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Ausgabe September / November 2008

Rosch Haschana 5769

Aus dem Inhalt der aktuellen Ausgabe

Neujahrsleuchter

Wozu Europa?

Von Anton Pelinka

Alle haben ihr Europa. Die einen sehen das Europa der jüdisch-christlichen Zivilisation und der Aufklärung, die anderen denken an die „Bürokraten in Brüssel“. Die einen betonen die Grenzen, die – angeblich – die Türkei von Europa ausschließen, die anderen wiederum fürchten den „Neoliberalismus“, der – wiederum angeblich – von der Europäischen Kommission forciert wird. Die einen hoffen auf ein Europa, das die US-Dominanz balancieren hilft, die anderen erschreckt die Möglichkeit, dass die EU globale „Machtpolitik“ betreiben könnte. Den einen geht der Vertrag von Lissabon nicht weit genug, weil er die Demokratie der Union unvollkommen belässt; den anderen geht der Vertrag zu weit, weil er auf einen „Superstaat“ abzielt.

A. Pelinka

Linke Romantiker, die von einer Welt ohne Ungleichheit und Ausbeutung träumen, und rechte Nationalisten, denen die multikulturell-kosmopolitische Realität Europas ein Horror ist, sind vereint in der Gegnerschaft zur Union und ihrem Bemühen, sich in Richtung einer demokratischen Föderation zu entwickeln. Links und rechts, gegen Europa.

Und doch ist die Europäische Union ein historischer Erfolg. Nach den Schrecknissen der beiden von europäischen Nationalismen ausgelösten Weltkriegen und des Holocaust, nach dem Ende der NS- und der KP-Diktaturen hat die EU Europa Frieden gebracht – internen Frieden, zunächst, und (noch?) nicht externen: Die Kriege im früheren Jugoslawien und der früheren Sowjetunion waren Kriege außerhalb der EU. Aber der interne Frieden ist ja schon ein gigantischer Erfolg: Zwischen 1870 und 1940 sind dreimal deutsche Armeen in Frankreich eingefallen. Knapp 70 Jahre später ist ein deutsch-französischer Krieg so undenkbar geworden, dass dies kaum noch als Erfolg der europäischen Integration wahrgenommen wird.
Da mögen Debatten stattfinden, inwieweit sich die EU ausdrücklich auf ein „christliches“ Erbe berufen soll. Da gibt es Spannungen zwischen dem (vor allem französisch geprägten) Laizismus und Säkularismus auf der einen, dem (z. B. in Polen dominanten) Wunsch nach einer religiösen Etikettierung der Politik Europas auf der anderen Seite: Der Befund ist dennoch klar – Europa, in Form der EU, hat zu einer lebbaren Formel gefunden, in der die unterschiedlichen Traditionen von (z.B. griechischem) Staatskirchentum und strikter Trennung von Kirche und Staat koexistieren können.

Das alles ist erreicht, weil die EU sich zwar – zu Recht – auf Werte berufen kann, ihr Projekt aber auf handfesten Interessen aufbaut: Z.B. auf dem französischen Interessen am wirtschaftlichen Wohlergehen Deutschlands; und auf dem österreichischen Interesse daran, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Mittel- und Osteuropa in der Lage sind, die Polizzen österreichischer Versicherungen zu kaufen.

Das alles ist erreicht – und dennoch gibt es die europäische Tristesse. Europa ist schuld am Transitlärm und an der Kriminalität, an der Teuerung und an der Arbeitslosigkeit. Europa ist der Sündenbock, den viele brauchen, um sich in einer komplexen politischen Landschaft zurechtzufinden, ohne sich auf die widersprüchliche Realität einzulassen. Europa ist für viele das „defining other“, das sie brauchen, um ihre Ratlosigkeit und ihren Zorn auszudrücken, um ihrer Zukunftsangst einen Namen zu geben.

Das Problem ist nur, dass ja wir Europa sind. Wenn österreichische Politiker erklären, sie werden es sich nicht nehmen lassen, „die EU“ zu kritisieren, so ist allein schon die Wortwahl verräterisch: Denn diese Politiker sind die EU. Sie sitzen in den Ministerräten, die über die Vorlagen der Europäischen Kommission befinden – in denen eine von ihnen nominierte Kommissarin wirkt – entscheiden. Sie sitzen im Europäischen Parlament, das gemeinsam mit der Kommission und dem Ministerrat die Politik der EU bestimmt. Kritik an der EU kann – etwa für ein österreichisches Regierungsmitglied – nur heißen, sich selbst zu kritisieren. Denn die Union ist kein anonymer Apparat, bedient von gesichtslosen Bürokraten. Die EU ist ein politisches Wesen, an dem alle Österreicherinnen und Österreicher beteiligt sind – direkt, durch die Wahl des Europäischen Parlaments; indirekt, durch die von ihnen legitimierte Bundesregierung, die Teil des EU-Entscheidungsprozesses ist.

Alle Befunde, die versuchen, den Ursachen der europäischen Tristesse auf die Spur zu kommen, zeigen ein klares Bild – nicht nur, aber auch in Österreich: Das Feindbild EU brauchen vor allem ältere, brauchen auch weniger gebildete, und brauchen politisch eher an den extremen Rändern angesiedelte Menschen. Jüngere, besser gebildete und der politischen Mitte zuneigende Menschen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gegenüber der pauschalen Anti-EU-Stimmung immun.
Was an der Rolle der EU wichtig ist, das ist ihre demokratische, ihre rechtsstaatliche Beckmesserei. Minderheitenschutz? Natürlich könnte der in den baltischen Republiken noch besser funktionieren. Dass es aber überhaupt eine Sensibilität für die Rechte von Minderheiten gibt – im Baltikum und anderswo, das ist auch der EU zu verdanken. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus? Die EU hilft mit, dass die überall festzustellenden Tendenzen in diese Richtung nicht einfach nur als „interne Angelegenheit“ gelten, in die sich niemand einzumischen hat. Konsumenteninteressen? Wer, wenn nicht die Europäische Kommission, sorgt für das Senken von Gebühren, die Banken und Telefonanbieter ihren Kunden in Rechnung stellen.

Als im Februar 2000 die „EU 14“ – bewusst außerhalb der EU-Institutionen, aber getragen von einem gemeinsamen europäischen Bewusstsein – die diplomatischen Maßnahmen gegen die österreichische Bundesregierung verhängten, war dies ein wichtiges Warnsignal an diese Regierung, die von einer Partei mitgetragen wurde, die in der direkten Kontinuität zur NSDAP steht. Diese Maßnahmen verhinderten zwar nicht die Bildung der von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider geschlossenen Koalition. Sie machten aber klar, dass in der EU bestimmte Standards zu gelten haben. Vieles, was die österreichische Regierung dann unternahm, war geleitet vom Interesse, die Einhaltung dieser Standards mit besonderem Nachdruck zu demonstrieren: Den FPÖ-Ambitionen waren so von Anfang an bestimmte Grenzen gesetzt.

Als die FPÖ 1993 ihr „Ausländervolksbegehren“ startete, da war einer der besten Slogans der Satz, der sich gegen diese Initiative wandte: „Liebe Ausländer, lasst uns, bitte, mit den Österreichern nicht allein“. Der Satz gilt – in abgewandelter Form – mehr denn je: Liebe EU, lass’ uns, bitte, mit den Österreichern nicht allein.

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"Es gilt die iranische Opposition zu stärken"

Mit Simone Dinah Hartmann, Mitherausgeberin eines neuen Iran-Buchs und Sprecherin der Plattform STOP THE BOMB, ,,die sich gegen die atomare Aufrüstung des Iran“ einsetzt, sprach Joanna Nittenberg.

Stop The Bomb logo

INW: STOP THE BOMB hat wider Erwarten mit ihren diversen Aktivitäten international großes Echo erfahren. Kannst Du uns darüber mehr Informationen geben?

Simone Dinah Hartmann: STOP THE BOMB hat sich im Herbst letzten Jahres als eine überparteiliche Plattform gegründet, in der auch Vertreter maßgeblicher iranischer Oppositionsgruppen, wie jene der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran, mitarbeiten. Seitdem haben bereits an die 5000 Personen unsere Petition gegen den geplanten Milliar-dendeal der österreichischen OMV mit dem Iran unterschrieben, unter ihnen mit Elfriede Jelinek, Imre Kertész und Elie Wiesel drei NobelpreisträgerInnen sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland, wie beispielsweise Beate Klarsfeld, Robert Schindel, Wolfgang Neugebauer und Leon de Winter.
Daneben haben wir mittels mehrerer Presseerklärungen, Beiträge für Zeitungen, öffentlichen Protesten sowie einer internationalen Konferenz über die iranische Bedrohung die Öffentlichkeit auf unsere Anliegen aufmerksam gemacht. Insbesondere unsere Protestaktion vor und während der Hauptver-sammlung der OMV, im Mai dieses Jahres, hat für einigen öffentlichen Unmut und inter-nationale Medienresonanz gesorgt.
Als Kleinaktionärin habe ich in der Versammlung das Wort ergriffen und den Iran-Deal skandalisiert, während draußen Flugblätter verteilt wurden. Mir wurde das Rederecht durch den OMV-Vorstand entzogen und das Publikum, vorwiegend österreichische Kleinanleger, haben meine Fragen nach der moralischen Verantwortbarkeit des geplanten Geschäfts und meinen Hinweis auf die eklatanten Men-schenrechtsverletzungen im Iran mit einem Pfeifkonzert gekontert.

INW: Wie sehen die Pläne für die nächste Zukunft aus?

Solange Öster-reich weiterhin seine Beziehungen zum Mullah-Staat ausbaut, werden wir unseren Protest fortsetzen. Rund um den 70. Jahrestags des Novemberpogroms ist wieder mit einer ver-gangenheitspolitischen Rhetorik zu rechnen, die zwar mit den österreichischen Tätern ins Gericht geht, aber von der Existenzbedro-hung Israels durch den Iran schweigt. STOP THE BOMB wird versuchen, eine längst fällige Diskussion über Vergangenheitspolitik in Zeiten des Krieges gegen den jüdischen Staat in Gang zu bringen. Über diesen Krieg, der auch in Gestalt iranischer Vorposten wie der Hisbollah stattfindet, wird Ende Oktober Professor Barry Rubin bei einem Vortrag in Wien Auskunft geben.

INW: Wie hoch ist eigentlich die Beteiligung Europas an der iranischen Wirtschaft?

Der Iran braucht Europa. 40 Prozent seiner Importe kommen aus Europa. Es sind europäische Technologie und Investitionen, die dem Regime dabei helfen, sein Nuklearprogramm fortzusetzen. Deutschland ist dabei der wichtigste Handelspartner. Rund zwei Drittel der iranischen Industrie sind maßgeblich mit deutschen Maschinen und Anlagen ausgerüstet. Es soll auch deutsche Überwachungs-technologie von Siemens den Mullahs bei der Einhaltung des islamischen Rechts, das heißt bei der Aufrechterhaltung ihres Terrorstaats, von Diensten sein.
Insbesondere im Energiesektor, der zu-gleich die größte Einnahmequelle des Regi-mes ist, sind europäische Firmen notwendig, da nur sie über das umfangreiche Know-how
verfügen, das für eine sinnvolle Verwertung der vorhandenen Ressourcen notwendig ist. Deshalb sind Sanktionen in diesem Sektor, wie sie etwa von seiten Großbritanniens ge-fordert werden, dringend notwendig, da sie die Hauptlebensader des Regimes treffen würden. Nicht zuletzt sind es die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft, die dem Iran die Mittel in die Hand geben, um für sein Nuklearprogramm einkaufen zu gehen. Der geplante OMV-Deal wäre hier keine Ausnahme.

INW: Glaubst Du, dass Sanktionen wirk-lich etwas bewirken können? Ist die Gefahr, dass Länder wie Russland oder China in die Bresche springen, nicht sehr groß?

Gerade im Bereich der Hochtechnologie, die der Iran aus Europa bezieht und die für seine Wirtschaft unverzichtbar ist, können solche Länder zumindest kurzfristig auf keinen Fall in die Bresche springen. Das iranische Regime reagiert äußert empfindlich auf Sanktionsforderungen. Dementsprechend werden mittlerweile auch Aktivisten unserer Kampagne in iranischen Regierungszeitschriften scharf angegriffen und diffamiert. Ein vor kurzem veröffentlichter Bericht des Internationalen Währungsfonds hat festgestellt, dass Sanktionen der iranischen Wirtschaft schaden. Die Benzinknappheit im vergangenen Winter war auch ein Effekt davon. Anders als beispielsweise im Irak Saddam Husseins können die Mullahs die Kosten von Sanktionen nicht einfach auf die Bevölkerung abwälzen. Der Unmut der Bevölkerung hat sich nach der Benzinrationierung militant gegen die iranische Führung gerichtet. Seit fast dreißig Jah-ren leiden die Iraner unter diesem Regime, das sowohl nach innen als auch nach außen Terror ausübt. Anstatt sich aber mit jenen zu solidarisieren, die ständig den Zwangsmaßnahmen und Repressalien des Regimes unterworfen sind, reicht Europa ihren Peinigern die Hände.

INW: In dem Buch „Die iranische Bedrohung“, das Du gemeinsam mit Stephan Grigat herausgegeben hast, geht Ihr eingehend auf die innen- und außenpolitische Situation im Iran ein. Für viele irritierend sind eure Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. War Auschwitz nicht ein unvergleichbares Ereignis?

Die Unvergleichlichkeit der Shoah resultiert aus der mörderischen Ideologie des Antisemitismus, die es vermag, all jene Pathologien und Projektionen freizusetzen, die zur Vernichtung um der Vernichtung Willen geführt haben. Die Shoah war ein antisemitischer Vernichtungsfeldzug; in seiner Dimension möglich gemacht wurde Auschwitz durch die Anwendung moderner Technologien.
Wie kann man aber nun in Zweifel ziehen, dass etwas noch einmal passieren kann, das schon ein Mal passiert ist? Wenn es die Shoah ein Mal gegeben hat, kann sie sich dann nicht wiederholen? Soll das die Lehre sein, die wir daraus gezogen haben? Wenn es so wäre, dann wäre doch der Imperativ, alles zu unternehmen, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, völlig überflüssig. Wenn man hingegen davon ausgeht, dass die Shoah sich – in welchen Formen auch immer – wiederholen kann, dann muss man erkennen, wer heute diejenigen sind, die mit der Vernichtung von Juden und Jüdinnen drohen.
Und das ist an vorderster Front das iranische Regime, das pausenlos vom baldigen Ende des „zionistischen Gebildes“ spricht.
Gleichzeitig versucht der Iran nun jene Mittel in die Hände zu bekommen, um seine Drohungen auch umsetzen zu können. Natürlich würde eine zweite Shoah eine andere sein: Man muss keine Konzentrations- und Vernichtungslager bauen und es bedarf keiner Deportationen, sondern man hat eine Waffe in der Hand, die es möglich macht, Israel innerhalb von fünf Sekunden dem Erdboden gleichzumachen. Und vergessen wir eines nicht: Israel ist die Lebensversicherung für alle Juden und Jüdinnen weltweit.

INW: Wie ernst ist das bekundete Interesse des Iran, Israel auszulöschen, zu nehmen?

Seit dreißig Jahren predigt das iranische Regime einen radikalen Antizionismus, das heißt, die irani-schen Vernichtungsdrohungen sind weder neu noch heimlich. Ob sie von Khomeini, Khaminei oder Kathami geäußert werden – ob sie in Gestalt des iranischen Präsidenten oder dem Anführer der von ihm finanzierten und ausgerüsteten Terrortruppe Nasrallah auftreten. Ihnen gemein ist, dass sie Israel vernichten und den Rest der Welt dem islamischen Joch unterwerfen wollen.
Gerade in Österreich sollte man wissen, dass Vernichtungsdrohungen, so verrückt sie auch klingen mögen, ernst zu nehmen sind. Wenn einem Regime wie jenem in Teheran, das nicht einmal davor zurückschreckt die eigene Bevölkerung zu massakrieren und bereits heute einer der global player im internationalen Terrorismus ist, die Mittel zur Massenvernichtung in die Hände gegeben werden, wird es nicht nur für Israel, sondern auch für Europa zu spät sein.
Natürlich geht es hier auch um Einflusssphären: Die Expansion des politischen Is-lam über den Nahen Osten hinaus in die westlichen Zentren. Es führt allerdings in eine Sackgasse, das Agieren des Iran nur rational fassen zu wollen, weil dadurch die Dinge eher verwischt und unkenntlich gemacht werden. In unserem Buch versuchen wir herauszuarbeiten, inwiefern gerade die Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Ver-nichtungswahn charakteristisch für dieses Regime ist.

INW: Welche Perspektiven bestehen, sollte Iran mit seinem Atomwaffenprogramm er-folgreich sein? Wie könnte man die vorhan-dene Opposition im Iran stärken?

Was ein nuklearer Iran in dieser Weltregion bedeuten würde, liegt auf der Hand. Die Existenz Isra-els wäre in einem Ausmaß bedroht, dass ein jüdisches Leben im Nahen Osten verunmög-licht würde – auch ohne dass der Iran die Bombe tatsächlich einsetzt. Die gesamte Region würde sich über kurz oder lang in eine mit Nuklearwaffen hochgerüstete „hot zone“ verwandeln. Wohin solch ein Wettrüsten an-gesichts der Regime, die dort herrschen, führen kann, kann man sich ausmalen.
Um die Sicherheit Israels und die Stabilität des Nahen Ostens langfristig zu gewährleisten ist es notwendig, jene iranische Opposition zu stärken, die gegen das menschenver-achtende Mullah-Regime in Teheran ankämpft und sich die selben rechtsstaatlichen Lebensstandards wünscht, wie sie in der westlichen Hemisphäre – mitunter übrigens auch mit Waffen – erkämpft wurden. Die Unterstützung von politischen Kräften, die für eine Säkularisierung und Demokratisierung des Nahen Osten eintreten und darüber hinaus in Israel einen Partner und nicht Feind sehen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Dies schließt politische, wirtschaftliche, und – so es notwendig werden würde – auch militärische Hilfe mit ein.
Damit die Opposition im Iran aber überhaupt eine Chance hat, darf das Regime in Teheran unter keinen Umständen mit seinem Atomwaffenprogramm Erfolg haben.

Herzlichsten Dank für das Gespräch!

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Die Sammlung Heinrich Rieger

Lisa Fischer dokumentiert den Verbleib der Bilder

Wer war Heinrich Rieger? Dieser Frage und der Frage nach dem Verbleib seiner Kunstsammlung geht Lisa Fischer in ihrem Buch „Irgendwo“ nach. Der in Wien lebende und aus Ungarn stammende Heinrich Rieger war Zahnarzt und passionierter Kunstliebhaber. In der Zwischenkriegszeit besaß er eine große Sammlung (700 Werke und 22 Skulpturen) zeitgenössischer Kunst, deren Schwerpunkt Arbeiten von Egon Schiele – mindestens 120 Zeichnungen und 11 Ölgemälde – darstellten. Rieger behandelte viele KünstlerInnen und bekam oftmals Bilder als Bezahlung.
[…]
Riegers umfangreiche Sammlung wurde im Nationalsozialismus enteignet und somit sein Lebenswerk zerstört und die Kunstwerke, die er weit unter Wert zwangsverkaufen musste, zerstreut. „Behilflich“ waren ihm dabei die Galeristen Friedrich Welz und Luigi Kasimir, die sich die beste Beute selbst sicherten. Rieger und seine Frau Bertha (geb. Klug) wurden nach dem Einmarsch Hitlers gezwungen, ihren Wohnsitz in der Mariahilferstraße und in Gablitz abzumelden. Bis 1942 mussten sie sechs Mal umziehen. Am 24. September 1942 wurde das Ehepaar nach Theresienstadt deportiert. Rieger waren die Strapazen zu viel und starb. Seine Frau wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Während Heinrich Rieger Opfer des Nationalsozialismus wurde, können Friedrich Welz und Luigi Kasimir zu den Gewinnern des Regimes gezählt werden.

Friedrich Welz war in Salzburg vom Rahmenvergolder zum Kunsthändler avanciert. 1935 kam es in Kooperation mit Otto Nirenstein, der in Wien die Neue Galerie gegründet hatte, zu einer Ausstellung von Klimt, Schiele und in der Folge von Kokoschka. Während die NS-Zeit Welz eine steile Karriere ermöglichte, zwang sie Nirenstein 1938 zur Flucht. Nach dem Anschluss wurde die Galerie Welz zu einer zentralen Schaltstelle des Nationalsozialistischen Kunsthandels und der Kunstwäsche. Friedrich Welz und Luigi Kasimir befanden sich nach Kriegsende in Haft und versuchten ihre Machenschaften zu vertuschen. Sie behaupteten, dass viele der verschwundenen Bilder nach dem Krieg gestohlen worden seien. Beide wurden 1946 wegen Hochverrats, illegaler Zugehörigkeit zur NSDAP und Unterlassung der Registrierungspflicht zu 18 beziehungsweise 12 Monaten schweren Kerkers verurteilt. Kasimir wurde vom Vorwurf der Bereicherung durch Arisierung freigesprochen.

H. Rieger
Ferdinand Kitt: Heinrich Rieger

Ein Teil der Bilder aus der Sammlung Rieger konnte restituiert werden, aber viele Werke, darunter mehrere Dutzend Schiele-Zeichnungen, sind nach wie vor verschollen. […]
Besondere Brisanz erhält Lisa Fischers Publikation durch die dem Sammler Rudolf Leopold gewidmeten Passagen. Einerseits in Zusammenhang mit Schieles „Kardinal und Nonne“, einem Prunkstück des Leopold Museums. Riegers Sohn Robert hatte das restituierte Gemälde 1951 der Österreichischen Galerie verkauft. Nach der Wiedereröffnung der Galerie 1954 hagelte es Proteste wegen der vermeintlichen Anstößigkeit des Bildes und als Folge verschwand es im Depot. Nach Gerüchten, die Fischer aufgreift, hat Rudolf Leopold selbst eine Briefaktion von Verwandten und Freunden gestartet, in der gegen die Schaustellung protestiert wurde. Durch die Geschehnisse wuchs die Bereitschaft der Galerie, das Bild zu tauschen. Von Seiten des Bundesministeriums gab es aber vorerst nur die Genehmigung für den Tausch „Wally aus Krumau“ gegen ein „Knabenbildnis“ von Schiele aus der Sammlung Leopold, der 1954 über die Bühne ging. Erst 1957 tauschte Leopold mit der Österreichischen Galerie Schieles „Kardinal und Nonne“ und „Hockende Frauen“ gegen Klimts „Mohnwiese“, Rudolf Ribarzs „Holländische Landschaft“ und eine gotische Skulptur des Heiligen Ägidius. 2006 hielt Sotheby's in London die zwei Bilder von Schiele aus dem Privatbesitz Rudolf Leopolds, die eindeutig einst zur Sammlung Rieger gehört hatten, wegen fragwürdiger Herkunft zurück. Fischer äußert den Verdacht, „dass Rudolf Leopold wissentlich in seiner Privatsammlung noch mehr Bilder aus dem ehemaligen Eigentum von Dr. Heinrich Rieger verfügt“. Bei der Buchpräsentation im Wiener Künstlerhaus kam es zum Eklat, als Elisabeth Leopold gegen die Vorwürfe gegen ihren Mann Stellung nehmen wollte. „Unerträglich“ sei es für die bei der Buchpräsentation anwesenden Rieger-Erben gewesen, ausgerechnet mit Elisabeth Leopold konfrontiert zu werden, meinte dazu Czernin-Verlagsleiter Föger in der Presse. Das Leopold-Museum wird zunächst keine Klage wegen des Buches anstreben. Petra M. Springer

(gekürzt. Den gesamten Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe der INW. Online-Bestellung.)

Lisa Fischer: Irgendwo. Wien – Theresienstadt und die Welt. Die Sammlung Heinrich Rieger. Czernin Verlag, Wien 2008, 190 Seiten, 21,40 Euro.

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"Ein Kleinbürgerstammtisch"

Die Gruppe 47 und ihr Umgang mit jüdischen Kollegen

Auszüge von dem Artikel über Hans Werner Richter, Alfred Andersch und weitere Mitglieder der Gruppe 47 von Henriette Schröder.

Ich fühle mich als Deutscher, ich bin Deutscher, ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Aber ich bin nicht verantwortlich für Hitlers Verbrechen und für den Chauvinismus vergangener Zeiten. …
Hans Werner Richter in der von ihm und Alfred Andersch, mit amerikanischer Lizenz, herausgegebenen Zeitschrift „Der Ruf" Anfang 1947 im amerikanischen Kriegsgefangenenlager.

Richter und Andersch, die Gründervätern der Gruppe 47, kennen keine Opfer und keine Täter, sprechen nicht von Schuld oder Unschuld, von Scham oder Reue. Die Shoah wird mit keinem Wort erwähnt. Sie bezeichnen die Politik der Sieger „als vorgestrig, als kolonialistisch und als menschenunwürdig, kurz: als uneuropäisch,“ so ihr Weggefährte, der spätere Verleger Heinz Friedrich. Im April 1947 entziehen die Amerikaner Richter und Andersch die Lizenz für die Zeitschrift.
Danach schart Hans Werner Richter im September 1947 eine Gruppe Gleichgesinnter um sich, die sich zum ersten Mal im Hause der Dichterin Ilse Schneider-Lengyel am Bannwaldsee, nahe Schloss Hohenschwangau im tiefsten Allgäu, treffen. Was eigentlich als Redaktionstreffen geplant war, ist die Geburtsstunde der Gruppe 47. Mit von der Partie in jenem Spätsommer 1947 sind: Walter Kolbenhoff, Nicolaus Sombart, Wolfdietrich Schnurre, Walter Hilsbecher, Heinz Friedrich, Freia von Wühlisch und Friedrich Minnsen. Alle ehemalige Mitarbeiter des „Ruf“.

Die Gruppe 47, die sich „jungdeutsch“ nennt und eine Literatur des „Kahlschlag“, Realismus um „den Preis der Poesie“ propagiert, ist eine lose Vereinigung von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, Landsern, Flakhelfern und Hitlerjungen. Emigranten und Remigranten sind in diesem Kreise nicht willkommen. Die Shoah, Berichte von Überlebenden der Konzentrationslager, Schicksale aus dem Exil ebenso wie Judentum in der Literatur zu thematisieren, sind tabu. Ein ungeschriebenes Gesetz verbietet die Beschäftigung mit diesen Themen.

In seiner Streitschrift zur Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47?“ identifiziert Klaus Briegleb das „Grosse Tabu“ der Siebenundvierziger in den Anfangsjahren, als die „Angst vor einer wirklichen Begegnung mit Juden und Judentum nach der Shoah“.

Der Wiener Literatenkreis um Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Reinhard
Federmann und Milo Dor setzt sich im Herbst 1951 und Frühjahr 1952 bei Hans Werner Richter für eine Einladung Paul Celans zu der Gruppe 47 ein. Feder führend sind Ingeborg Bachmann und Milo Dor. Dor bietet Richter nicht nur finanzielle Unterstützung von den „Wiener Freunden“ für Celans Reise an, er bittet Richter auch, sich doch Neues von Celan anzusehen, da dessen „Musikalität und Formkraft ihresgleichen“ suche. Celans Gedichtband, „Der Sand aus den Urnen“ (1948) war bei Hans Werner Richter auf Ablehnung gestoßen. Widerwillig lädt Richter ihn ein. Im Mai 1952 liest Paul Celan auf einer Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee fünf Gedichte, unter anderen „Ein Lied in der Wüste und die Todesfuge“. Der jüdische Dichter deutscher Sprache aus Czernowitz liest zum ersten Mal in Deutschland.

Nach der Lesung schlägt ihm Gelächter entgegen. Sein Ton wird mit dem von Goebbels verglichen, andere sprechen von „Synagogen-Singsang“, ihm wird „Pathos“ vorgeworfen. Milo Dor erinnert sich, dass ein Zuhörer Celan mit einem Rabbiner verglichen habe, „...Hans Werner Richter entschuldigte sich bei Paul wegen des Vergleichs mit einem Rabbi, Goebbels ging dabei irgendwie unter“. Diese Reaktionen müssen für Celan, dessen Familie in den Todeslagern Transnistriens ermordet wurde, ein unerträglicher Beweis für den in Deutschland noch immer herrschenden Antisemitismus gewesen sein. …

Jüdische Schriftsteller, die Kontakt zu der Gruppe 47 haben, sind nur geduldet, solange sie über ihr Judentum und die Shoah schweigen. Und so lange sie die Gruppe nicht kritisieren. Die Gruppe versteht sich immer auch als „politisch engagiert“. Der literarische und politische Neuanfang ist deutschnational definiert. Eben: Die Erfahrung ihrer Erlebnisse“. Remigranten, die gemeinsam mit den Siebenundvierzigern an einer neuen deutschen Nachkriegsliteratur wirken wollen, sind meist mit Hans Werner Richters „Konzeption“ konfrontiert, … die Differenz zu den Juden nach der Shoah nicht in eine Aktualisierung ausarten zu lassen, die der Gruppe eine Auseinandersetzung mit Zurückgekehrten hätte aufnötigen können.

Die Liste mit Beispielen über den unsensiblen, gedankenlosen, rücksichtslosen, und manchmal offen antisemitischen Umgang einiger Siebenundvierziger mit jüdischen Emigranten und Remigranten ließe sich noch verlängern. Der Ton war rau, aber auf den „burschikosen“, „groben“ Ton, auf den „Landserjargon“ innerhalb der Gruppe war man stolz. Nach der Lesung in Niendorf sagt Hans Werner Richter lakonisch: „Die rustikale Art, die in der Gruppe herrschte, hat dem Paul Celan wohl nicht sehr gefallen“.

Die Gruppe 47 war ein Kleinbürger-Stammtisch, eine Art entnazifizierte Reichsschrifttumskammer, eine Vereinigung ehemaliger Nazi-Soldaten und HJer, von denen kein einziger Kraft gehabt hatte, zuzugeben, dass, er für Hitler getötet oder zumindest geschlagen hat. Diese Söhne waren genauso verlogen, apodiktisch und kleinbürgerlichängstlich wie ihre Väter, und sie sprachen über Literatur wie jene über das Wirtschaftswunder: stolz, ironielos und ohne Selbstzweifel. Das Urteil des Schriftstellers Maxim Biller mag übertrieben klingen. Ganz falsch ist es nicht.

Den gesamten Artikel von Henriette Schröder finden Sie in der aktuellen Ausgabe der Illustrierten Neuen Welt.

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Alpine Peace Crossing

Wandern für den Frieden

Gruppentreffen
APC-Initiator Ernst Löschner rinmitten
der Gäste aus aller Welt

Auf Initiative von Dr. Ernst Löschner fand im Sommer 2007 eine Überquerung der Krimmler Tauern in Salzburg statt, zur Erinnerung an die jüdischen Flüchtlinge, die im Jahre 1947 bei Nacht und Nebel die Flucht nach Palästina antraten. Einige der damals Beteiligten und vor allem deren Nachkommen – jetzt Bürger des Staates Israel – nahmen an dieser Wanderung teil um sich an ihre eigenen Strapazen und der ihrer Vorfahren zu erinnern. Eine hervorragend gestaltete Dokumentation von Andreas Gruber und Mathias Tschannett vermittelt einen eindrucksvollen Einblick auf die Qualen und Gefahren dieser Flucht. Diese Veranstaltung sollte als Auftakt für das Projekt APC–Alpine Peace Crossing dienen, deren Grundgedanke es ist, wie Dr. Löschner bei der Gründung ausführte, ein Zeichen des Friedens zu setzen und dieses allen Flüchtlingen auf der Welt zu widmen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges mussten Millionen von Flüchtlingen ihr Zuhause verlassen.

Die Gemeinde Krimml, mit Bürgermeister Erich Czerny, der sich für APC engagiert, soll nun Zentrum dieser Veranstaltungen werden. Das diesjährige Treffen wurde vom Kulturverein Chrumbas organisiert.
Die Anne Frank-Ausstellung diente dafür als ein stimmiger Auftakt mit einer sehr persönlichen Ansprache der Chrumbas-Obfrau Andrea Schöppl. Wie sehr die junge Generation für die Zeit von 1933 bis in die Nachkriegszeit aufgeschlossen ist, konnte man auch an der Beteiligung dieses Projektes von ehemaligen SchülerInnen des BORG Mittersill ersehen, die das Anne Frank-Projekt mitgestaltet haben.
Den Höhepunkt der Abendveranstaltung war die Schilderung des heute 83-jährigen Itzhak Drach, der 1947 mit seinem 1-jährigen Sohn Zeev über den Krimmler Tauern geflüchtet war. Er war ja den meisten Teilnehmern durch den APC Dokumentarfilm bekannt. Seine persönliche Schilderung über die bis auf die Haut durchnässte Ankunft im Krimmler Tauernhaus, die Zurückweisung durch die Carabinieri an der Grenze zu Italien um Mitternacht auf 2600m Höhe und die anschließende Notwendigkeit einer Biwakierung, bevor dann die Überquerung an anderer Stelle gelang, verfehlten nicht ihren Eindruck.

Itzhak Drach und Sohn
Itzhak Drach und sein Sohn Zeev

Auch die Familiengeschichte von Moti Rosen – er war als 4-Jähriger auf den Schultern seiner Eltern 1947 geflüchtet – zeigte seine Verbundenheit mit Österreich: Seine Vorfahren hatten als Juden noch in der K.u.K. Armee gedient, seine Mutter war ab 1946 leitende Ärztin im Farmach-Spital in Saalfelden. Anschließend diskutierte der „Krimmler Friedensdialog“ unter der Leitung von Ronald Barazon das Thema „Tschad: Flüchtlingsdilemma oder europäische Sicherheitspolitik?“ Die Eindrücke, die vor Ort gesammelt werden konnten – Christoph Reiser war im Tschad als Medienberichterstatter, Generalleutnant Segur-Cabanak für das österreichische Bundesheer, Botschafter Georg Lennkh als Beauftragter der österreichischen Bundesregierung für den Tschad und Andreas Huthmann als Sanitäter im Tschad – haben der Diskussion eine sehr persönliche Note gegeben. Den Abschluss des Programms bildete das „Friedenskonzert“ der Anton Wallner Schützenmusikkapelle von Krimml, unter der Leitung von Kapellmeister Josef Klammer, zu der auch der Saalfeldner Kinder- und Jugendchor unter der Leitung von Petra Fürstauer einen erfrischenden und stimmigen Beitrag leistete.

Dennoch waren es gezählte 71 Teilnehmer, die der Einladung von Hans Lerch (Nationalpark Hohe Tauern, Salzburg) Folge leisteten, vom Krimmler Tauernhaus ein Stück des Weges bis in die Windbachalm gemeinsam zu gehen. Dort erklärte er sachkundig die Geschichte und Bedeutung des Krimmler Tauernweges und die kulturellen Beziehungen zwischen Krimml und dem Ahrntal. Erich Czerny hieß anschließend Irmela Steinert vom Friedensnetzwerk willkommen, die aus Wien zu APC 2008 mit mehreren Flüchtlingen angereist war. Ein besonderer Höhepunkt waren dann die Berichte
afghanischer Flüchtlinge.

Die steigenden Teilnehmerzahlen beweisen, dass sich diese Initiative und der APC-Friedensgedanke nicht nur international sondern auch regional großer Zustimmung erfreut – dies manifestiert auch die Bestätigung, dass APC nun alljährlich veranstaltet wird. J. N.

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Eine pannonische Freundschaft

Fred Sinowatz und Richard Berczeller

von Hans Pusch

Wenige Wochen vor seinem Tod übergab mir Altbundeskanzler Dr. Fred Sinowatz seine über drei Jahrzehnte geführte Korrespondenz mit dem jüdischen Arzt, Sozialdemokraten und Schriftsteller Richard Berczeller. Die mehr als hundert, teils hand-, teils maschinschriftlich abgefassten Briefe sind nicht nur ein zeitgeschichtliches Kleinod, sondern auch die Dokumentation einer tiefen, von gemeinsamen Idealen und der gemeinsamen Liebe zur pannonischen Heimat geprägten Freundschaft zweier beeindruckender Persönlichkeiten.

Der Name Berczeller war dem Historiker Sinowatz bereits ein Begriff, noch ehe er – erst wenige Wochen zuvor zum Landesparteisekretär bestellt – im Frühsommer 1961 Richard Berczeller, dem „Genossen aus Amerika“, wie er bei einfacheren Funktionären auch hieß, ein erstes Mal begegnen sollte. Dessen Vater, Adolf Berczeller, aus Budapest stammend, gelernter Schriftsetzer, Jude und Freimaurer, der neben Ungarisch auch fließend Deutsch, Jiddisch, ein wenig Tschechisch, Rumänisch und Hebräisch sprach, gehörte nämlich zu den profiliertesten Exponenten der westungarisch-burgenländischen Sozialdemokratie.

Berczeller

1896 nach Ödenburg geschickt, um dort die sozialdemokratische Partei aufzubauen, wurde Adolf Berczeller 1912 als erster Sozialdemokrat in den Ödenburger Stadtrat und 1919, während der Räteregierung unter Bela Kun, ins Direktorium der Komitate gewählt. 1920, nach der Machtergreifung Admiral Hortys, flüchteten die Berczellers aus Ungarn. Im Burgenland, im österreichisch gewordenen Teil Westungarns, fanden sie eine neue Heimat.

Auch im bettelarmen, rückständigen „Land der 100 Dörfer“ zählte der damals rund 50jährige Adolf Berczeller zu den sozialdemokratischen Arbeiterführern der ersten Stunde. Er nahm am Gründungsparteitag der burgenländischen Sozialdemokraten in Wiener Neustadt teil, war maßgeblich am Aufbau eines neuen Sozialversicherungswesens beteiligt und wurde zum geschäftsführenden Obmann der burgenländischen Arbeiterkammer ernannt. Er war eng mit dem legendären Ludwig Leser, Ernst Hoffenreich und dem späteren Sozialminister Anton Proksch befreundet, war persönlich mit Viktor Adler oder Karl Renner, aber auch politischen Gegnern wie Engelbert Dollfuß oder Bela Kun bekannt und stand im Ruf, wenn schon nicht „Entdecker“, so doch „Mit-Entdecker“ des langjährigen burgenländischen SP-Chefs und späteren Landeshauptmanns Hans Bögl gewesen zu sein.

Auch sein Sohn Richard, 1902 in Ödenburg geboren, fühlte sich „seit frühester Kindheit der Arbeiterbewegung verbunden“. Schon als 16jähriger, Seite an Seite mit seinem Vater, saß er im Ödenburger Arbeiterrat. In Wien studierte er später Medizin. Julius Tandler, Wissenschafter von Weltruf und amtsführender Stadtrat für Wohlfahrtsangelegenheiten im Roten Wien, wurde sein Lehrer. „Jedes Mitglied der menschlichen Gesellschaft hat Anspruch auf Hilfe, und die menschliche Gesellschaft hat sie pflichtgemäß zu leisten“, lautete sein Credo und Richard Berczeller hielt sich daran. Statt eine akademische Karriere in Wien einzuschlagen, ließ er sich 1930 als praktischer Arzt im Mattersburger Getto nieder. Arbeiter und Bauern, Christen und Juden waren seine Patienten und der allseits beliebte „Herr Doktor“ nutzte sein Ansehen, um „unauffällig“, wie er später ausführte, „stets auch für die Partei zu arbeiten“. Schließlich war er – im Nebenberuf, sozusagen – sozialdemokratischer Landesbildungsreferent und nahm als solcher auch an den Sitzungen des Parteivorstands teil.

Doch dann kam das Jahr 1938. Am 11. März, nur wenige Stunden nachdem sich Bundeskanzler Kurt v. Schuschnigg mit einem letzten „Gott schütze Österreich!“ von der politischen Bühne verabschiedet hatte und im österreichischen Rundfunk zum ersten Mal das Horst-Wessel-Lied erklang, wurde Richard Berczeller verhaftet – von zwei Mattersburger Gendarmen mit eilig angebrachten Hakenkreuz-Binden am Arm, beide waren seine Patienten gewesen…

Unter der Bedingung, Österreich binnen 14 Tagen zu verlassen, wurde er schließlich wieder enthaftet und es gelang ihm – dank einer Intervention Anna Freuds bei Prinzessin Marie Bonaparte, einer „Groß-groß-groß-Nichte“ Napoleons – für sich, seine inzwischen delogierte Frau und Sohn Peter französische Visa zu erlangen. Eine abenteuerliche Odyssee begann. Sie führte ihn über Paris, Vichy-Frankreich und die Elfenbeinküste 1941 nach New York. In bescheidensten Verhältnissen lebend, beginnt er Englisch zu lernen, studiert ein zweites Mal Medizin, um auch in den USA als Arzt zugelassen zu werden und veröffentlicht Anfang der 60er Jahre erste – auf Englisch verfasste – Kurzgeschichten im renommierten „The New Yorker“.

Nach Ende des 2.Weltkriegs war die Bereitschaft des offiziellen Österreich, vertriebene jüdische Intellektuelle zu einer Rückkehr nach Österreich einzuladen, um ihnen politische Verantwortung beim Wiederaufbau des nationalsozialistisch verseuchten Landes zu übertragen, gelinde gesagt, eher gering. Eine Ausnahme bildeten Burgenlands Sozialisten. Bereits 1945 versuchten sie, wie mehrere von Hans Bögl, Ernst Hoffenreich, Alois Wessely oder Anton Proksch an den „Lieben Genossen Berczeller!“ oder schlicht den „Lieben Richard!“ adressierte Briefe beweisen‚ den nach New York emigrierten Arzt zur Rückkehr zu bewegen. Sie boten ihm eine einflussreiche Stelle in der Gesundheitsverwaltung und – wie Richard Berczeller in einem Schreiben vom

4. Jänner 1990 an Fred Sinowatz versichert – sogar ein sicheres Mandat für den Nationalrat an.
Doch Richard Berczeller, der kosmopolitische Patriot, als den ihn Joachim Riedl einmal bezeichnete, lehnte ab, auch wenn ihm der Verzicht ein Leben lang das Gefühl der Heimatlosigkeit vermitteln sollte, das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Aber seine Frau Maria, ebenfalls Jüdin, eine feinfühlige, tapfere Frau, die in den ersten New Yorker Jahren die Familie als Fabriksarbeiterin ernährte, wollte – besser gesagt – konnte nicht. Alle ihre Verwandten waren von den Nazis ermordet worden, wie auch Richards Bruder, den sie sehr mochte. Und nie konnte sie vergessen, wie man sie samt dem kleinen Kind brutal aus der Wohnung geworfen hatte, während ihr Mann eingesperrt war.

Auch wenn sich Richard Berczeller nie zur Rückkehr entschließen konnte, die manchmal vielleicht ein wenig unbeholfenen, aber ehrlich gemeinten Angebote der burgenländischen Genossen hatten zur Folge, dass die alten Kampfgefährten aus der Zwischenkriegszeit zumindest lose in Verbindung blieben und Richard Berczeller von Zeit zu Zeit die alte Heimat besuchte. Wie im Sommer 1961, als der „Genosse aus New York“ wieder einmal ein paar Tage in Eisenstadt verbrachte. Nach einer Sitzung des Parteivorstands, an der er als Ehrengast teilnahm, lud ihn der Parteivorsitzende Hans Bögl gemeinsam mit dem „anderen G’schdudiat’n in da Partei“, seinem neuen, wie er selbst aus dem Industriedorf Neufeld a. d. Leitha stammenden Landesparteisekretär, zum Essen ein.

Noch Jahre später erinnerte sich der Altkanzler an das Essen im Garten des alten Schwechater Hofes in Eisenstadt, seine erste Begegnung mit diesem außergewöhnlichen, überaus klugen und universell gebildeten Weltbürger, der trotz des himmelschreienden Unrechts, das ihm widerfahren war, nie nachtragend, unversöhnlich oder verbittert wirkte und so ungemein spannend erzählen konnte.
Der junge, auch kulturpolitisch interessierte Parteisekretär ist von der Persönlichkeit Richard Berczellers, der wie kein anderer den in Österreich kaum mehr existenten Typ des jüdischen sozialdemokratischen Intellektuellen verkörperte, fasziniert. Hatte er den New Yorker Genossen bisher nur vom Hörensagen, gleichsam als historische, aber der politischen Realität entschwundene Figur aus dem noch ungeschriebenen Lehrbuch zur Geschichte der burgenländischen Sozialdemokratie gekannt, so fühlte er sich jetzt, wo er das Glück hatte, mit ihm an einem Tisch zu sitzen, ihm zuhören und mit ihm diskutieren

zu dürfen, geradezu privilegiert.
Aber auch Richard Berczeller, der Menschenforscher, ist vom jungen Sinowatz beeindruckt. „Es war ein großes Erlebnis für mich, in dir den Vertreter der jungen Generation kennen gelernt zu haben“, lässt er ihn am nächsten Tag wissen, noch rasch, vor seinem Abflug nach New York, mit seiner gefürchteten „Doktorschrift“ auf Briefpapier aus dem Hotel gekritzelt, und fügt er hinzu: „Ich habe große Hoffnung in deine Zukunft in unserer großen Partei!“

Freilich, das Heimweh nach dem Burgenland scheint ihn diesmal schon in Wien zu erfassen, denn er schließt sein Schreiben mit der Bitte, ihm die „Burgenländische Freiheit“, die wöchentlich erscheinende Zeitung der Burgenland-SPÖ und gewiss nicht mit
Le Monde oder der New York Times vergleichbar, künftig per Flugpost zu senden. Was, wenn nicht die lokalpolitischen Berichte aus dem Nord-, Mittel- und Südburgenland soll denn ein pannonischer Weltenbürger auch sonst schon lesen?

Der ersten Begegnung in Eisenstadt folgten unzählige andere – im Burgenland, in Wien, in Ödenburg oder New York, man schrieb sich Briefe und hielt regelmäßigen Telefonkontakt. Sinowatz avancierte zu Berczellers wichtigster Bezugsperson in der alten Heimat und Richard Berczeller, der Weise, wurde, wie ihm der Altbundeskanzler in einem seiner letzten Briefe attestierte, sein „wichtigster politischer Wegbegleiter“. Schon früh erkannte Richard Berczeller Sinowatz’ politisches Talent. „Herzlichste Gratulation! Du hast eine wunderbare Arbeit geleistet“, schrieb er ihm im Dezember 1963, nachdem ihm der frischgebackene Parteisekretär seine strategische Konzeption für die kommenden Wahlen übermittelt hatte. Er wisse zwar nicht, setzte er fort, ob seine medizinischen Diagnosen immer zutreffend seien, aber dass seine „Frühdiagnose über Sinowatz“ richtig gewesen sei, dessen wäre er sich sicher. Und erst recht fühlte er sich als Diagnostiker bestätigt, als Sinowatz, Anfang der 70er Jahre als Unterrichtsminister noch manchenorts belächelt, 1981 zum Vizekanzler aufstieg. Aber vielleicht lag das ja auch nur daran, dass die New Yorker Österreicher-Kolonie, um sein Verhältnis zu Sinowatz wissend, auch ihm, wie er mit spitzbübischem Stolz vermeldete, zur „Vizekanzlerschaft“ gratulierte. Später ließ er die Katze dann endgültig aus dem Sack: schon nach der ersten Begegnung in Eisenstadt seien sich Hans Bögl und er in einem anschließenden Vier-Augen-Gespräch einig gewesen, dass Sinowatz einmal „der führende Mann der burgenländischen Sozialdemokratie“ werden sollte.

Als 1970 die SPÖ erstmals in ihrer Geschichte stimm- und mandatstärkste Partei Österreichs wurde, war Richard Berczeller – der aufrechte Sozialdemokrat aus der Zeit des Austromarxismus, aber einer, der nicht in ihr stehen geblieben war – einer der ersten, der gratulierte. Sinowatz antwortete ihm: „Was aber neben dem politischen Erfolg ebenso bedeutsam ist, ist der Umstand, dass es hier, in diesem spießbürgerlichen katholischen Österreich, das die ärgste Brutstätte des primitivsten Antisemitismus gewesen ist, möglich wurde, einen jüdischen Intellektuellen zum Bundeskanzler zu wählen. Das ist zweifelsohne eine kulturgeschichtliche Revolution…“

Sinowatz, der feinfühlige, verletzliche Politiker aus dem Burgenland, der nach außen so unerschütterlich wirkte, konnte nie vergessen, was er 1938, als 9-jähriger, in seinem Heimatdorf Neufeld a. d. Leitha beobachtet hatte: nämlich wie der alte „Schneider-Jud“, ein angesehener Kaufmann, der in der Hauptstraße, gegenüber der Schule, eine Gemischtwarenhandlung führte und bei dem Sinowatz’ Mutter einmal in der Woche im Haushalt aushalf, und von dem er, wenn er die Mutter nach der Arbeit abholte, immer ein paar Süßigkeiten bekam, eines Tages, bitterlich weinend, mit gepackten Koffern vorm Gartentor stand, noch einmal auf das Geschäftshaus zurückblickte und dann, von SA-Leuten eskortiert, samt seiner ganzen Familie abgeführt wurde. „Ich stand tief betroffen am Fenster, auch meine Mutter weinte still vor sich hin“, erinnerte sich Sinowatz später.

Auch ein anderer Vorfall prägte sich tief in sein Gedächtnis: „Es war, glaube ich, 1944, als in Neufeld Züge mit Juden aus Ungarn, die in Viehwaggons gepresst waren, durchfuhren“, schrieb er in seinen Erinnerungen, „und manchmal kam es auch vor, dass ein Zug hielt und aus irgendwelchen Gründen für einige Stunden auf einem Abstellgleis stehen blieb. Einmal, als wir jungen Burschen an so einem abgestellten Zug vorübergingen, hörten wir Stimmen aus den einen Spalt breit geöffneten Waggons. Sie riefen nach Wasser. Wir holten einen Eimer mit Wasser und ein paar Kaffeehäferln und wollten damit zu
den Waggons. Doch die SS-Wachen verjagten uns.“
Nein, es waren nicht nur „politische Frühdiagnosen“, sondern auch Erinnerungen wie diese, die Richard Berczeller und Fred Sinowatz trotz des beträchtlichen Altersunterschieds unzertrennliche Freunde werden ließen.

Als Sinowatz 1979 in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Großen Staatspreises für Literatur an Friedrich Torberg, formulierte, dieser sei „europäisch in seiner Haltung, deutsch in seiner Sprache, ein Österreicher nach Heimat und Herkunft und Jude nach dem Gewissen“, schrieb ihm sein heimatloser väterlicher Freund aus New York: „In diesem Satz hast Du Deine wahre Gesinnung ausgedrückt. Ich bin stolz auf Dich.“
(Fortsetzung folgt)

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Letzte Änderung: 04.08.2012
Webmeisterin+Redaktion: Mag. Ditta Rudle
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