Alltag frei von Angst vor Krieg und Terror. Aber warum ist das, im Gegensatz zu den meisten der zig Konflikte, die zu jedem gegebenen Zeitpunkt auf der ganzen Welt stattfinden, das Problem der ganzen Welt? Seit Jahren erhält ausgerechnet dieser Konflikt große Aufmerksamkeit, ohne jeden Bezug zu objektiven Kriterien. Israel und Palästina haben eine Gesamtbevölkerung kleiner als die Stadt Alexandria, und ringen um ein Gebiet von der Größe Hessens. In 130 Jahren Konflikt fielen in allen Kriegen und Attentaten im Heiligen Land insgesamt etwa 160.000 Menschen. Jeder Tote ist zu viel – trotzdem ist das nur ein Bruchteil der Opferzahlen anderer Konflikte, wie etwa dem Bürgerkrieg in Kongo, der allein in den vergangenen 20 Jahren rund 4,5 Millionen Opfer forderte.

Die Palästinenser sind nicht das ärmste Volk der Welt. Im Jahr 2008 lag ihr BSP pro Kopf höher als in Jemen, trotzdem gehören sie weltweit zu Spitzenempfängern von Entwicklungshilfe, mit dürftigen Ergebnissen. Vergangenes Jahr verwüstete ein Erdbeben Haiti, tötete mindestens 100.000 der 9,7 Millionen Einwohner und machte Hunderttausende obdachlos. Die Welt griff der Insel mit rund US$ 1 Mrd. unter die Arme. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) kümmert sich um rund 3,5 Millionen Menschen, und erhielt im selben Jahr US$ 1,2 Mrd. – pro Kopf also mehr als doppelt so viel, obschon man die Notlage der Palästinenser wohl kaum mit der Katastrophe in Haiti vergleichen kann.
Spätestens die Ereignisse der letzten zwei Monate haben gezeigt, dass diese Palästinascheuklappen die Welt blendeten. Sie ignorierte die tiefer greifenden, umfassenden Probleme dieser Region. Zig deutsche Parlamentarier besuchen jedes Jahr Israel, kaum jemand Kongo oder Jemen. Es ist leichter und medienwirksamer, sich in Israel für die Freiheit von 3,5 Millionen Palästinensern einzusetzen, als die Unterdrückung von 315 Millionen Arabern in 22 undemokratischen Staaten anzuprangern. Es löst zu Recht Unmut aus, dass 1,5 Million Palästinenser in Gaza eingesperrt sind. Wenn das jedoch davon abhält, die Gleichberechtigung von 150 Millionen arabischen Frauen einzufordern, die an den Herd gekettet werden, ist das fehlgeleitete Diplomatie.

Der Aufruhr in Arabien ist ein Weckruf. Die Welt muss ihre Prioritäten überdenken: Freiheit gebührt eben halt auch, aber nicht nur den Palästinensern. Europa darf nicht erneut Diktatoren auf den Leim gehen, die mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt von Missständen daheim ablenken wollen. Das bedeutet nicht, dass man künftig die israelische Besatzung tolerieren muss. Trotzdem braucht Europas Außen- und Friedenspolitik neue Schwerpunkte mit richtigen Proportionen. 

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Im Brennpunkt

Der Nachrichtensender Al Jazeera

Der umstrittene Nachrichtensender Al Jazeera hat nicht nur die Berichterstattung im arabischen Raum revolutioniert. Die Revolte in Tunesien, die Proteste in Ägypten und die zunehmende Unruhe in anderen arabischen Staaten wären ohne Al Jazeera kaum möglich gewesen. Portrait eines der wichtigsten Akteure in Nahost.

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Außenseitern ist Al Jazeera nur als Nachrichtensender aus Katar bekannt. Doch der Satellitensender, Eigentum des reichen Emirs Hamad Bin Khalifa al Thani, gilt im Nahen Osten als „dreiundzwanzigster Staat der Arabischen Liga". Der Nahostexperte Dan Schueftan von der Universität Haifa geht einen Schritt weiter: „Niemand hat so viel Gewicht wie Al Jazeera. Der Sender genießt inzwischen mehr Einfluss als jeder andere Staat der Region." Von Marokko bis zur Ostspitze der arabischen Halbinsel sind die Straßen leergefegt, wenn Al Jazeera eine Sondersendung ankündigt. Gebannt sitzen die Menschen vor ihren Fernsehern, wenn Sendungen wie „Bil al Hudud" (Ohne Grenzen) mit Tabus aufräumen und die Mächtigen der arabischen Welt an den Pranger stellen. Gnadenlos hart, pompös aufgemacht und umstritten – mit diesem Rezept zieht Al Jazeera täglich rund 50 Millionen Zuschauer in seinen Bann, mehr als jedes andere Kommunikationsmittel in Arabien. So finden Ideen, die Al Jazeera verbreitet, schnell ihren Weg in jeden Haushalt.

Schon der Auftakt war alles andere als bescheiden. Der Emir von Katar stiftete 1996 rund US$ 140 Mio, um Al Jazeera als ein arabisches Pendant zum Nachrichtensender CNN zu gründen. Seither sorgt er dafür, dass das Medienimperium nicht in Roten Zahlen versinkt. Der erste Durchbruch kam mit dem Krieg, in Afghanistan: Al Jazeera berichtete als einziger Sender live vor Ort. Auch während des Gazakriegs 2009 war der Korrespondent als einziger von Anfang bis Ende am Kriegsschauplatz. Al Jazeera brach von Anfang an die Tabus, die bis dahin die Medien der arabischen Welt eingeschränkt hatten. Bis Al Jazeera kam konnten Bürger arabischer Länder nur zensierte staatliche Sender sehen. Diese schränkten die Themenfelder stark ein, Kritik an der Staatsführung oder Berichte über Proteste waren Tabu. „Noch in den neunziger Jahren konnten Dinge passieren, ohne dass irgendjemand je etwas über sie erfuhr", sagt Rascha Abdullah, von der Abteilung für Kommunikation an der Amerikanischen Universität in Kairo.

Da Al Jazeera per Satellit übertragen wird, können die Herrscher den Empfang nicht verhindern. Der Sender wurde durch keine Zensur behindert und revolutionierte die Berichterstattung in der arabischen Welt. Talk Shows ließen Anrufe live zu, in denen Menschen frei ihre Meinung sagen konnten. Themen wie außerehelicher Sex oder weibliche Beschneidung wurden erstmals diskutiert. „AI Jazeera ist offen für konträre Meinungen", sagt Schueftan. Selbst Israels Armeesprecher wird hier zu Sendungen eingeladen. Der furchtlose Sender ist bei den totalitären Regimen unbeliebt. Hier kommen ihre Feinde zu Wort, werden Missstände gnadenlos aufgedeckt. Im Dezember wurden die Büros Al Jazeeras in Kuwait geschlossen, nachdem er über Polizeigewalt berichtete. Aber Kuwait ist nicht allein: auch Marokko, Algerien, Palästina, Irak und Bahrain haben die Büros von Al Jazeera zumindest kurzfristig geschlossen. In Tunesien war der Sender gar verboten, was ihn nicht daran hinderte, als erster intensiv über die Unruhen im Land zu berichten. Als erster arabischer Sender stützte er sich dabei auf Filme, die mit Handys gemacht wurden. Viele Bürger in Tunesien hätten von den Protesten ohne Al Jazeera nie etwas erfahren. Jetzt trägt der Sender die Nachrichten über die Proteste in die gesamte arabische Welt, und löst damit andernorts neue Unruhen aus. „In keinem arabischen Staat gibt es offene politische Debatten, keine Meinungsfreiheit. Deswegen glauben die Menschen Al Jazeera mehr als ihren eigenen Regierungen. Sie waren die ersten, die dem Volk eine Stimme verliehen", sagt Sam Bahour, ein Analyst aus Ramallah.

Doch AI Jazeera ist umstritten, denn der furchtlose Berichterstatter der Korruption und Unterdrückung der Mächtigen ist auch ein heißer Befürworter der radikalen islamistischen Kräfte. „Der Sender ist so beliebt, weil er nicht nur berichtet, sondern gleichzeitig die Stimmung der Bevölkerung wiedergibt", sagt Schueftan. Und diese Meinung radikalisiert sich zusehends. Sie richtet sich vehement nicht nur gegen die Machthaber der Region, sondern vor allem gegen den Westen und Israel. Täglich überträgt Al Jazeera Predigten radikaler Scheichs. Er war der erste, der Osama Bin Ladens Videobänder ausstrahlte. Als überführte Terroristen in einem Gefangenenaustausch mit Israel freikamen, pries Al Jazeera sie als Freiheitskämpfer. In einer Dokumentation über Dalal Mughrabi, einer Palästinenserin, die an einem Attentat teilnahm bei dem 36 israelische Zivilisten getötet wurden, verherrlichte Al Jazeera die Terroristin als Beispiel für „Heldentum das die Grenzen der Geschlechtertrennung" überwindet. Unverhohlen preist der Sender die Kämpfer der Hisbollah und Hamas, während er pragmatische Palästinenser, die mit Israel verhandeln, als Verräter brandmarkt.

Das Medienimperium Al Jazeera mit seinen acht Sportkanälen, und Stationen auf Englisch, Arabisch und einem Kanal für Liveübertragungen, ist deswegen für viele Pragmatiker in der Region ein zweischneidiges Schwert: Vorkämpfer der Meinungsfreiheit, und eines militanten Islamismus. Ben Daniel

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Die Bankiers des iranischen Regimes

Eine Analyse von Stephan Grigat

Die Europäisch-Iranische Handelsbank in Hamburg ist zur Schaltstelle für Iran-Geschäfte geworden. Deutschland weigert sich bisher, trotz internationaler Kritik, gegen die Bank vorzugehen. In Österreich empfiehlt man sie zur Finanzierung von Iran-Geschäften.

Barack Obama hatte sich ziemlich ins Zeug gelegt: Im August letzten Jahres rief er laut einem Bericht der „New York Times" eigens bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an und forderte sie auf, gegen die Europäisch-Iranische Handelsbank mit Sitz in Hamburg vorzugehen. Das präsidiale Bemühen blieb allerdings folgenlos, woraufhin die USA die EIH auf die Sanktionsliste ihres Finanzministeriums setzten. Stuart Levey, der Terrorismusexperte des US-Finanzministeriums, führte als Begründung für diesen von der Bundesregierung als Affront wahrgenommenen Schritt an, die EIH sei "eine der wichtigsten finanziellen Lebensadern des Iran".

Das ist alles andere als übertrieben. Seit Beginn der 1990er Jahre spielt die Bank nicht nur eine zentrale Rolle für den deutschen Iran-Export, sondern für das gesamteuropäische Iran-Business. Je mehr Sanktionen gegen den Iran verabschiedet werden, desto größer wird die Bedeutung der EIH. Nicht nur für den deutschen Iran-Handel: Auch auf Seminaren der Österreichischen Wirtschaftskammer, die seit Jahren den Ausbau der Handelsbeziehungen mit dem Iran nicht nur fordert, sondern massiv fördert, wird Firmen nahe gelegt, ihren mittlerweile deutlich erschwerten Zahlungsverkehr mit dem Iran über die Hamburger Bank abzuwickeln. Geschäftsvolumen, Jahresüberschuss und Gewinn der EIH sind seit 2005 mit Steigerungen zwischen 100 und 200 Prozent geradezu explodiert. 2009 betrug das Geschäftsvolumen 3,6 Milliarden Euro; für 2010 und 2011 wird ein weiteres Wachstum erwartet.

Die Bank befindet sich im Besitz der iranischen Diktatur. Ihr Aufsichtsrat besteht aus hohen Funktionären des Regimes, von denen sich einige namentlich auf den Sanktionslisten der EU finden. Ihr Grundkapital ist nach Recherchen des Hamburger Politikwissenschaftlers Matthias Küntzel auf vier staatliche iranische Banken aufgeteilt, darunter mit den Banken Mellat und Refah zwei, die sich seit Mitte 2010 nicht nur auf den US-, sondern auch den EU-Sanktionslisten finden. Das US-Finanzministerium kritisiert die Untätigkeit der deutschen Regierung gegenüber der Hamburger Bank nicht nur wegen der Ermöglichung des weiterhin legalen Handels mit dem Iran durch die EIH, sondern bringt schwerwiegendere Vorwürfe aufs Tapet: Laut US-Behörden war die EIH seit 2007 aktiv und unmittelbar an der Finanzierung des iranischen Nuklear- und Raketenprogramms beteiligt. Die Bank Mellat soll in den vergangenen Jahren Transaktionen im dreistelligen Millionenbereich für iranische Nuklear- und Rüstungsprojekte ermöglicht haben und ist nicht nur ein Geschäftspartner, sondern ein Teilhaber der EIH. Umso unverständlicher ist es, dass die EU und Deutschland zwar die Bank Mellat, nicht aber die EIH sanktionieren.

Mittlerweile hat die Hamburger Bank globale Bedeutung erlangt. Schon lange wird gemutmaßt, dass mit China, Japan und Südkorea drei der vier wichtigsten Abnehmer von iranischem Öl angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten, Iran-Geschäfte in US-Dollar abzuwickeln, auf Finanzdienstleistungen der EIH zurückgreifen. Hinsichtlich des drittgrößten Importeurs von iranischem Rohöl sind diese Mutmaßungen in den letzten Wochen zur Gewissheit geworden: In Zukunft sollen die Milliardenimporte indischer Konzerne aus dem Iran über die EIH abgewickelt werden. Nach Angaben des „Wall Street Journals" hat die indische Zentralbank ein Konto bei der EIH eröffnet und im Januar sollen bereits die ersten Zahlungsabwicklungen über die Bühne gegangen sein.

Mittlerweile geraten die Bankiers des iranischen Regimes und die Untätigkeit der deutschen Regierung immer mehr in die Kritik. Israelische Stellen haben mehrfach und nachdrücklich eine Schließung der EIH durch die deutschen Behörden gefordert – bisher ohne jedes Ergebnis, was wieder einmal zeigt, was die rhetorisch viel beschworene „besondere Verantwortung Deutschlands für Israel„ wert ist. Anfang Februar hat sich eine überparteiliche Initiative von republikanischen und demokratischen US-Senatoren in einem Brief an Außenminister Westerwelle gerichtet, der an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lässt, die Hamburger Bank für die Unterminierung der bestehenden Sanktionen verantwortlich macht und ein sofortiges Ende der Aktivitäten der EIH fordert. Ende Februar demonstrierten gut 200 Menschen auf einer STOP THE BOMB-Kundgebung in der Hansestadt gegen die Machenschaften der iranischen Banker.
Die deutsche Regierung zeigt sich davon bisher unbeeindruckt. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass deutsche Kommunen Gelder bei der EIH veranlagt haben. Belegt ist der Fall der bayrischen Gemeinde Taufkirchen, den die ortlichen Grünen an die Öffentlichkeit gebracht haben. In den vergangenen Jahren hatte die Gemeinde mehrere Millionen Euro bei der EIH angelegt; aktuell sind es noch eine Million. Seit Wiki-Leaks weiß man, das die US-Administration schon in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass die deutsche Unwilligkeit beim Vorgehen gegen iransche Banken in der Bundesrepublik aus den Veranlagungen von Kommunen beispielsweise bei Sepah resultiert. Die Bank Sepah steht auf Grund ihrer unmittelbaren Verwicklung in Rüstungsprojekte und das iranische Nuklearprogramm schon seit 2007 auf der UN-Sanktionsliste.

Aus Depeschen der US-Botschaft in Berlin geht hervor, dass Beamte des deutschen Wirtschaftsministeriums gegenüber US-Vertretern auf unbezahlte Rechnungen in Höhe von 5,5 Milliarden Euro verwiesen haben, auf denen deutsche Exporteure sitzen bleiben könnten, wenn iranische Banken vollständig vom deutschen Markt ausgeschlossen werden – ein naheliegender Grund, warum man die EIH trotz der deutlichen Verbindungen bis in die Spitzen des iranischen Regimes weiter gewähren läßt.
Doch nicht nur wegen der EIH bleibt Deutschland bis heute der wichtigste westliche Handelspartner des iranischen Regimes. Trotz aller bisherigen Sanktionsbeschlüsse sind die deutschen Im- und Exporte aus und in den Iran 2010 weiter gewachsen. Der Export stieg insgesamt um 2,37 Prozent an. Die deutschen Maschinenbauunternehmen, die das Regime ebenso mit überlebensnotwendigen Hochtechnologie-Produkten beliefern, wie zahlreiche österreichische Firmen, verzeichneten ein Exportplus von 17,5 Prozent. Die Führung in Teheran setzt derweil völlig unbehelligt auf brutale Repression gegen die Freiheitsbewegung und wurde dafür mit einem Besuch vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle belohnt, der dem Holocaustleugner Ahmadinejad freundlich die Hand schüttelte. In Deutschland und auch in Österreich setzt man weiterhin auf den Dialog mit dem Regime, der den Machthabern in Teheran eine Legitimität verschafft, die es bei der Bevölkerung schon lange verloren hat – und Zeit, um seelenruhig weiter Uran anzureichern und die Reichweite der iranischen Raketen zu erhöhen.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien, wissenschaftlicher Mitarbeiter von STOP THE BOMB und Mitherausgeber von „Iran im Weltsystem. Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung" (Studienverlag 2010).

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Schreibende Rebellinnen

Autorinnen aus Israel in Wien zu Gast

Zwei Frauen, zwei Lebensentwürfe, zwei Autorinnen, die verschiedener kaum sein könnten und die doch einiges gemeinsam haben:
Beide kommen nach Wien zum ersten Festival israelischer Literatur und werden dort ihre neuen Romane präsentieren. Beide sind in Israel als Bestsellerautorinnen längst prominent und geschätzt und im deutschen Sprachraum noch zu entdecken.
Das gilt ebenso für alle anderen insgesamt sieben AutorInnen, vier Frauen und drei Männer, die diese Veranstaltung des Kulturpanel der IKG am 3. und 4. Mai nach Wien bringen wird.

Mira Magen

Mira Magen

„Ich führe nach wie vor ein religiöses Leben", sagt Mira Magen bei unserer Begegnung in Jerusalem. Dort führt sie gleich mehrere Leben nebeneinander, als Ehefrau und Mutter erwachsener Kinder mit dem unorthodoxen Beruf einer Schriftstellerin in einer orthodoxen Gemeinschaft. Und auch hintereinander hat die heute 60jährige oftmals ihre Lebenswelten gewechselt.
In eine ostjüdisch fromme Familie geboren, studierte sie auf ihren Emanzipationswegen  Psychologie und Soziologie, war Lehrerin, Sekretärin und Krankenschwester, bevor sie vor über 15 Jahren  zu schreiben begann. Ihr erster Bucherfolg brachte zunächst einen Konflikt mit ihrer Familie, mittlerweile ist sie auch dort akzeptiert. Aber „über Glaubensfragen sprechen wir genauso wenig wie über politische Themen, sie stehen rechts und ich der Linken nahe".
Doch den Respekt vor dem Wort und die Verantwortung, die sie der Sprache gegenüber hat, führt sie heute auf ihre religiöse Erziehung  zurück. „Worte sind wie Taten. Sie beeinflussen die Menschen, sie haben Konsequenzen", sagt sie. Manchmal plagen sie auch Zweifel, ob es richtig ist, zu schreiben, sich schreibend sogar mit Gott auseinander zu setzen. „Aber damit bin ich ja nicht allein. Ich spreche Dinge aus, die andere sich nicht trauen und gebe vielen damit eine Stimme.“
Ihr jüngster Roman „Die Zeit wird es zeigen"  ist ein brillanter psychologischer Familienroman. Er erzählt von kindlicher Schuld und Unschuld, vom unschuldig Schuldigwerden einer Dreizehnjährigen, die für den Unfall ihres kleinen Bruders verantwortlich ist. In diesem privaten Schicksalsschlag und seinen vielfältigen Folgen spiegeln sich wie in einem Brennglas auch die Spannungen in der israelischen Gesellschaft.

Michal Zamir

Michal Zamir

Aus einer ganz anderen Perspektive blickt die in Tel Aviv lebende Autorin Michal Zamir auf die israelische Gesellschaft. Auch sie hat zunächst gegen die Familie und das Milieu, in das sie geboren wurde, heftig rebelliert.  In ihrem Romanerstling „Das Mädchenschiff" verarbeitete die Tochter des ehemaligen Mossad-Chefs Zvi Zamir höchst kritisch und – nicht wenig pornografisch – ihre Erfahrungen beim Militär und sorgte damit für einen Skandal im Land und einen zeitweisen Bruch mit ihrem Vater. Im Vergleich dazu ist ihr letzter Roman „Die Siedlung" fast versöhnlich zu nennen, obwohl sie „die Scheinheiligkeit in der israelischen Gesellschaft", wie sie sagte, noch immer als ihr Thema sieht.
Doch blickt die heute 46jährige allein erziehende Mutter einer Tochter in diesem Buch fast nostalgisch zurück auf die Ideale und Werte der Gründerväter, die heute offenbar der Gier nach Geld Platz gemacht haben. Diesen dramatischen Wandel spiegelt sie am Wandel einer Siedlung nahe von Tel Aviv, die dem Wohnort ihrer Kindheit gleicht, wo neben den Zamirs unter anderen auch Yitzchak Rabin und Moshe Dajan lebten. Dort verbringen jetzt zum Teil alte Generäle ihren Ruhestand und wenn sie sterben oder oft sogar noch davor greifen skrupellose Immobilienhaie nach ihrem Besitz und kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Neureiche Protzbauten und ihre dementsprechenden Bewohner verändern die Siedlung und – so die unausgesprochene Schlussfolgerung – auch das ganze Land.
Realistisch ernüchternd meint Zamir, die ihre Doktorarbeit übrigens über jiddische Autoren geschrieben hat, gesprächsweise: „Wir sind bescheidener  geworden. Wir beschäftigen uns mit uns selbst und unserer eigenen Gesellschaft, wir fühlen nicht mehr den Druck, die ganze jüdische Diaspora retten zu müsse.“        Anita Pollak

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Letzte Änderung: 04.10.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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