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Aus dem Inhalt der Ausgabe Nr 6/7– 2002


Kommentar

Tabubrecher

Wer ein liberales Deutschland will, darf offenbar nicht liberal wählen am 22. September. Seit Wochen wissen die Wählerinnen und Wähler nicht mehr, ob sie neoliberale Schaumschläger, weltoffene Humanisten oder gar rechte Schmierenkomödianten an die Macht im größten EU-Staat hieven, wenn sie der FDP ihre Stimme geben.

Jürgen Möllemann macht diese Verwirrung möglich. Seine antisemitischen Attacken gegen Michel Friedman, der "mit seiner intoleranten, gehässigen Art"dem Antisemitismus Vorschub leiste und die Rundumschläge gegen Israel, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und die Alt-Liberalen in der FDP, sind als Alarmsignal zu verstehen. Hier spielt einer mit dem Feuer! Setzt jemand das Haider-Virus einem Großfeldversuch im Land des Holocaust aus. Prompt applaudiert ihm Haider aus seiner Kärntner Trutzburg und ermutigt zum strammen Marsch nach rechts.

Was ist los in Deutschland?

Es ist eines der wenigen EU-Länder wo es keine rechtsradikalen Demagogen mit Massenwirksamkeit gibt, die vergleichbar mit Haider oder Le Pen wären. Die Erfolge der Rechten in Europa signalisieren aber, dass hier ein großes Protestpotential liegt. Der österreichische PR-Berater Goergen an Möllemanns Seite, offenbar ein Fan von Haider, hat dazu den Kick gegeben. Ein abgekartetes Spiel, wie man trotz aller Dementis leicht erkennen kann. Der Parteichef der FDP, Guido Westerwelle, setzte nach dem sogenannten "antisemitischen Tabubruch" seines Vize Möllemann nämlich noch eins drauf, indem er meinte: "Tabuwächter können mir gestohlen bleiben." Es gibt kein energisches Durchgreifen gegen Möllemann und seine Klone. Im Gegenteil. Und die Volksseele?

In den verstunkenen Kneipen Berlins herrscht ein rüder Ton, dort kommt Möllemann gut an, der Friedman zwar nicht die Zähne, aber die Zunge zeigt. Die infantile Show zeigt Wirkung: "Sind doch selber schuld, wenn sie wieder mal ins Gras beißen. Da kochst Du doch über bei so einem überheblichen Typ wie den Friedman." Die Botschaft hat ihre Adressaten offenbar erreicht. Der braune Brei kocht seit Wochen hoch und in Leipzig haben die NPD-Nazis vor ein paar Tagen eine Demonstration abgehalten, mit der Losung "Solidarität mit Möllemann".

Verwunderlich?

Die FDP galt in den fünfziger und sechziger Jahren schon als "die Stammpartei der Nationalsozialisten". Im Jahr 1953 wurde eine Verschwörung gegen die junge demokratische Ordnung von den Briten aufgedeckt. Der sogenannte Gauleiter-Kreis hatte sich in der FDP eingenistet und wollte die Macht in Nordrhein-Westfalens FDP an sich reißen. In den sechziger Jahren gab es dann sogar einen hochkarätigen Nazi auf Bundesebene. Er war Finanzminister in der Erhard-Regierung und saß auch im Bundesvorstand der FDP: Rolf Dahlgrün, persönlicher Freund von Göring, NSDAP-Mitglied seit 1933. Wie zum Hohn für die Opfer war ausgerechnet dieser Mann auch für die Wiedergutmachung zuständig und bekämpfte sie wo immer er nur konnte. Die FDP war, wie in Österreich die FPÖ, ein Sammelbecken der alten Nazis. Nur waren da ungleich wirkungsvollere Nazi-Kader am Werk als in Österreich, sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik.

Vor diesem Hintergrund könnte der Wahlkampf in Deutschland zu einer Zäsur werden: Die FDP fischt mit antisemitischen Parolen im nazistischen Bodensatz und in den nächsten Wochen geht die CDU/CSU mit Parolen gegen das Zuwanderungsgesetz ans Werk. Damit werden zwei Reflexe bedient, die das gesellschaftliche und politische Klima in Deutschland mit Sicherheit extrem verschärfen: Der latente Antisemitismus und die dumpfe Fremdenfeindlichkeit. Es sieht ganz nach einer Arbeitsteilung im Wahlkampf für die Bundestagswahl aus.

Rudi Lux

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Shalom Austria!

 

Gesandter Ilan Ben Dov, Botschaftsrat der Israelischen Botschaft, verlässt im August nach vierjährigem Aufenthalt Wien. Über seine Herkunft, sein Wirken und seine Gefühle gibt er uns ein interessantes und aufschlussreiches Resümee.

Heinrich Beer wurde genau vor 80 Jahren in Wien geboren. Im Jahr 1938, er war damals ein 16-jähriger Gymnasiast, floh er mit seinem älteren Bruder nach Palästina. Da die britische Mandatsmacht die Einwanderung von Juden stark einschränkte, kamen die Brüder Beer illegal nach Eretz Israel. Sie sprangen vom Schiff, das vor Tel Aviv ankerte und schwammen in der Nacht ans Ufer. So wurden sie vor der Shoa gerettet.

Heinrich Beer ist mein Vater. Kurz nach seiner Einwanderung nach Palästina nahm er einen hebräischen Namen an – heute heißt er Ben-Dov. Aufgrund meiner Familiengeschichte war klar, dass ich die Entscheidung des Außenministeriums, mich nach Wien zu entsenden, mit sehr gemischten Gefühlen aufnahm. Es lässt sich nicht leugnen, dass ich vor meiner Ankunft in Wien Zweifel hatte, doch viel stärker verspürte ich ein Gefühl der Befriedigung und des Stolzes. Es ist überflüssig zu betonen, dass auch mein Vater die Tatsache, dass ich nach Wien als einer von Israels Vertretern entsendet wurde, als das Sich-Schließen eines historischen Kreises empfand, dessen Bedeutung nicht weiter erklärt zu werden braucht.

Jetzt, nach vier Jahren, kann ich sagen, dass die Entscheidung, nach Wien zu kommen und hier mit meiner Familie zu leben, richtig war. Die vergangenen vier Jahre waren nicht immer leicht. Es ist kein Geheimnis, dass das Ergebnis der Wahlen, die hier im Herbst 1999 stattfanden, ein neues und problematisches Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten eröffnete.Auch die Ereignisse im Nahen Osten in dieser Zeit – Ereignisse, deren Ausgang zu unserem Bedauern heute noch nicht vorhersehbar ist – stellten Israels Vertreter im Ausland vor eine Reihe schwerer und komplizierter Herausforderungen.

Die erste Herausforderung war es – und ist es weiterhin – zu versuchen, die politischen Positionen Israels auf klare und glaubwürdige Weise zu vertreten. Diese Herausforderung ist besonders schwer angesichts der Darstellung der Ereignisse in Israel in den österreichischen Medien und in den europäischen insgesamt.

Immer wieder hörte ich, besonders aus Kreisen der Kultusgemeinde, dass die europäischen Medien Israel feindlich gesinnt seien. Ich erlaube mir, dieser Meinung zu widersprechen, zumindest, was den überwiegenden Teil der Medien betrifft. Aber auch wenn die Medien nicht feindlich oder ablehnend voreingestellt sind – besteht doch kein Zweifel, dass die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt mit zahlreichen Problemen behaftet ist. Dies führt immer wieder dazu, dass ein verzerrtes, unausgewogenes und unrichtiges Bild gezeichnet wird.

Fast täglich treffen wir auf Zeitungsberichte oder -kommentare, die die Realität im Nahen Osten mit Hilfe von Stereotypen, Schlagworten und Klischees darstellen. Eine der Erkärungen dafür liegt im Charakter der modernen Medien, insbesondere des Fernsehens: das Tagesprogramm ist für gewöhnlich völlig überladen; die TV-Zuseher werden mit riesigen Mengen an Information versorgt. Daher wird auch über die Lage in Israel und den Nahen Osten, ein vielschichtiges und kompliziertes Thema, nur kurz und oberflächlich abgehandelt – womit dem gerechtfertigten Interesse Israels großen Schaden zugefügt wird. Die vereinfachenden Berichte, in denen israelische Panzer palästinensischen Kindern gegenüberstehen, zeigen zwar Bilder, die am realen Schauplatz aufgenommen wurden (und daher behauptet auch niemand, die Bilder und Videos seien gefälscht); doch ebendiese Bilder sind weit davon entfernt, die ganze Realität widerzuspiegeln, mit allen Aspekten des komplizierten und vielschichtigen Nahost-Konflikts.

Auch bei anderen Österreichern – einschließlich eines Teils der Politiker (hier möchte ich betonen: ein Teil, nicht alle) – traf ich immer wieder auf eine feindselige Haltung gegenüber Israel, die klar über eine legitime und konstruktive Kritik hinausging.

Mit Bedauern musste ich feststellen, dass eine kleine Gruppe von Politikern das politische Erbe von Kanzler Kreisky als fast automatische Feindseligkeit (a priori) gegenüber Israel interpretiert, oftmals ohne zu versuchen, die politischen Entwicklungen im Nahen Osten seit Ende der Ära Kreisky in ihre Einschätzung einzubeziehen.

Auf der anderen Seite freute ich mich, hier auch vielen zu begegnen, die nicht nur Verständnis für die schwierige Lage Israels angesichts des andauernden palästinensischen Terrors aufbrachten, sondern auch Interesse an einem echten und konsequenten Dialog mit Israel zeigten.

Die Schlüsselfrage scheint mir die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen der österreichischen und der israelischen Gesellschaft zu sein. Diese Frage steht nicht zwangsläufig in direktem Zusammenhang mit dem Zustand der diplomatischen Beziehungen. Entscheidend ist es, ein Netzwerk von Beziehungen auf den verschiedensten Ebenen aufzubauen: Jugendaustausch, kulturelle Kontakte, Dialog zwischen Schriftstellern, Künstlern und Erziehern, die letztlich jene sind, die den Dialog zweier Nationen mit echten Inhalten anfüllen.

Ich wünsche uns allen, dass wir künftig imstande sein werden, diesen Dialog mit wirklichen Inhalten zu versehen. Dieser Dialog muss ehrlich, direkt und offen geführt werden, denn nur dann wird es möglich sein, die Probleme und Hindernisse, die heute vor uns stehen, zu behandeln. Dieses "Gespräch" kann manchmal schwer und problematisch sein, vor allem wenn es die Vergangenheit berührt, doch nur so wird es möglich sein, auch Brücken in die Zukunft zu bauen.

Das also ist die Herausforderung, die weiterhin vor all jenen steht, die sich mit den Beziehungen zwischen Österreich und Israel befassen.

Ilan Ben-Dov

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Eine schwierige Beziehung

Israel und die UNO

1948, als die Armeen von fünf arabischen Diktaturen gegen den neugeborenen winzigen Staat Israel einen vom damaligen Generalsekretär der Arabischen Liga als "Vernichtungskrieg" gegen "die Juden" bezeichneten Feldzug eröffnet haben, blieben die Vereinten Nationen untätig. Keiner hatte die Entsendung einer "Untersuchungskommission" vorgeschlagen, dem Weltsicherheitsrat wurde keine Resolution gegen die unprovozierte Aggression unterbreitet. Als 1967 der damalige ägyptische Diktator Gamal Abdel Nasser die UNO zum Rückzug ihrer Waffenstillstandstruppe von der ägyptisch-israelischen Grenze aufforderte, befolgte die UNO den ägyptischen Befehl, obwohl es ihr klar war, dass sie damit den Startschuss für einen Krieg abfeuerte. Die damalige Untätigkeit hat die UNO seither mehr als eingeholt. Seit Jahrzehnten blieben Israel und die Juden ihr Lieblingsobjekt.

Unter den fast 200 in der UNO repräsentierten Staaten genoss Israel seit jeher einen Sonderstatus.

Es blieb das einzige Land, dessen UN-Repräsentant niemals im Weltsicherheitsrat vertreten war. Dafür hat derselbe Sicherheitsrat bis zum heutigen Tage ein volles Drittel seiner Zeit und Energie an Resolutionen und Kritik dieses unterrepräsentierten Kleinstaates verschwendet. Der Menschenrechtsausschuss der UNO, der regelmäßig – und unkritisch – Delegationen aus einer langen Reihe blutiger Diktaturen aus aller Welt empfängt, hat ein Viertel all seiner offiziellen Verurteilungen gegen ein einziges – demokratisches – Land erlassen: Israel.

Es gab einen Genozid in Rwanda, ethnische Säuberungen in Jugoslawien, periodische und erschreckende Konflikte in Indonesiens Osttimor, Hunderttausende Flüchtlinge sind im Kongo "verschwunden". Die kulturell vernichtende chinesische Okkupation von Tibet war und blieb von der UNO ignoriert. Keiner dieser UN-Mitgliedstaaten wurde jemals in einer "Sonder-Notstandssitzung" der UN-Generalversammlung zur Ordnung gerufen. Solche Sitzungen waren wiederholt Israel vorbehalten, nur weil es sich weigerte dem Terror zu weichen, der hunderte israelische Tote und tausende Verwundete erforderte, ohne jemals auch nur in einer einzigen UN-Resolution Erwähnung zu finden.

Vier spezielle administrative Einheiten innerhalb der UNO – zwei davon unter direkter Aufsicht des Generalsekretärs Kofi Annan – produzieren Jahr für Jahr nichts außer der Verschwendung von Millionen Dollar für die weltweite Verbreitung arabischer Propaganda, die Israels Existenzrecht in Frage stellt. Der "Sonderausschuss zur Untersuchung israelischer Praktiken betreffend der Menschenrechte des palästinensischen Volkes und anderer Araber in den besetzten Gebieten" befasst sich beispielsweise mit der "Untersuchung" von Israels fortdauernder "Praxis" der "Okkupation" nicht nur der im Sechstagekrieg von 1967 besetzten Gebiete, sondern auch innerhalb der international anerkannten Grenzlinien vom 5. Juni 1967.

Dann gibt es die "United Nations Relief and Works Agency", allgemein als UNRWA bekannt, die im Dezember 1949 geschaffen wurde, um den palästinensischen Flüchtlingen aus dem misslungenen arabischen Versuch einer zweiten "Endlösung", Israels Befreiungskrieg von 1948, zu helfen. UNRWA ist von allergrößter Relevanz, wenn es um den jüngsten Ausbruch der nackten Israeolophobie der UNO geht. Die UNRWA finanziert und verwaltet u.a. das berüchtigte Flüchtlingslager von Jenin, in dem die israelische Armee anfänglichen, von lokalen UN-Vertretern bestätigten, palästinensischen Berichten zufolge ein "Massaker" an "unbewaffneten Zivilisten" begangen haben soll. Es ist das Flüchtlingslager, in das Kofi Annan prompt eine Untersuchungskommission schicken wollte, geleitet von Arafats beliebtestem europäischen Diplomaten, Finnlands Ex-Präsidenten Marti Ahtisaari und assistiert von Cornelio Sommaruga, dem pensionierten Ex-Chef des Internationalen Kommittees vom Roten Kreuz, der einst den Davidstern mit dem Hakenreuz verglichen hatte.

Allein schon die Wahl der UN-Vertreter, die Annan nach Jenin schicken wollte, war skandalös.

Israel bereitete dem Spuck ein Ende, als es der geplanten "fact finding mission" einen Riegel vorschob und damit der UNO die Spesen für die fiktive Untersuchung eines "Massakers" ersparte, den es – auch verspäteten palästinensischen Aussagen zufolge – niemals gegeben hatte. Was es gegeben hat und die Basis für die initiierte Untersuchung bildete, waren von Palästinensern initiierte Medienberichte mit Phantasien, "bestätigt" vom UNRWA-Kommissar Peter Hansen, der in seinen Interviews von "menschlicher Katastrophe, die wenig Parallelen in der Geschichte hat" sprach. Bis dann Kofi Annans Sprecher notgedrungen Hansens Märchen als "Missverständnisse" und "bedauernswerte Irrtümer" zu entschuldigen versuchte. Das "Massaker" schrumpfte dann zu 53 Leichen, vorwiegend palästinensische Kämpfer. Aber auch wenn es 530 gewesen wären – hätte dies eine UNO-Untersuchungskommission gerechtfertigt? 1993 wurden in einer zweiwöchigen Bombenkampagne gegen Mogadishu rund tausend somalische Zivilisten getötet. Ist in der UNO jemals von einer "menschlichen Katastrophe" die Rede gewesen? War jemand auch nur auf die Idee gekommen, einen Untersuchungsausschuss nach Somalia zu entsenden?

Die UNO ist von Israel besessen, weil die Organisation rein numerisch von einer Großzahl arabischer, islamischer und mit ihnen verbündeter Staaten der Dritten Welt kontrolliert wird, die Israel zu jagen wünschen, weil sie sich da austoben können. Das allein erklärt auch, dass die UNO unter dem Vorwand der Flüchtlingshilfe seit Jahrzehnten aktive, organisierte und enthusiastische Unterstützung eines gewalttätigen, judenfeindlichen, palästinensischen Irredentismus leistet. Das UNRWA-Flüchtlingslager von Jenin wurde seit Jahren von den Palästinensern als "a'simat al-istashidin" bezeichnet, als "Hauptstadt der Selbstmordanschläge", aus dem Dutzende Terroristen der Hamas, Islamic Jihad, Fatah, Al Aksa und Tanzim hervorkamen, die hunderte Israelis am Gewissen haben.

UNRWA finanziert die Schulen von Jenin, in denen Landkarten ein Palästina von Mittelmeer bis zum Jordan zeigen, in dem offen Hass gegen alles Jüdische und Israelische gepredigt und anerzogen wird. Während der Schulferien dienen dieselben Schulen als Trainingslager, in denen Schüler in Steinwürfen, Bombenbau und "Märtyrertum" ausgebildet werden. Die Lebensmitteldepots der UNRWA in Jenin dienen zugleich als Munitionslager.

Die UNO würde es schwer finden zu erklären, wieso von der UNRWA errichtete Häuser ungeniert für die Produktion von Falschgeld und Sprengstoffen missbraucht werden. Wieso sie es zulässt, dass auf UNO-Gebäuden Plakate mit den Porträts der berüchtigsten Terroristen kleben, oder wieso Vertreter der von den USA als Terrororganisation gebrandmarkten Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP) jetzt die Gewerkschaft der UNRWA-Angestellten kontrollieren?

Offiziell gilt Zionismus in der UNO nicht mehr als Rassismus, auch wenn man das kaum in Durban zu entdecken vermochte, wo eine Menschenrechtskonferenz zur antisemitischen Fiesta verwandelt worden war. Aber in den vom palästinensischen Erziehungsministerium herausgegebenen und von der UNRWA finanzierten Instruktionsbüchern für Mittelschullehrer heißt es nach wie vor, man müsse "dem Schüler verständlich machen, weshalb die Völker der Welt die Juden hassen". Was die UNO betrifft, leistet sie ihren eigenen Beitrag dazu, es auch Nichtpalästinensern "verständlich" zu machen.

Karin Gil

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Das Gedankengut des Grossmufti von Jerusalem

Heimo Kellner über die eben erschienenen "Mufti-Papiere"

Islam und das Judentum kennen keine grundsätzliche Feindschaft, in der Geschichte gab es Perioden harmonischen Zusammenlebens. So will es die politische Korrektheit.

Das ist nicht falsch, leider ist aber auch das Gegenteil richtig. Denn wenn man die Vergangenheit bemüht, dann muss man an die Pogrome, die zwischen den beiden Weltkriegen in arabischen Ländern stattgefunden haben, erinnern und in diesem Zusammenhang muss genannt werden der Grossmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini. Kürzlich erschienen im Klaus Schwarz Verlag Berlin, herausgegeben von Gerhard Höpp, die "Mufti Papiere", eine Sammlung seiner Reden, Interviews und Briefe. Ein Konzentrat von Hass und Verhetzung.

Es wird schwerfallen, ihn nur als einen vielleicht extremen, aber im Grunde nur der arabischen Sache ergebenen Nationalisten zu bezeichnen. In seinem Kampf gegen die Briten stand er natürlich nicht allein. Unleugbar hat England Versprechungen, die es den Arabern machte, als sie sich während des ersten Weltkrieges von der osmanischen Vorherrschaft befreien wollten, gebrochen und versucht, anstelle der osmanischen Herrschaft die britische zu setzen. Man kann Verständnis aufbringen, dass sich die Araber betrogen fühlten. Bei Husseini führt das aber gleich zu einem Schulterschluss mit den Achsenmächten. Er wird von Hitler, von Mussolini empfangen, er versichert den großen Führer, seines Dankes und der Bewunderung, betet für den Sieg der Achsenmächte, die für die Befreiung der Welt und zum Schutze der europäischen Kultur kämpfen. Um auch aktiv zum Endsieg beizutragen, wirbt er unter den Arabern für Kollaboration und Untergrundarbeit mit den Achsenmächten, regt an, aus kriegsgefangenen Arabern eine eigene Legion aufzustellen, denn kein Araber dürfte auf Seiten der Alliierten kämpfen. Noch 1945 fordert er in Flugblättern – im Namen des Allbarmherzigen – arabische Soldaten in den alliierten Heeren auf zu desertieren, die Waffen umzukehren und Rache zu nehmen an den wahren Feinden. Er betreut und fördert die moslemischen SS-Division, die aus Bosniaken rekrutiert wurde.

Ideologisch steht er in Worten und Taten ganz auf dem Boden des nazistischen Antisemitismus. Was er über die Juden und die jüdische Weltverschwörung sagt, könnte wortwörtlich im Stürmer gestanden sein.

In einer Radiobotschaft an die Araber vom 11. 11. 42 unterstellt er der englisch jüdischen Politik, sie ziele darauf hin, von Palästina aus sich schlangenartig in die anderen arabischen Länder einzuschleichen und durch Zerstückelung und Unterwühlungsarbeiten das arabische Vaterland zu unterwerfen. Das giftige Intrigennetz soll sich programmmäßig weiter auf die Länder des Nahen Osten und auf weitere Gebiete erstrecken, wo auch immer unsere Feinde Nahrung für ihre Habgier finden. In einer Erwiderung auf eine Rede Weizmanns von 17. 3. 1943: Die fremde jüdische Geisteshaltung, die sich reduziert auf Egoismus, ungeheure Gier und das Streben, alles Nützliche in der Welt für sich monopolisieren zu wollen, gemäß ihrem Grundsatz, dass sie das auserwählte Volk seien und andere Nationen nur Tiere, die man zum Nutzen Israels wie Haustiere ausbeuten muss, diese Mentalität, die aus den Juden eine elende Plage und einen chronischen Schaden für die Welt machte, lässt keinen Platz für Toleranz oder Zusammenarbeit mit ihnen. Es gibt unter den Arabern kein Lebewesen, weder Könige noch Untertanen, die die Juden in einem arabischen Land tolerierten oder tolerieren, weil sie dadurch Hochverrat an ihrer Religion und ihrem Vaterland begehen werden.

Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich auszumalen, welchen Einfluss diese Hetztiraden auf die arabische Bevölkerung ausübten und wie sehr sie die antijüdischen Ausschreitungen anfachten.

Als die Engländer 1943 jüdischen Kindern die Ausreise aus einigen mit Deutschland verbündeten osteuropäischen Staaten ermöglichen wollen (u. a. 4000 Kindern aus Bulgarien), warnt er brieflich Ribbentrop, Ciano, den bulgarischen, rumänischen, ungarischen Außenminister.

Die Juden könnten, einmal ausgewandert, ungehindert mit ihren Rassegenossen der übrigen Welt in Verbindung treten und dem verlassenen Lande mehr Schaden anrichten als bisher. Die Juden hatten durch ihren bisherigen Aufenthalt in ihrem und anderen verschiedenen Ländern Gelegenheit gehabt, sich über vieles Kriegswichtige zu unterrichten und würden, sobald es ihnen möglich sein wird, diese Erkenntnisse zugunsten der Verbündeten verwerten.

Niemand kann sagen; wie viele dieser Kinder der Vernichtungsmaschinerie der Nazi zum Opfer fielen.

Dazu wirft er noch sein ganzes Gewicht als religiöser Führer des Islam in die Waagschale. Stets spricht er von einem Kampf der Araber und der Muslime gegen die Juden. Juden und Zionisten, Religion und Politik, mosaischer Glaube und Israel, das ist ihm alles eins.

Gezielt wählt er die Anlässe, um seine hasserfüllten Botschaften zu verkünden.

So zur Eröffnung des Islamischen Instituts in Berlin am 18. 12. 1942: Dieses Volk, welches die Welt seit alters her geplagt hat, ist der Feind der Araber und des Islam seit dessen Bestehen. Der heilige Koran hat diese alte Feindschaft in den folgenden Worten ausgesprochen. ,Du wirst finden, dass die den Gläubigern am feindlichsten Gesinnten die Juden sind. 'Sie versuchten, den Propheten zu vergiften, leisteten ihm Widerstand, waren ihm feindlich gesonnen und intrigierten gegen ihn. Seit jener Zeit haben sie nicht aufgehört, gegen die Araber und Moslims Intrigen zu spinnen. Zu den erbittertsten Feinden der Muslime, die ihnen seit alters her Feindseligkeit bekundet und allenthalben mit Tücke und List begegneten, gehören die Juden. Es ist jedem Moslem zur Genüge bekannt, wie die Juden seit dem ersten Tagen des junge Islam zugesetzt haben und welche Gehässigkeiten sie den größten Propheten bezeigten, wie viel Kummer sie Ihm bereiteten, wie viele Intrigen sie anzettelten, wie viele Verschwörung sie gegen Ihn zustande brachten. Und so, wie die Juden zu Lebzeiten des großen Propheten gewesen sind, so sind sie zu allen Zeiten geblieben, die eingefleischten Feinde der Muslim sind die Juden.

Das ist nicht mehr die Sprache eines chauvinistischen Politikers, hier geifert religiöser Fanatismus und es spricht jemand, der sich dabei rühmt, über 150.000 Beamte der religiösen Gerichte und der Koranschulen Gewalt zu haben.

Nun könnte man beruhigen, er wäre ja nur ein Einzelfall, ein auf Abwege geratener Geistlicher. Er vertrete nicht die Auffassungen der moslemischen Glaubensgemeinschaft, die es ja wegen der Zersplitterung der Denkschulen auch kaum geben kann. Aber kann man wirklich keine Parallelen ziehen zu den modernen Fanatikern? Instrumentalisieren nicht auch die Fundamentalisten die Religion für politische Belange? Worin unterscheiden sich die Denkmuster?

Setzt man statt Engländer Amerikaner, wie es schon Husseini gelegentlich tut, so passt das demagogische Vokabular von damals in die Jetztzeit.

So empfiehlt er der Nazipropaganda: es muss gezeigt werden dass er (Roosevelt) beflissen ist, die amerikanische Sittenlosigkeit über die ganze Welt zu verbreiten und besonders in moslemischen Ländern, um deren Religion, Sitten und Gewohnheiten zu untergraben. Die amerikanischen Missionare pflegten moslemische Knaben und Mädchen zu rauben, um sie ihrer Religion zu entfremden. Ebenso gut kann man darlegen, dass er von seinen Großeltern her, mütterlicher- wie väterlicherseits, ein Jude ist. Hier spinnt sich in Diktion, Gesinnung und Verhalten ein Bogen zu den Taliban, der al Kaida, den Moslimbrüdern in Ägypten, zur Hisbollah, zur Hamas, zu den Freitagspredigten und den Lehrstoffen der Koranschulen der Islamisten.

Aus dem Koran lässt sich vieles herauslesen. Es gibt hinreichend Stellen, die Toleranz predigen und es gibt Stellen, die die Juden verächtlich machen.

Für Husseini waren diese die Offenbarung. Und er war kein einmaliger Betriebsunfall des Islam, er marschiert im Geist in unseren Reihen mit.

So zitiert die neue Zürcher Zeitung eine Predigt des Scheichs Abderrahman a Sudais, der als Immam der großen Moschee von Mekka Anrecht auf Übertragung seiner Reden im staatlichen Fernsehen und Radio hat, also ein Mann von Gewicht ist: "Heute steht die islamische Glaubensgemeinschaft ihren alten Feinden gegenüber, den bani Kuraiza und den bani Nadir, den jüdischen Stämmen in Medina zur Zeit Mohammeds. Es ist ein Konflikt des Glaubens. Die Juden von gestern hatten schlechte Vorfahren und die heutigen haben noch üblere. Dieses Volk ist voll des Bösen und der Verwerflichkeit. Es suchte den Propheten zu töten. Die Juden verachten die Araber und die Muslime. Auf ihnen lastet der Fluch des Propheten und der Engel und sie verdienen ihn." Der Sprecher des iranischen Parlaments, Natequ Nuri, laut Kuwait Times von 16. Jänner 1999: Erniedrigt nicht den Islam indem ihr euch mit den Zionisten an den Verhandlungstisch setzt: ein würdevoller Tod ist besser als ein armseliges und demütigendes Leben, und der ehemalige Abgeordnete zum kuweitischen Parlament Khaled al Sultan rief die Moslims in aller Welt auf, einzusehen, dass der Kampf zwischen Moslims und Juden ein ideologischer sei.

Natürlich ist keine Botschaft gefeit gegen den Missbrauch durch Fanatiker. Auch die Evangelien waren es nicht. Wenn aber falsche Propheten das Wort der Religion missbrauchen, dann müssten die wahren Hüter des Glaubens korrigierend eingreifen. Doch vergeblich hält man nach ihnen Ausschau. Wo sind sie, etwa der Scheich der al Azhar Universität in Kairo, dessen Wort in der gesamten islamischen Welt gilt, oder andere theologische Autoritäten, wie die Ayatollahs im Iran? Dieses Schweigen hat Tradition und hat Methode.

So wie sie vor 50 Jahren geschwiegen haben, so schweigen sie auch heute. Wie lange werden sie weiter schweigen, während die al Husseinis in den Moscheen und den Fernsehstationen das große Wort führen?

Heimo Kellner

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Kunst gegen Terror

Unter diesem Motto stand der erste offizielle Besuch eines österreichischen Regierungsmitgliedes in Israel seit der Schwarz-Blauen Koalition. Bekanntlich hat Israel seine Beziehungen zu Österreich reduziert und auf höchster Ebene gab es seit der neuen Regierungsbildung keine Gespräche. Im Rahmen seines dreitägigen Besuches betonte Staatssekretär Franz Morak die Bedeutung der Kultur für bessere Völkerverständigung. Anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung "Conflict and Culture" der Sigmund-Freud-Gesellschaft im Diaspora Museum in Tel Aviv unterstrich Morak nicht nur die Verantwortung Österreichs während der Nazizeit, sondern auch die Tatsache, dass die Republik Österreich es unterlassen habe alle vertriebenen jüdischen Bürger wieder ins Land zu holen. Ein doppelter Verlust, der nicht reparierbar ist.

Die Ausstellung gliedert sich in drei große Abschnitte. Den Jahren der Entwicklung und Ausbildungen folgt die Auseinandersetzung mit dem Menschen, seinen Problemen und den Auswirkungen und dem Umgang damit. Vom Individuum zur Gesellschaft ist der Titel des dritten Teils, indem Freuds wesentlichste gesellschafts- und kulturpolitische Theorien erörtert werden. Mit dieser Ausstellung, die bereits in verschiedenen Städten zu sehen war und in New York auf größtes Interesse stieß, wird das Leben und Wirken anhand von Dokumenten, persönlichen Gegenständen, Skizzen, Tonbänder und Videos sehr anschaulich dargestellt. Mit Leihgaben – Originale und Kopien – aus den Sigmund Freud-Museen in Wien und London, teilweise in Vitrinen präsentiert, hinterläßt diese Präsentation einen nachhaltigen und tiefen Eindruck. Der große Publikumsandrang bei der Eröffnung vermittelte auch den Eindruck, dass zumindest auf kultureller Ebene die Beziehungen beider Länder noch ausbaufähig seien.

Großen Andrang gab es auch bei der Pressekonferenz, in der Staatsoperndirektor Ioan Holender ein Gastspiel der Staatsoper mit "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss nach einem Text von Hugo von Hoffmannsthal in Tel Aviv für Februar 2003 bekannt gab. Obwohl bereits schon einige Gastspiele in Israel stattfanden, wie 1997 das Staatsopernballett in Tel Aviv und 1993 die "Zauberflöte" in Jerusalem, verspricht dieses Gastspiel angesichts der Größe des Ensembles und der derzeitigen Situation neue Akzente zu setzten. Ungefähr 170 Künstler und Mitarbeitern samt Kulissen und Kostümen werden nach Israel reisen, um an der Tel Aviv Oper fünf Aufführungen zu spielen. Kulturminister Matar Vinai drückte Anerkennung dafür aus, dass Österreich gerade in dieser kritischen Zeit, in der viele Länder Israel meiden, bereit ist, ein Projekt von solch einer Dimension ins Land zu bringen. Gleichzeitig erinnerte er aber auch daran, dass die Shoa in Israel stets und überall präsent sei. Bezüglich der Beziehungen zu Österreich versicherte er, dass die Israelis nur Probleme mit der Regierung und keineswegs mit deren Bevölkerung haben. Franz Morak zeigte sich besorgt um den zunehmenden Terror und will mit diesem Gastspiel ein Zeichen der Solidarität mit der israelischen Bevölkerung setzen. Kunst gegen Terror sei seine Antwort darauf – Kunst als ausgleichendes und verbindendes Element soll dazu beitragen, Aggressionen wieder abzubauen.

J. N.

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Offener Brief

Sehr geehrter Herr Doktor Schirrmacher!

Ihr mutiger Artikel über Martin Walsers neuesten Roman Tod eines Kritikers wirkt wie ein erhellender Blitz ins verwirrte Nebelland. Der Bundeskanzler trifft sich am 8. Mai, dem Tag der Befreiung Deutschlands von der Hitlerdiktatur, mit dem Schriftsteller Martin Walser, dem man ganz gewiss kein Hosianna auf die Befreiung wird nachsagen können. Kurz darauf erinnert der amerikanische Präsident im Deutschen Bundestag die Deutschen an den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Unmittelbar danach bläst einer der Parteichefs der FDP zum Sturmangriff auf die allgemein anerkannten Werte der zweiten deutschen Republik. In diese Zeit trifft Ihr Blitz. Sie weisen die Bitte um Vorabdruck von Walsers Roman in der FAZ zurück. Begründung: dumpfer antijüdischer Hass, der aus dem Buch zum Leser spricht. Ihre Rezension lässt an Klarheit und Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig, und doch ist sie äußerst differenziert und eben nur dadurch klar und eindeutig, durchdrungen von jenem Geist der feinen Distinktionen, den schon Heine beschworen hatte. Es ist absolut notwendig, dieses vergiftende, unheilschwangere Gefühlsgemisch aus nationaler Selbstgerechtigkeit, mangelnder Empathie, geheuchelter Wohlanständigkeit und infantiler Geschichtsvergessenheit, das Walser hinter einem Nebelschleier von angeblich unbekümmerter Literaturproduktion verbirgt, als das zu beschreiben, was es ist: ein vergiftendes, unheilschwangeres Gefühlsgemisch. Und Sie tun dies leidenschaftlich und unbeirrbar. Ein Schriftsteller, so machen Sie deutlich, hat Verantwortung für die Sprache seines Landes und für das Land seiner Sprache. Wie Martin Walser bisher darauf reagiert hat, unterstreicht zusätzlich die Beweiskraft Ihrer literaturkritischen Analyse und die Richtigkeit Ihrer Entscheidung. Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, um meine Verbundenheit Ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte Sie ermutigen, unbeirrbar zu bleiben auch namens von Freunden und Arbeitskollegen.

Mit den besten Wünschen

Dr. Antonín Dick

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BÜCHER

Elfriede Gerstl im Brennpunkt

Lesen Sie die Rezension auf unserer Bücherseite

Die Welt der Lotte Tobisch

 

Lucian O. Meysels muss den Lesern der "Illustrierten Neuen Welt" nicht vorgestellt werden. Und auch der Name Lotte Tobisch, der "Hauptdarstellerin" seines jüngsten Buches, dürfte den meisten vertraut sein. Wer allerdings ein Werk mit High-Society-Klatsch erwartet hat, wird seine Ansicht revidieren müssen. "Die Welt der Lotte Tobisch", so der Titel, ist nicht – jedenfalls nicht nur – die der Organisatorin des Wiener Opernballes, der sie ihren Bekanntheitsgrad verdankt, sondern jene des europäischen Geisteslebens.

Für den Autor ist Lotte Tobisch in erster Linie eine Zeitzeugin, welche die Ereignisse in Österreich, besonders aber in Wien, seit mehr als einem halben Jahrhundert mit scharfem Blick und persönlichem Engagement sozusagen aus der ersten Reihe beobachtet. Bezeichnend ist ihr Urteil über ihren Freund Bruno Kreisky – siehe das Kapitel "So kam der Kreisky auf den Hund" – den sie bewundert, aber: "Wer Kreisky für einen neuzeitlichen Nathan den Weisen hielt – oder noch immer hält, – der irrt. Wäre Kreisky ein Weiser gewesen, dann wäre er wahrscheinlich nicht in die Politik gegangen."

Lotte Tobisch (von) Labotyn entstammt einer altösterreichischen Patrizierfamilie und ihre österreichischen Wurzeln haben ihr Leben bestimmt. Viele bedeutende Persönlichkeiten zählten zu ihren Freundekreis und waren oft in ihrer Dachwohnung am Opernring – das Gebäude war die Szene der Fernsehserie "Das Ringstraßenpalais" (mit der sie nichts zu tun hatte) – zu Gast. Man könnte fast vom letzten Wiener Salon sprechen.

Besonders eng war ihre Freundschaft mit dem großen Philosophen Theodor Adorno, aber auch so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Gerschom Scholem, der erzkonservative Ludwig von Ficker und die Kärntner Dichterin Lavant, um nur einige zu nennen, zählten so zu ihrem Kreis.

Zwei Männer haben ihr Privatleben bestimmt: Der legendäre Burgtheater-Dramaturg Erhard Buschbeck und der israelische Diplomat Michael Simon, den sie dank ihres Engagements für Israel während des Sechs-Tage-Krieges kennenlernte. Es waren, wie sie es dem Autor schilderte, schöne Jahre, aber in beiden Fällen mit einem traurigen Ende: Buschbeck und Simon starben nach schwerer Krankheit.

Lotte Tobisch' Beziehung zu Israel blieb übrigens über den Tod ihres zweiten Lebensgefährten hinaus erhalten. Sie hat Israel so oft besucht, dass sie, wie sie erzählt, fast als Fremdenführerin arbeiten könnte.

Natürlich kommt auch der Opernball in Meysels Buch nicht zu kurz. Der Autor schildert die "Grabenkämpfe" mit ihrer Vorgängerin Christl Schönfeld und einer anfangs feindseligen Klatschpresse, mit denen sie ihren "Thron" erobern musste. Bei ihrem Abgang vom Opernball versprach sie ihren zahlreichen inzwischen vielfach zu Freunden gewordenen Kritikern: Es wird mir nicht fad werden.

Und dies wird auch in ihrer gegenwärtigen Position als Präsidentin des Vereines "Künstler helfen Künstlern", der das Altersheim in Baden betreut, sicher nicht geschehen.

O. K.

Lucian O. Meysels: Die Welt der Lotte Tobisch, Verlag Va bene, Klosterneuburg und Wien, 200 Seiten, 24,95 Euro.

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Letzte Änderung: 03.01.2012
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